Alles, was Sie über die Affenpocken-Impfstoffe wissen müssen​

Drei Impfstoffe könnten helfen, den weltweiten Ausbruch der Krankheit zu bekämpfen. Aber können wir uns auf sie verlassen, oder sie überhaupt erhalten?​

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(Bild: FabrikaSimf/Shutterstock.com)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Jessica Hamzelou
Inhaltsverzeichnis

Der weltweite Ausbruch der Affenpocken hat bisher zu mehr als 24.000 Fällen in mehr als 80 Ländern geführt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt, dass sich das Zeitfenster für die Eindämmung der Krankheit und die Verhinderung ihrer Ausbreitung außerhalb Afrikas rasch schließt. Impfstoffe stellen eine womöglich entscheidende Eindämmungsmaßnahme dar.

Die Affenpocken-Impfstoffe werden bereits weltweit eingesetzt. Doch die Nachrichten berichten von einem "Wettlauf", da viele Länder verzweifelt versuchten, sich einen Anteil an den begrenzt verfügbaren Impfdosen zu sichern. Es steht zu befürchten, dass ärmere Länder am Ende wieder ohne Impfstoff dastehen. Gleichzeitig wissen wir noch nicht genau, wie wirksam die Impfstoffe sein werden. MIT Technology Review hat mit Impfstoffherstellern, Virologen und Epidemiologen gesprochen, um Antworten auf die dringendsten Fragen zu erhalten.

Welche Impfstoffe gibt es überhaupt?

Drei Impfstoffe werden zur Bekämpfung des weltweiten Ausbruchs in Betracht gezogen. Alle drei wurden ursprünglich gegen die Pocken (Orthopox variolae) entwickelt. Nur eine Vakzine ist von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) spezifisch für Affenpocken zugelassen, nämlich der Impfstoff MVA-BN von Bavarian Nordic, der in den USA Jynneos heißt.

Ein weiterer Impfstoff, ACAM2000 von Emergent BioSolutions, darf nur dann gegen Affenpocken verwendet werden, wenn vorher zusätzliche Formulare eingereicht wurden. Als dritter Impfstoff kommt LC16m8 von VaxGen in Frage, der in Japan für Pocken zugelassen ist.

Welcher Impfstoff ist der beste?

Der Jynneos-Impfstoff gilt als der sicherste, so dass er in den meisten Regionen wahrscheinlich der Impfstoff der Wahl sein wird, sagt Dorota Kmiec vom Institut für Molekulare Virologie in Ulm. Die Vakzine enthält eine Form des mit den Pocken verwandten Vaccinia-Virus. Dieser abgewandelte Erreger ist nicht in der Lage, sich im Körper zu vermehren, und kann Geimpfte offenbar nicht krank machen.

Im Unterschied dazu enthalten ACAM2000 und LC16m8 beide eine andere Form des Vaccinia-Virus, die sich im Körper durchaus bis zu einem gewissen Grad vermehren kann. Das bedeutet, dass sie das Potenzial haben, Menschen krank zu machen. Diese Impfstoffe werden deshalb nicht für Menschen mit einem schwachen Immunsystem empfohlen und auch nicht für Menschen, die mit immunschwachen Patienten zusammenleben.

Der ACAM2000-Impfstoff wird mit einer Nadel verabreicht, die die Hautoberfläche anritzt und eine Wunde verursacht, die erst nach Wochen heilt. Diese Wunde bildet einen Schorf und kann Viren ausscheiden, weshalb sie ordnungsgemäß gepflegt werden muss. Jynneos hingegen wird durch eine Injektion unter die Haut in zwei Dosen verabreicht und bildet keinen Schorf.

Warum kommen Pockenimpfstoffe zur Abwehr gegen Affenpocken in Betracht?

Sowohl Pocken als auch Affenpocken werden durch Pockenviren verursacht. Sie sind sich ähnlich, und in der Vergangenheit wurden einige von ihnen zum Schutz vor gefährlicheren Viren derselben Familie eingesetzt. "Pocken und Affenpocken haben viele Gemeinsamkeiten. Auf genetischer Ebene sind die beiden Viren zu 85 Prozent identisch", sagt Jason Mercer, ein Pockenvirologe von der britischen Universität Birmingham. Beide können einen charakteristischen Ausschlag mit Pusteln auf der Haut verursachen, die schließlich Schorf bilden.

Aber es gibt auch entscheidende Unterschiede. Im Allgemeinen verursachen die Affenpocken eine weniger schwere Krankheit. Während man davon ausgeht, dass Pocken nur Menschen befallen, können Affenpocken Tiere infizieren, die als "Reservoir" fungieren und von denen aus das Virus auf den Menschen übergehen kann. Die Affenpocken sind eigentlich irreführend so benannt, und heißen nur deshalb so, weil sie zuerst bei Affen entdeckt wurden. Normalerweise infizieren sie Nagetiere.

