Abnehm-App "Oviva": Hersteller zur Entwicklung Digitaler Gesundheitsanwendungen
Das digitale Abnehmprogramm "Oviva" ist bereits an die E-Patientenakte angebunden. Wir haben unter anderem darĂĽber mit Ovivas Technologie-Chef gesprochen.

(Bild: Ground Picture/Shutterstock.com, Bearbeitung: heise online)
Hersteller von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) müssen einige Nachweise erbringen, um vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zugelassen und im DiGA-Verzeichnis gelistet zu werden. Aktuell sind dort 65 DiGA gelistet, 36 davon dauerhaft. Patienten können DiGA vom Arzt verschrieben bekommen und dann einen Zugangscode erhalten. Außerdem können Versicherte den Zugangscode für die kostenpflichtige App bei ihrer Krankenkasse beantragen.
Mit dem 2023 in Kraft getretenen Gesetz zur beschleunigten Digitalisierung im Gesundheitswesen gelten auch für DiGA höhere Anforderungen, auch an den Datenschutz. Dadurch, dass sie als digitales Medizinprodukt gelten, ergeben sich allerdings auch mehr Möglichkeiten, sie können beispielsweise auch für das Telemonitoring zum Einsatz kommen.
(Bild:Â Oviva)
Über das Thema Digitale Gesundheitsanwendungen haben wir mit Thomas Richner gesprochen, er ist bei Oviva für den Bereich Technologie verantwortlich. Oviva ist ein dauerhaft im BfArM-Verzeichnis gelistetes digitales Abnehmprogramm, das Menschen mit starkem Übergewicht unterstützen soll. Patienten können in der App unter anderem Informationen über ihre Essgewohnheiten teilen und mit einer Ernährungsberaterin besprechen.
heise online: Was sind die größten Hürden, um eine DiGA auf den Markt zu bringen?
Thomas Richner: Die größte Herausforderung ist sicherlich, die dauerhafte Listung im DiGA-Verzeichnis zu erreichen. Dafür muss nicht nur ein Wirkungsnachweis der DiGA basierend auf randomisierten, kontrollierten Studien erbracht werden, sondern auch technische Anforderungen zur Datensicherheit und Interoperabilität erfüllt werden.
Die meisten DiGA können eine solche Wirksamkeitsstudie erfolgreich abschließen. Wenn einzelne DiGA an der dauerhaften Listung scheitern, liegt das in der Regel daran, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte den Nachweis der Wirksamkeit als nicht erbracht ansieht. Klappt der Nachweis nicht, kann das bei dem jeweiligen DiGA-Hersteller zu großen Herausforderungen führen. Im schlimmsten Fall bedroht es sogar die Existenz des Unternehmens. War die DiGA vorläufig gelistet, kann die Nichterbringung der Wirksamkeit dazu führen, dass die DiGA Listung entzogen wird und Teile des Umsatzes zurückgezahlt werden müssen.
Immer wieder heißt es, dass DiGA-Hersteller viel Geld verlangen und mit der Zeit teurer werden. Wie gehen Sie mit solcher und ähnlicher Kritik um?
Digitale Gesundheitsanwendungen stellen in der Regel digitale, leitliniengerechte Therapien dar und sind nicht vergleichbar mit einfachen Apps, die kostenfrei oder für wenige Euros im App-Store frei zugänglich sind. Ich glaube, die Preise ergeben sich aus den hohen Anforderungen an eine DiGA – sowohl in Hinsicht auf die Komplexität der Software als auch was die Anforderungen an die Compliance angeht. DiGA haben ein sehr hohes Schutzniveau in den Bereichen Datensicherheit und Datenschutz und hohe Anforderungen an den Nachweis der Wirksamkeit.
Grundsätzlich ist es so, dass nur in den ersten 12 Monaten nach Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis der Hersteller den Preis für seine DiGA bis zur jeweiligen Höchstbetragsgrenze frei wählen kann. Die vorliegende Höchstbetragsregelung vermeidet effektiv Mondpreise, die zulasten der Solidargemeinschaft abgerechnet werden und ermöglicht gleichzeitig eine Incentivierung, um neue Innovationen zu erforschen, zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Nach den ersten 12 Monaten muss der Preis dann mit dem Spitzenverband der GKV verhandelt werden.
Wie viel muss man, grob geschätzt, investieren, um eine DiGA zu entwickeln?
Das ist schwer zu sagen. Allein, um vorläufig gelistet zu werden, bewegt man sich im einstelligen Millionenbereich. Und natürlich kostet die stetige Weiterentwicklung der DiGA auch Geld. Hier kommen dann auch Investoren ins Spiel, die die Idee gut finden und sie unterstützen.
Welche Motivation steckt bei Ihnen hinter dem doch sehr aufwendigen Prozess, eine DiGA anzubieten?
Oviva hat 2014 bereits mit einer eigenen App die Ernährungsberatung digitalisiert. Wir wollten aber schon immer so etwas wie eine DiGA machen. 2020 haben wir dann unsere Series B Finanzierungsrunde abgeschlossen, wodurch wir genug finanzielle Ressourcen hatten, um unsere DiGA zu entwickeln. Dafür haben wir natürlich auch das Wissen genutzt, das wir bereits durch unsere digitale Ernährungsberatung hatten. Das bedeutet: Wir haben die klassische Behandlung mit der Ernährungsberatung für uns effizienter gemacht. Mit der DiGA sind wir dann den nächsten Schritt gegangen.
