Angeblicher Durchbruch bei Kernfusion lässt viele Fragen offen

Das Rüstungsunternehmen Lockheed Martin will dem Traum von einem kommerziell einsetzbaren Fusionsreaktor ein großes Stück näher gekommen sein. In den Augen von Experten mangelt es jedoch an Belegen dafür.

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Von
  • David Talbot

Das Rüstungsunternehmen Lockheed Martin will dem Traum von einem kommerziell einsetzbaren Fusionsreaktor ein großes Stück näher gekommen sein. In den Augen von Experten mangelt es jedoch an Belegen dafür.

Völlig überraschend gab der US-Konzern Lockheed Martin vergangene Woche bekannt, in einem Geheimprojekt ein viel versprechendes Design für einen kompakten Kernfusionsreaktor entwickelt zu haben. Ein echter Durchbruch in diesem Bereich könnte die Welt verändern, doch Experten zeigen sich gegenüber den Behauptungen von Lockheed Martin ausgesprochen skeptisch.

Mittels Kernfusion ließe sich theoretisch weitaus mehr Atomenergie weitaus sauberer gewinnen als mit der heute üblichen Kernspaltung. Doch auf dem Weg dorthin gibt es gewaltige Hürden, und dass Lockheed Martin sie wirklich überwinden kann, ist nicht klar belegt. Die bislang ungelöste Herausforderung besteht darin, Wasserstoffplasma so einzuschließen, dass die Atomkerne mit einer hohen Rate fusionieren und so eine verwertbare Menge Energie abgeben. Trotz mehrere Jahrzehnte Forschung hat es bislang niemand geschafft, bei Fusionsexperimenten mehr Energie freizusetzen, als für das Experiment selbst erforderlich war.

Bei den meisten Forschungsprojekten wird versucht, heißes Plasma innerhalb von Magnetfeldern in einer ringförmigen Anlage mit der Bezeichnung Tokamak zu halten. In den USA gibt es drei solcher Forschungsreaktoren: einen am MIT, einen an der Princeton University und einen in einem Labor des Energieministeriums in San Diego. Der größte Tokamak der Welt, das internationale Projekt ITER, wird derzeit in Frankreich gebaut; er soll rund 40 Milliarden Euro kosten.

Leiter des Projekts bei Lockheed Martin ist Tom McGuire. In einem Interview sagte er, das Unternehmen habe eine kompakte Bauform mit der Bezeichnung High-Beta-Fusionsreaktor entwickelt, die auf dem Prinzip so genannter Magnetspiegel basiert. Bei diesem Verfahren wird versucht, Plasma festzuhalten, indem Partikel von Magnetfeldern mit hoher Dichte in weniger dichte reflektiert werden.

Nach Angaben von Lockheed Martin ist der eigene Testreaktor nur zwei mal einen Meter groß und damit weitaus kleiner als andere Forschungsreaktoren. "Mit einem kleineren Reaktor kann man leichter Veränderungen vornehmen, neues Wissen einsetzen, schneller entwickeln und riskantere Entscheidungen treffen. Das ist ein deutlich leistungsfähigeres Entwicklungsparadigma und deutlich weniger kapitalintensiv", sagte McGuire. Im Erfolgsfall solle ein Reaktor mit 100 Megawatt Leistung entstehen, der auf einen Lkw-Anhänger passt. "Es gibt keine Garantie, dass wir das schaffen, aber die Möglichkeit besteht."

Der Lockheed-Reaktor wird von einem kleinen Team in einem speziellen Bereich für Geheimprojekte (so genannte Skunk Works) in Kalifornien entwickelt. Laut McGuire gab es bislang 200 Durchläufe mit Plasma. "Es sieht so aus, als würde es tun, was es soll", sagt er, legt aber keine Daten dazu vor. Zusammen mit Forschungspartnern könne Lockheed Martin innerhalb von fünf Jahren einen Prototypen und innerhalb von zehn Jahren kommerziell einsetzbare Kraftwerke bauen. Schon jetzt spricht das Unternehmen davon, dass Fusionsreaktoren eines Tages Schiffe und Flugzeuge antreiben könnten.

Unabhängige Wissenschaftler aber sind noch nicht überzeugt. Zum Beispiel Ian Hutchinson, Professor für Kernforschung und Ingenieurswesen am MIT und einer der leitenden Forscher beim MIT-Fusionsreaktor: Nach seinen Worten ist die Art der Plasmafalle, die Lockheed Martin benutzt, seit langem bekannt und hat keine echten Fortschritte gebracht.

Wie Hutchinson einschränkt, kann er nur kommentieren, was das Unternehmen veröffentlicht hat – einige Bilder, Diagramme und Anmerkungen, zu finden auf seiner Website. "Auf dieser Grundlage würde ich sagen, sie beschäftigen sich nicht mit der grundlegenden Physik von Fusionsenergie mit magnetischem Einschluss. Ich bin deshalb sehr skeptisch, ob sie wirklich etwas Interessantes anzubieten haben", sagt der Professor. "Es erscheint mir hochgradig spekulativ – so als würde jemand einen Comic zeichnen und sagen, er will damit zum Mars fliegen."

Hutchinson weiter: "Natürlich wären wir erfreut, wenn ein echter Durchbruch möglich wäre. Aber wenn jemand nicht einmal erkennen lässt, dass er die Probleme verstanden hat, und dann mutig behauptet, dass er eben einen kleineren Reaktor baut, der deshalb schneller fertig sein wird, dann frage ich mich: Warum glaubt er, das zu können? Und wenn es keine Antwort auf diese Frage gibt, sind wir sehr skeptisch."

Lockheed Martin ist nicht das einzige Unternehmen, das an kleineren und billigeren Fusionsreaktoren arbeitet. Tri-Alpha aus Kalifornien zum Beispiel testet einen linear angelegten Reaktor. Helion Energy aus dem US-Bundesstaat Washington arbeitet an einem System, das Plasma mit einer Kombination aus Komprimierung und Magneten einsperren soll. Und Lawrenceville Plasma Physics aus New Jersey experimentiert mit einem Reaktordesign namens "dichter Plasmafokus".

Ein weiteres Start-up im Bereich Kernfusion ist General Fusion aus Kanada. Hier wird versucht, Plasma mit Kolben zu kontrollieren, die eine wirbelnde Masse aus geschmolzenem Blei und Lithium komprimieren. Diese dient zugleich als Kühlmittel, das Hitze von den Fusionsreaktionen abführt und durch konventionelle Dampfgeneratoren zirkulieren lässt, in denen Turbinen Strom erzeugen. (bsc)