Die Länder impfen nicht mehr routinemäßig gegen Pocken. Ist das der Grund für den jetzigen Ausbruch der Affenpocken?

Möglicherweise. Wissenschaftler spekulieren, dass das Ende der weit verbreiteten Pockenimpfung in den 1970er Jahren zum heutigen Ausbruch beigetragen haben könnte. "Seitdem die Pockenimpfung eingestellt wurde, haben Häufigkeit und Ausmaß von Pockenausbrüchen sowohl in endemischen als auch in nicht endemischen Ländern in jedem Jahrzehnt zugenommen", sagt Mercer. "[Es gibt] eine weltweite Population von Menschen unter 50 Jahren, die für eine Infektion mit Pockenviren anfällig ist."

Werden die Pockenimpfstoffe vor den Affenpocken schützen?

Es wird erwartet, dass sie das tun. Wenn das Ende der Massenimpfung gegen Pocken zu den aktuellen Pockenausbrüchen beigetragen hat, deutet das darauf hin, dass die Pockenimpfstoffe der Vergangenheit auch einen langanhaltenden Schutz gegen die Affenpocken boten.

Heinz Weidenthaler, Vizepräsident für klinische Strategie bei Jynneos-Hersteller Bavarian Nordic, geht davon aus, dass eine einzige Dosis einen guten Schutz für mindestens zwei Jahre bietet. Sicher kann das allerdings niemand sagen. Denn Jynneos wurde erst nach der Ausrottung der Pocken entwickelt und bisher nur in kleinen Mengen in Mäusen, Affen und Präriehunden gegen Pockenviren, einschließlich der Affenpocken, getestet. Studien mit Menschen, die an Affenpocken erkrankt waren oder zu den Risikogruppen gehören, fanden noch nicht statt.

Stattdessen hat das Unternehmen die durch den Impfstoff ausgelöste Immunreaktion bei gesunden Freiwilligen gemessen und mit dem Ergebnis eines älteren Pockenimpfstoffs verglichen. Frühere Ausbrüche der Krankheit seien zu sporadisch gewesen, um eine kontrollierte Studie durchzuführen, sagt Weidenthaler. "Die einzigen Daten, die wir zur Wirksamkeit haben, stammen aus Tiermodellen", sagt er.

Das ist einer der Gründe, warum die WHO auch andere Schutzmaßnahmen empfiehlt. Letzte Woche empfahl die Organisation zum ersten Mal ausdrücklich, dass Männer, die Sex mit Männern haben – und bisher etwa 98 Prozent der Fälle in diesem Ausbruch ausmachen – die Zahl ihre Sexualpartner einschränken sollten.

"Die Impfung ist eines der wichtigsten Instrumente, die uns zur Verfügung stehen, um den Ausbruch der Affenpocken einzudämmen, aber sie kann nicht das einzige sein", betont Kmiec. Die Überwachung der Krankheit und eine schnelle Diagnose seien ebenfalls von entscheidender Bedeutung, um herauszufinden, wer geimpft werden sollte, und eine klare Kommunikation über die Risiken einer Exposition ist ebenfalls wichtig, sagt sie.

Wie wirksam werden die Impfstoffe voraussichtlich sein?

Auf der WHO-Website heißt es: "Die Wirksamkeit der Pockenimpfung bei der Vorbeugung von Affenpocken wurde in mehreren Beobachtungsstudien als etwa 85 Prozent bestimmt". Diese Zahl stammt aus Untersuchungen aus den Achtziger Jahren, als Wissenschaftler einen Ausbruch der Affenpocken in der heutigen Demokratischen Republik Kongo untersuchten.

Die Untersuchung konzentrierte sich auf 147 Personen, die an Affenpocken erkrankt waren und die Infektion an 47 der 1.573 Personen weitergaben, mit denen sie in engem Kontakt standen. Die "Ansteckungsrate", also das Risiko, sich anzustecken, war bei den nicht geimpften Kontaktpersonen um 85 Prozent höher, so das Team. Die Studie war allerdings klein und hatte nicht zum Ziel, die Wirksamkeit der Impfstoffe direkt zu testen. "Ich denke, dass diese Schlussfolgerung etwas weit hergeholt ist", sagt Weidenthaler. "Aber das ist alles, was wir im Moment haben."

Kmiec weist darauf hin, dass andere Studien eine geringere Inzidenz von Pocken bei Menschen zeigen, die mit Pockenimpfstoffen behandelt wurden, obwohl sie nicht vollständig geschützt sind. Eine Untersuchung eines Pockenausbruchs in der Demokratischen Republik Kongo Mitte der 1990er Jahre ergab beispielsweise, dass 15 Prozent der 84 erkrankten Personen zuvor geimpft worden waren. Tierstudien deuten darauf hin, dass der Impfstoff einen "80- bis 100-prozentigen" Schutz gegen die Krankheit bietet, so Weidenthaler. "Aber wir hatten bisher einfach keine Gelegenheit, ihn in Menschen zu testen".

