Alle Augen auf Petro

Wenn alle möglichen Projekte viel Geld mit ICOs einsammeln, warum dann nicht auch das Land mit den größten Ölreserven der Welt? Venezuela will die erste staatliche Kryptowährung schaffen – und wirft damit viele Fragen auf.

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Von
  • Sascha Mattke
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Venezuela ist ein Land im Niedergang. Zwar verfügt es über die größten belegten Ölreserven der Welt, doch es bekommt immer weniger davon aus dem Boden. Die Jahresinflation betrug zuletzt 13.800 Prozent, der Schwarzmarkt-Kurs der Währung Bolivar zum Dollar stürzt ab, die USA haben Finanzsanktionen verhängt. Innenpolitisch steht der Präsident Nicholas Maduro einer Oppositionsmehrheit in der Nationalversammlung gegenüber, die er jedoch weitgehend entmachtet hat. Für den 20. Mai sind Präsidentschaftswahlen geplant.

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Aus dieser schwierigen Gemengelage will Maduro mit einem modernen Mittel herauskommen: Ende vergangenen Jahres kündigte er die Schaffung einer eigenen Kryptowährung für Venezuela an. Dank staatlicher Unterstützung könnte der so genannte Petro tatsächlich zur weltweit ersten Kryptowährung im engeren Sinn werden – eine, mit der man direkt Produkte, Dienstleistungen und auch Steuern bezahlen kann. Ebenso gut aber könnte er als gescheiterter Großversuch in die junge Geschichte der Initial Coin Offerings (ICOs) eingehen. Denn wie der Rest des Landes macht das Projekt einen chaotischen Eindruck und wirft viele Fragen auf.

Wer neue Kryptowährungen oder Kryptotoken an den Mann bringen will, braucht zunächst einmal ein Whitepaper. Das ist vergleichbar mit dem Emissionsprospekt bei klassischen Börsengängen, allerdings viel kürzer, weniger juristisch formuliert und üblicherweise voller großer Worte. Hier gibt sich die Regierung Maduro keine Blöße. Das anfangs nur auf Spanisch und mittlerweile auch auf Englisch verfügbare Dokument beruft sich auf Maduros Vorgänger, den Revolutionär Hugo Chavez, und schwärmt von einer „unabhängigen, transparenten und offenen digitalen Wirtschaft“.

Kryptowährungen im Überblick (13 Bilder)

Bitcoin

Der Bitcoin ist die bekannteste Kryptowährung; für sie wurde die Blockchain erfunden. Bitcoins nutzen ein Peer-to-Peer-Netzwerk, um ohne Banken oder Behörden auszukommen. Sämtliche Transaktionen und Ausgaben der Bitcoins werden über eine dezentrale Datenbank verwaltet, der Blockchain. Bitcoins sind Open-Source und öffentlich – jeder kann also Teil des Netzwerks werden.

So weit, so üblich – ähnliche Formulierungen findet man in Dutzenden Whitepapers zu geplanten ICOs. Doch in zweierlei Hinsicht ist der Petro besonders, oder soll es zumindest sein: Laut dem Whitepaper ist er besichert mit den riesigen Ölreserven Venezuelas, weshalb sein anfänglicher Preis dem für ein Fass Rohöl aus dem Land, derzeit etwa 60 Dollar, entsprechen soll. Zweitens tut Maduro viel dafür, den Petro zu einem echten Zahlungsmittel zu machen. Laut Medienberichten war eine venezolanische Delegation unter anderem in Indien, um dort Öl mit 30 Prozent Rabatt anzubieten – wenn es mit Petro bezahlt wird.

Auch im Inland wird die Einführung des Petro vorbereitet. So soll die staatliche Ölgesellschaft PDVSA Zahlungen in der Kryptowährung leisten und akzeptieren, und im April besuchte Maduro das Luxushotel Humboldt, das nach eigenen Angaben komplett in Petro abrechnen wird. Ebenfalls im April wurde dekretiert, dass alle Behörden innerhalb von 120 Tagen Petro als offizielles Zahlungsmittel behandeln müssen.

Theoretisch könnte so eine Währung entstehen, mit der die Landeswährung Bolivar, die wegen der extremen Inflation kein Vertrauen mehr genießt, abgelöst wird. Gleichzeitig könnte Maduro mit Krypto-Transaktionen den Finanzsanktionen der USA (und nach der Wahl womöglich anderer Länder) entgehen, die internationale Geschäfte und die Bedienung der hohen Schulden des Landes erschweren. Derzeit warten Anleiheinhaber auf einige Milliarden an Zins- und Tilgungszahlungen, wobei aber nicht klar ist, ob die wirklich wegen der Sanktionen ausbleiben oder wegen schlichten Geldmangels.

Doch zunächst einmal müsste der Petro verbreitete Akzeptanz finden, und davon ist bislang nicht viel zu sehen. „Es gibt hier keine interessanten Nachrichten zum Petro“, schrieb in der zweiten Mai-Woche ein Foren-Nutzer, der nach eigenen Angaben in Venezuela lebt. Zwar verkündete Maduro, im Vorverkauf bereits mehr als 3 Milliarden Dollar eingenommen zu haben, aber einen Beleg dafür gibt es nicht. Zuvor hatte er auch schon einmal von Petro-Bestellungen in Höhe von 5 Milliarden Dollar gesprochen. Amerikanische Anleger jedenfalls dürfen keine kaufen oder handeln, wie Präsident Trump im März per Dekret klarstellte.

Hinzu kommen Ungereimtheiten. Das Whitepaper etwa wurde nach seiner Erstveröffentlichung mehrfach verändert, unter anderem in einem kritischen Punkt: Statt auf der Plattform Ethereum sollen Petros jetzt auf der NEM-Blockchain entstehen. Außerdem ist zwar ständig die Rede davon, dass die Währung mit venezolanischem Öl besichert sei, aber es gibt keinerlei konkrete Informationen darüber, wie und ob der Besitzer eines Petro wirklich den Eintausch gegen ein Fass Öl verlangen kann.

Laut einem Bericht des US-Magazins Time ist das Petro-Projekt letztlich ohnehin eher eine Art Testballon für Russland. Der politische Partner Venezuelas soll sich selbst für eine Kryptowährung interessieren, die Einführung aber vorerst für zu riskant halten. Deshalb habe es Venezuela mit dem Petro vorgeschickt und bei seiner Gestaltung mitgeholfen. Russland dementierte den Bericht.

Wer derzeit in Petro investiert, muss also einigen Mut und Optimismus haben – aber das gilt für die meisten anderen ICOs nicht weniger. Beim Petro allerdings kommt hinzu, dass er aus einem sozialistischen Land stammt, in dem es drunter und drüber geht und das offenbar zunehmend zum Spielball für andere, mächtigere Staaten wird.

(sma)