zurück zum Artikel

Airbus: Systementwicklung mit Open Source

| Dr. Oliver Diedrich

Unter der Ägide von Airbus entstehen im Projekt TOPCASED die Werkzeuge von morgen für die Entwicklung der sicherheitskritischen Systeme in der Luft- und Raumfahrtbranche – als Open Source.

Der neue Airbus A380 ist derzeit das fortschrittlichste Verkehrsflugzeug, was den Einsatz von Computertechnik angeht: Die Piloten steuern den Jet mit einem Joystick (vornehm als Sidestick Controller bezeichnet), alle Flugmanöver erfolgen über den Computer (Fly by Wire). LC-Displays haben im Cockpit die klassischen Instrumente abgelöst. Die einzelnen Systeme sind in hohem Maße miteinander vernetzt.

Wenn Computer eine lebenswichtige Rolle spielen – im Flugzeug- und Autobau, aber auch bei medizinischen Geräten oder in der Kraftwerksteuerung –, sind die Anforderungen an Hard- und Software besonders hoch. Mehrfache Redundanz und belegbare Fehlerfreiheit sind für sicherheitskritische Systeme selbstverständlich. Das macht die Entwicklung enorm aufwendig – und stellt besondere Anforderungen an die verwendeten Entwicklungswerkzeuge. Die kann der klassische Softwaremarkt nicht erfüllen, wie Gérard Ladier, Senior Manager Software Engineering in der Abteilung für Avionic & Simulation Products Software bei Airbus, erklärt.

Bild 1 [558 x 559 Pixel @ 104 KB]

Im Cockpit des neuen Airbus 380 dominiert der Computer.

Denn ein Airbus soll bis zu 30 Jahre fliegen. So lange muss auch die Hard- und Software an Bord gepflegt, weiterentwickelt und an neue Spezifikationen angepasst werden. 30 Jahre, das ist für die schnelllebige Softwarebranche eine Ewigkeit. Welcher Softwarehersteller kann heute garantieren, dass sich seine Tools noch im Jahr 2030 verwenden lassen und die dann geltenden Anforderungen erfüllen? Und auf dem Weg von der Spezifikation des Systems bis zum durchgetesteten Steuerungsprogramm samt der Hardware, auf der es läuft, benötigt man viele Werkzeuge.

So haben sich Unternehmen des französischen Aerospace Valley [1] bei Toulouse unter der Führung des Flugzeugherstellers Airbus zu einem Konsortium zusammengetan, das die benötigten Systementwicklungswerkzeuge in dem Open-Source-Projekt TOPCASED [2] schaffen will. TOPCASED steht für Toolkit in Open source for Critical Applications & Systems Development (Open-Source-Werkzeugsammlung für die Entwicklung kritischer Anwendungen und Systeme).

"Das beschreibt sehr genau, was wir mit diesem Projekt vorhaben", sagt Ladier: "Das Ziel von TOPCASED ist eine komplette Werkzeugsammlung, die den gesamten Entwicklungsprozess von der Systemspezifikation bis zur Implementierung in Hard- und Software abdeckt, mit übergreifenden Aktivitäten wie der Rückverfolgung von Anforderungen, Versionskontrolle und Änderungsmanagement." Ein Schwerpunkt, so Ladier, liegt dabei auf der Qualität der Werkzeuge, da sie für die Entwicklung besonders zuverlässiger Systeme eingesetzt werden sollen.

Bild 2 [240 x 277 Pixel @ 76,3 KB]

Airbus-Manager Ladier: Open Source ist eine glaubwürdige Lösung für unsere Probleme.

Für den Airbus-Manager hat Open Source nicht zuletzt mit Eclipse einen Reifegrad erreicht, der sie zu einer glaubwürdigen Lösung für die Schaffung innovativer, zuverlässiger und langfristig unterstützter Systementwicklungswerkzeuge macht. "Wenn das Projekt Erfolg hat, könnte es ein Kernelement für die Lösung unserer Probleme mit vielen Systementwicklungstools in Hinblick auf Verfügbarkeit und Kosten sein", erläutert Ladier. Zudem würden so die Endanwender schon bei der Definition ihrer zentralen Werkzeuge mit einbezogen.