"Was wir jetzt tun müssen, ist, die Beweise zu sammeln und den Impfstoff als Vorsichtsmaßnahme in den Ländern einzusetzen, die sich dafür entschieden haben", sagt David Heymann, ein Epidemiologe für Infektionskrankheiten an der London School of Hygiene and Tropical Medicine, der Ausbrüche von Affenpocken untersucht hat.

Gibt es genug Impfstoff für alle?

Nach Angaben der WHO stehen weltweit 16 Millionen Dosen des Impfstoffs zur Verfügung. Die meisten werden als sogenannte Bulk- oder Massenware in wenigen Großbehältern bei niedrigen Temperaturen aufbewahrt, so dass sie über lange Zeiträume gelagert werden können. Der Impfstoff muss dann einen "Abfüll- und Fertigstellungsprozess" durchlaufen, bei dem die einzelnen Fläschchen für die Impfung vorbereitet werden. Dieser Prozess wird laut WHO mehrere Monate dauern.

In Anbetracht des begrenzten weltweiten Angebots wurden bereits Bedenken laut, dass die wohlhabenden Länder analog zu den Erfahrungen mit den Covid-19-Impfstoffen auch den Pockenimpfstoff horten könnten. Bavarian Nordic verfügt derzeit über 250 Liter der Impfstoffformulierung, was für etwa 15 Millionen Dosen ausreicht, sagt Firmenvertreter Rolf Sass Sørensen. "Aber das ist alles Eigentum der USA", sagt er.

Bavarian Nordic wurde Anfang der Nuller Jahre beauftragt, einen sichereren Pockenimpfstoff für die USA zu entwickeln, da man befürchtete, dass Pocken als bioterroristische Waffe gegen das Land eingesetzt werden könnten, sagt Sørensen. Seitdem hat das Unternehmen Jynneos für das Land hergestellt und gelagert.

Sørensen bestreitet, dass es bisher zu Engpässen bei der Lieferung des Impfstoffs gekommen ist. Das Unternehmen habe alle Anfragen erfüllt, die es seit Beginn des Ausbruchs erhalten habe, sagte er am 28. Juli – darunter auch Anfragen aus allen betroffenen Ländern. "Wir haben bisher keine Anfragen erhalten, die unsere derzeitigen Kapazitäten übersteigen", so der Firmenvertreter. "Wir haben aus mehreren Quellen gehört, dass es einen Engpass gibt, aber wir glauben, dass es sich dabei in Wirklichkeit um ein Schreckgespenst handelt".

Die Fähigkeit, diese Dosen zu liefern, war allerdings zu einem großen Teil Glückssache, sagt Sørensen. "Als der Ausbruch kam, hatten wir, wirklich zufällig, zwei Millionen Dosen unseres eigenen Impfstoffs als Bulkware [zusätzlich zu dem, der den USA gehört], und der wurde sofort in Fläschchen umgefüllt", sagt er. "Das war es, was wir zu verkaufen begannen." Jetzt sind nur noch "sehr wenige" dieser Dosen übrig, aber das Unternehmen hat die Produktion hochgefahren, fügt er hinzu.

Werden die bevorrateten Impfstoffe geteilt werden?

Hoffentlich. Zusätzlich zu den von Bavarian Nordic gelagerten Impfstoffen umfasst der Strategic National Stockpile der USA, ein Notvorrat an Medikamenten und medizinischen Hilfsgütern, Millionen von Dosen ACAM2000 und Tausende von Dosen Jynneos.

Es wird angenommen, dass weitere Länder über Pockenimpfstoffvorräte verfügen. "Ich glaube nicht, dass wirklich bekannt ist, welche Länder über Vorräte verfügen und wie viel Impfstoff sie haben, aber es sind nicht nur die USA", sagt Heymann.

Die WHO hat die Länder mit Impfstoffvorräten dazu aufgerufen, ihre Dosen mit anderen zu teilen, die keine haben. Einige Wissenschaftler haben darauf hingewiesen, dass die Affenpocken-Impfstoffe den afrikanischen Ländern, in denen das Virus endemisch ist, nicht zur Verfügung gestellt wurden.

"Ich denke, wir alle müssen uns Gedanken über den gleichberechtigten Zugang zu Impfstoffen machen", sagt Heymann. Er verweist jedoch auf die Tatsache, dass diese Impfstoffe ursprünglich für die Bevorratung entwickelt wurden. "Sie wurden an Länder verkauft, um Vorräte für den Fall anzulegen, dass die Pocken als bioterroristische Waffe eingesetzt würden", sagt er.

Ohne das Bestreben, Impfstoffvorräte anzulegen, gäbe es Jynneos nicht. "Das ist eine echte Zwickmühle", sagt Hermann. "Es ist ein kompliziertes Thema. Wir brauchen [Anreize und finanzielle Unterstützung für die Herstellung] dieser Impfstoffe, aber gleichzeitig müssen wir sie so weit wie möglich verbreiten."

(jle)