Andocksperre für HI-Viren

Dank moderner Medikamente, die das Virus im Körper der Patienten im Zaum halten, sind eine Infektion und selbst der Ausbruch der AIDS-Krankheit kein Todesurteil mehr. Neue Therapie-Ansätze sollen Patienten dauerhaft heilen.

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Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Dank moderner Medikamente, die das Virus im Körper der Patienten im Zaum halten, sind eine Infektion und selbst der Ausbruch der AIDS-Krankheit kein Todesurteil mehr. Neue Therapie-Ansätze sollen Patienten dauerhaft heilen.

Wenn dieser Tage Forscher aus allen Regionen der Erde zur Welt-AIDS-Konferenz in Wien zusammen kommen, werden sie eines sicher erneut konstatieren: Wer sich heutzutage mit dem HI-Virus ansteckt und Zugang zu modernen Medikamenten hat, hat gute Chancen, trotz seiner Infektion alt zu werden. Er wird sehr wahrscheinlich nicht an der vom Virus ausgelösten Immunschwäche-Krankheit AIDS sterben, denn die Mittel hindern das Humane Immundefizienz-Virus zum Beispiel daran, sich im Körper der Patienten zu vermehren.

Dafür müssen die Betroffenen allerdings ein Leben lang einen umfangreichen Medikamenten-Cocktail einnehmen – und das ist teuer. Die Krankheit kehrt ohne die Mittel – oder wenn diese nach einer erneuten Mutation des Erregers nicht mehr wirken – unweigerlich zurück, denn das Virus wird nicht komplett ausgerottet: Das eingeschleuste Viren-Erbgut ist nicht in allen infizierten Immunzellen aktiv, in manchen ruht es wie ein Schläfer und erwacht später wieder, um die Immunabwehr erneut auszuhebeln.

Deshalb arbeiten Forscher wie Paula Cannon von der University of Southern California in Los Angeles mit Hochdruck daran, die Gefahr durch diese Schläfer zu eliminieren und Patienten ein Leben ohne Medikamente zu ermöglichen. Cannon will die Zielzellen des HI-Virus uneinnehmbar für die Attacken des Erregers machen. Normalerweise kann das Virus bequem an die Oberfläche der sogenannten CD4-Immunzellen andocken – das sind weiße Blutkörperchen, die für die Koordination der Körperabwehr verantwortlich sind –, sie entern und auf diese Weise das gesamte Immunsystem aushebeln. Die Wissenschaftlerin will das verhindern, indem sie den Patienten gentechnisch verstärkte CD4-Zellen verabreicht.

Ihr Experiment, für das sie gerade 4,5 Millionen US-Dollar an Forschungsgeldern erhalten hat, sieht so aus: Sie hat ein Enzym in menschliche Immun-Stammzellen eingeschleust und damit die Bildung von einem – aus Virussicht unerlässlichen – Ankerprotein auf den Zelloberflächen verhindert. Die Enzym-Behandlung wirkt bei weitem nicht in allen Zellen, aber das muss sie auch nicht. Wenn Cannons Plan funktioniert, wird auch ein kleiner Prozentsatz an modifizierten Stammzellen reichen, weil auf Dauer nur diejenigen CD4-Zellen überleben, die sich aus den erfolgreich modifizierten Stammzellen entwickelt haben. Langfristig würden dem Virus also die Ziele ausgehen. Ganz egal, wie viel Erreger dann aus den Schläfer-Zellen nachkommen, sie würden keine Wirtszellen mehr finden, die sie entern können.

Cannon arbeitet mit besonderen Versuchstieren: Ihre Labormäuse wurden so gezüchtet, dass sie keine eigenen Immunzellen bilden können. Solche Nager werden in der Forschung häufig verwendet, weil ihr Immunsystem mit Zellen aufgebaut werden kann, die mit neuen Eigenschaften ausgerüstet wurden. Im kalifornischen Labor erhielten die Mäuse zuerst die modifizierten menschlichen Abwehr-Stammzellen und anschließend eine Dosis HI-Viren. Wie erwartet stürzten sich die Erreger auf die CD4-Zellen und drangen in all jene ein, die das fragliche Ankerprotein noch besaßen. Ein Teil der Stammzellen aber produzierte anscheinend beharrlich ankerlose und damit uneinnehmbare CD4-Zellen.

Laut Cannon sind die ersten Ergebnisse recht ermutigend. Sie plant bereits Versuche mit menschlichen Patienten. Sobald die US-Arzneimittelaufsicht FDA grünes Licht gibt, will sie ihre Therapie an Probanden testen, die sowohl an AIDS als auch an einer Krebs-Art leiden, die eine Knochenmarktransplantation erfordert. Bei dieser Behandlung wird nämlich nichts anderes verpflanzt, als eine Dosis von Immun-Stammzellen – in Cannons Fall wären es dann die ihrer Anker beraubten Abwehrzellen.

Warum diese besondere Patienten-Gruppe? Weil sie die Knochenmark-Transplantation auf jeden Fall benötigen. Für die Behandlung von AIDS-Patienten, die Krebs-frei sind, wäre die Erlaubnis für den immer noch ziemlich riskanten Eingriff in das Immunsystem wohl nicht auf Anhieb zu erhalten. Es ist nur ein erster Schritt, wenn es klappt, sagt Cannon. Aber die 47-jährige hat ihr Ziel fest im Blick: "Ich will AIDS bis zu meinem 50. Geburtstag heilbar machen." (vsz)