Beteiligt sind neben Airbus zahlreiche überwiegend französische Unternehmen der Flugzeug-, Raumfahrt- und Automobilbranche, Hard- und Softwareanbieter sowie Universitäten und Forschungsinstitute. Zu den Partnern gehören unter anderem der Satellitenhersteller EADS Astrium, der auf Elektronik spezialisierte Automobilzulieferer Siemens VDO Automotive, die französische Raumfahrtagentur CNES, die Elektronikhersteller Rockwell Collins und Thales, die Softwareschmieden Adacore, Anyware Technologie, ELLIDISS Software und TNI-Software, einige auf Avionik, Automotive und Embedded Systems spezialisierte IT-Dienstleister, die Carnegie Mellon University sowie mehrere französische Forschungsinstitute und Elitehochschulen aus den Fachgebieten Raumfahrttechnik, Informatik und Elektronik. Weitere Unternehmen haben bereits Interesse an einer Partnerschaft signalisiert, internationale Partnerschaften sind geplant.

Das Projekt ist straff durchorganisiert: Strategie und Organisation legt ein Lenkungsausschuss fest, der den technischen Teil an ein Architekturkomitee und die Qualitätssicherung der Entwicklung an eine Qualitätssicherungsgruppe delegiert. Unterprojekte arbeiten an jeweils einer Familie von Werkzeugen und werden von einem Partner geleitet, der für Forschung und Entwicklung in diesem Bereich verantwortlich ist. TOPCASED wird gemeinschaftlich von einem Repräsentanten von Airbus und einem Repräsentanten der beteiligten akademischen Einrichtungen geführt.

Das Geld für die Entwicklung kommt von der Industrie und aus öffentlichen Mitteln: TOPCASED ist ein Projekt im Rahmen des Regierungsprogramms ISAURE (Ingénierie des Systèmes embarqués Aéronautiques, de l'automobile, des Radiocommunications et de l'Espace), das die Entwicklung von Embedded Systems für Luft- und Raumfahrt, Automobil- und Funktechnik fördert. Andere Projekte in diesem Programm komplettieren die Spannbreite der Werkzeuge für die Systementwicklung.

Weiter: Das Projekt [3]

TOPCASED besteht aus mehreren Unterprojekten, die auf einem Server der französischen Elitehochschule ENSEEIHT [4] (Ecole Nationale Supérieure d'Electrotechnique, d'Electronique, d'Informatique, d'Hydraulique et des Télécommunications) gehostet sind. Einen Überblick gibt die Projektseite [5]. Mitte Dezember ist Version 1.0 M1 erschienen.

Bild 4 [475 x 238 Pixel @ 41,6 KB]

TOPCASED: modellgetriebene Systementwicklung

Im Moment liegt der Schwerpunkt der Arbeit auf den Modellierungstools – ganz im Sinne der modellgetriebenen Systementwicklung (Model Driven Engineering, MDE [6]), bei der ein Modell des zu entwickelnden Systems den gesamten Entwicklungsprozess steuert. Gearbeitet wird unter anderem an grafischen Editoren für mehrere Modellierungssprachen: die Unified Modeling Language (UML) der Object Management Group, die Eclipse-eigene Metamodellierungssprache Ecore, die Systems Modeling Language SysML und AADL (Architecture Analysis and Design Language), eine Sprache zur Beschreibung der System- und Software-Architektur von Echtzeitsystemen. Andere Modellierungsansätze lassen sich einfach hinzufügen. "Bald sollen aber auch Simulatoren, Werkzeuge zum Testen der Modelle, Tools für das Konfigurations-, Änderungs- und Anforderungsmanagement, Code-, Test- und Dokumentationsgeneratoren hinzukommen", ergänzt Ladier.

