Antje Boetius über die Biodiversität der Mikroorganismen
Die Direktorin des AWI plädiert dafür, Mikroben mehr zu beachten. Im Interview mit MIT Technology Review spricht sie über den Wert von Netzwerken.
Wer das Artensterben und den Klimawandel bremsen wolle, müsse in seinen Kalkulationen auch die Mikroorganismen berücksichtigen, plädiert die prominente Direktorin des bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts Antje Boetius.
Auch die ganze Kleinen beachten
Die kleinsten Bewohner der Erde reagieren erheblich auf Temperaturänderungen, Dürre und Überflutungen. Gemeinsam mit 31 anderen Mikrobiologinnen und -biologen aus aller Welt hat sie in der Fachzeitschrift Nature appelliert, die zentrale Rolle und globale Bedeutung der Mikroorganismen in der Biologie des Klimawandels nicht zu unterschätzen – und ihre Diversität in Blick zu behalten.
Menschengemachtes Verhalten wirke sich negativ auf die Wildtypenvielfalt unter den Mikroorganismen aus und das sei relevant, da das Leben nicht nur eine Ansammlung einzelner Arten sei. Antje Boetius vergleicht die Erde mit einem blauen Raumschiff – das Leben darauf gehöre zur Besatzung.
Wenn einzelne Besatzungsmitglieder ausfallen – seien sie auch noch so klein – könne das katastrophale Folgen habe, so die Expertin im TR-Interview. „Ein leuchtendes Beispiel, wie es so richtig schief gehen kann mit dem Verhältnis von Mikroben zu ihren Wirten, sind die tropischen Korallenriffe“, sagt Boetius. Auch mit dem Schmelzen des arktischen Meereises gehe ein enormer Verlust von Vielfalt einher. Diese sterbenden Lebenszonen haben wiederum Einfluss auf Stoffkreisläufe in der Umgebung. Für Rückkopplungsmechanismen gebe es viele Beispiele, allerdings noch keine globale Erfassung.
Einflussmöglichkeiten des Menschen
Klar ist jedoch: Das Netzwerk aus mikro- und makroskopischen Organismen reagiert gemeinschaftlich und wir können etwas für den Erhalt der mikrobiellen Biodiversität tun. „Durch die Art und Weise, wie wir mit der Umwelt umgehen, was wir als Putzmittel benutzen, wie warm es zu Hause ist, wie trocken der Boden wird, welche Samen wir aussähen“, könnten wir die Diversität des Mikrobioms aktiv beeinflussen, so die Meeresbiologin.
Um uns zu schützen, müsse forschungspolitisch dem Monitoring und dem Verständnis der Biodiversität derselbe Wert beigemessen werden wie der Klimaforschung, fordert sie: „Es gibt zu wenig Förderprogramme und viel zu wenig Regionen der Erde, wo Biodiversitätsforschung stattfindet.“
Inwiefern wir Menschen effektiver als ein Meteoriteneinschlag sind, welche Rolle Biotechnologie beim Schutz des Mikrobioms spielen wird und ob überhaupt jede Form der Diversität hilfreich ist, lesen Sie im Interview mit Antje Boetius in der aktuellen Ausgabe 05/2022 von MIT Technology Review (im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich). (jsc)