Hier darf man übrigens nicht vergessen, dass Adipositas erst 2013 als chronische Erkrankung anerkannt wurde. Seither stellen DiGA die einzig echte Verbesserung in puncto Therapiezugang dar, da sie eine zugängliche, effektive Option sind, um eine leitliniengerechte Basistherapie umzusetzen.
In Europa leben rund 220 Millionen Menschen mit Adipositas. Die Kapazität, um sie im persönlichen Kontakt medizinisch zu unterstützen, gibt es aber nur für einen Bruchteil. Technologie und damit auch DiGA sind die einzige Chance, dieser Pandemie entgegenzuwirken und allen Betroffenen eine wirksame Therapie zu ermöglichen. Mit unserer DiGA fokussieren wir uns darauf, Menschen mit Adipositas mittels einer digitalen Lösung im Gewichtsmanagement zu unterstützen und somit zu einer besseren Gesundheit zu verhelfen.
DiGA-Anbieter mĂĽssen Ihre App auch an die Telematikinfrastruktur anschlieĂźen. Wie ist da bei Ihnen der aktuelle Stand?
Wir sind einer der ersten DiGA-Hersteller, der sowohl an die elektronische Patientenakte als auch an die Telematikinfrastruktur angeschlossen und zugelassen ist. Der Anschluss an die ePA wird noch zeitnah an alle Patienten und Patientinnen ausgerollt. Allerdings gibt es hier noch Probleme bei einigen Krankenkassen, die Techniker Krankenkasse unterstĂĽtzt die ePA aber beispielsweise schon voll. Aber auch das Login mit der GesundheitsID braucht noch ein Weilchen, da warten alle auf die technischen Dienstleister und Krankenkassen.
Gibt es dafĂĽr auch Anreize?
Bisher gibt es sehr wenige Anreize, bis auf die Vorgabe, dass das zu implementieren ist. Aber wenn man ein paar Schritte weiterdenkt, ergeben sich durch die ePA-Anbindung interessante Fälle.
Wenn die DiGA an die ePA angebunden ist und Daten übertragen darf, gibt es in der ePA einen entsprechenden DiGA-Ordner. Hier werden auch nach Abschluss der DiGA-Behandlung die Daten aufgehoben, während sie in der DiGA gelöscht werden. Wenn im nächsten Jahr die Grundlage dafür kommt, dass DiGA Daten aus der ePA lesen dürfen, können wir die historischen Daten wieder einlesen. Das hat für Patienten und Patientinnen den Vorteil, dass sie die Daten, wie beispielsweise den Gewichtsverlauf, nicht händisch wieder eintragen müssen. Die Historie ist dann automatisch vorhanden.
Ein weiterer interessanter Punkt ist die Interoperabilität zwischen verschiedenen DiGA. Nehmen wir beispielsweise an, ein Patient nutzt noch eine weitere DiGA, dann könnte man relevante Daten teilen und synchronisieren. Dann haben die Nutzer und die behandelnden Ärzte einen größeren Überblick. Als Datenformate kommen dann medizinische Informationsobjekte und FHIR HL7 zum Einsatz.
Wie wird dem Patienten das dann angezeigt?
Als Zwischenschritt werden die Daten zunächst als PDF-Dateien gespeichert, fließen aber auch als strukturierte Daten in die ePA. Dann können, je nach Anwendungsfall, beispielsweise Graphen angezeigt werden.
Muss ich der DiGA dann eine Berechtigung geben, damit sie Daten in die ePA schreiben kann? Und ändert sich das für die Zukunft?
(Bild:Â Oviva)
Genau, DiGA-Nutzer:innen müssen aktiv in der DiGA der Weitergabe der Daten zustimmen. Dabei können sie auch individuell festlegen, welche Daten weitergeben werden soll. In der ePA selbst legen die Patient:innen dann fest, wer diese Daten alles lesen darf. Der Patient muss zudem die einmalige oder wiederholende Synchronisation in der Oviva-App aktivieren und in seiner ePA beziehungsweise Krankenkassen-App Oviva den Zugriff erlauben. Dieser Zugriff kann jederzeit widerrufen werden. Konzeptionell wird sich an diesem Freigabemechanismus nicht mehr viel ändern, die User-Experience wird aber sicher sowohl in der Oviva-App als auch in den Kassen-Apps noch poliert.
Es soll fĂĽr Versicherte erstmal schwieriger werden, Freischaltcodes fĂĽr DiGA zu erhalten, darum hat sich ein Teil der Hersteller Sorgen gemacht. Was steckt dahinter und wie ist Ihre Sicht dazu?
Schon jetzt ist es für interessierte Patient:innen relativ komplex, an eine DiGA zu kommen: Im Schnitt dauert es 13 Tage, während man ein Rezept für ein Arzneimittel innerhalb weniger Minuten einlösen kann. Wir Hersteller hatten die Hoffnung, dass das mit dem E-Rezept für DiGA verbessert werden kann. Die ersten Entwürfe für den entsprechenden Prozess sehen jedoch weiterhin kritische Barrieren für Patient:innen vor, zum Beispiel, dass sie den Antrag auf eine DiGA aktiv bei der Krankenkasse einreichen müssen, die dann wiederum das Vorliegen einer Verordnung prüft. Technisch wäre es auch möglich, dass das vollautomatisiert geschieht. Ein klarer Fall von: Wenn man einen schlechten Prozess digitalisiert, bleibt es ein schlechter Prozess. Wir hoffen, dass die Pläne dazu von Gematik und BMG noch einmal überdacht werden.
(mack)