Auch wenn TOPCASED noch am Anfang der Entwicklung steht (das Projekt ist erst im August offiziell gestartet), hat sich bereits rege Aktivität entwickelt. Die Projektseite des derzeit aktivsten Unterprojektes TOPCASED-MM [7], in der ein Metamodellierer entsteht, führt derzeit fast 50 Entwickler auf. Dort gibt es schon jetzt eine Mailingliste mit eifrigen Diskussionen von Anwendern, ein aktives Bugtracking- und Feature-Request-System sowie Dokumentation.

Bild 3 [489 x 277 Pixel @ 26,3 KB]

TOPCASED soll den gesamten Entwicklungsprozess abdecken.

TOPCASED nutzt die Infrastruktur der Entwicklungsplattform Eclipse [8]. Gerade ist eine Zusammenarbeit mit dem Eclipse Modeling Project (EMP [9]), Herausgeber des Eclipse Modeling Framework (EMF), angelaufen, von der sich Ladier kräftigen Schwung für TOPCASED verspricht: "Diese Art von Zusammenarbeit wird die Entwicklungskosten senken und die Lebensdauer der Komponenten verbessern", ist der Airbus-Manager überzeugt.

Die einzelnen Subprojekte stehen überwiegend unter der Eclipse Public License 1.0 (EPL), einer Lizenz mit strengem Copyleft: Auf Basis von TOPCASED-Code entwickelte Software muss ebenfalls unter der EPL veröffentlicht werden. "Die Lizenz garantiert, dass die entwickelten Komponenten und Verbesserungen daran Open Source bleiben, erlaubt aber die Entwicklung proprietärer Produkte, die diese Komponenten nutzen", erklärt Ladier. In Zukunft könnten aber auch weitere Lizenzen zum Einsatz kommen, etwa die GPL für Verbesserungen an der GNU Compiler Collection GCC.

Das "Konsortiummodell" der Open-Source-Entwicklung, das mit dem Projekt TOPCASED praktiziert wird, bringt den beteiligten Unternehmen und Institutionen ein Reihe von Vorteilen. Sie können frühzeitig daran mitwirken, dass die entstehenden Tools auf ihre Anforderungen passen. Gegenüber einer Eigenentwicklung spart man Geld, da die Kosten auf viele Schultern verteilt sind. Die Lizenzierung als Open Source stellt sicher, dass jeder Beteiligte den Code zu fairen Bedingungen nutzen kann. Und, besonders wichtig für eine Branche, die bei der Produktentwicklung in Jahrzehnten denkt: Die Unternehmen haben die komplette Kontrolle über ihre Werkzeuge und sind nicht von der Produktpolitik eines Herstellers abhängig.

Weitere potenzielle Konsortiumsmitglieder dürfte es dank dieser Vorteile reichlich geben – schließlich verfolgt das Projekt einen umfassenden Ansatz: "Mit den TOPCASED-Werkzeugen kann man nicht nur Software entwickeln, sondern auch Hardware und komplette Systeme ... zunächst für Flugzeuge, Satelliten und Autos. Aber wir sind überzeugt, dass TOPCASED für eine viel größere Entwicklergemeinde nützlich ist, etwa im medizinischen Bereich oder bei der Steuerung von Kraftwerken", erklärt Monsieur Ladier. (odi [10])



Gérard Ladier, Senior Manager Software Engineering in der Abteilung für Avionic & Simulation Products Software bei Airbus, wird das Projekt TOPCASED im Januar auf der Konferenz Open Source Meets Business [11] in einer Keynote im Rahmen des Enterprise Summit [12] präsentieren.

URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-222027

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.aerospace-valley.com/
[2] http://www.topcased.org/
[3] http://www.heise.de/open/artikel/82839/1
[4] http://www.enseeiht.fr/
[5] http://topcased-mm.gforge.enseeiht.fr/index.php
[6] http://en.wikipedia.org/wiki/Model_Driven_Engineering
[7] http://gforge.enseeiht.fr/projects/topcased-mm
[8] http://www.eclipse.org
[9] http://www.eclipse.org/modeling
[10] mailto:odi@heiseopen.de
[11] http://www.heise.de/veranstaltungen/2007/ho_osb/
[12] http://www.heise.de/veranstaltungen/2007/ho_osb/programm/programm.phtml?day=2