Apps als Jungbrunnen

Der traditionsreiche Design-Software-Anbieter Autodesk hat sich mit Smartphone- und Tablet-Anwendungen ein neues Geschäftsfeld aufgebaut.

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Von
  • Brian Bergstein

Der traditionsreiche Design-Software-Anbieter Autodesk hat sich mit Smartphone- und Tablet-Anwendungen ein neues Geschäftsfeld aufgebaut.

Als Chris Cheung und Thomas Heermann, Mitarbeiter der Softwarefirma Autodesk, erstmals ihre neue iPhone-Zeichenanwendung vorführten, ernteten sie von ihren Kollegen skeptische Blicke: Warum würde irgendwer auf diesem kleinen Bildschirm malen wollen? Und was würde eine 3 Dollar teure App einem Konzern bringen, der momentan im Jahr zwei Milliarden umsetzt?

Zwei Jahre später gehören die Autodesk-Programme für Smartphones und Tablets mit über sieben Millionen Downloads zu den Bestsellern im Repertoire des CAD-Spezialisten. Der Umsatz ist mit vielleicht 15 Millionen Dollar zwar vergleichsweise klein. Doch es geht bei dieser Erfolgsstory um mehr als nur Geld: Mit seinem ersten Hit bei Otto-Normal-Verbraucher hat Autodesk nun mehr Kunden als in den 29 Jahren zuvor.

"Das ist die beste Werbung, die wir seit Jahren bekommen konnten", meint Firmenchef Carl Bass. Die eigenen Apps helfen Autodesk außerdem, ein schnell wachsendes neues Publikum zu erreichen, das vor allem Tablets und Smartphones verwendet. Im vergangenen Jahr hat Autodesk extra eine neue Abteilung für Consumer-Produkte gegründet, die nun Programme wie SketchBook und andere Design-Werkzeuge weiterentwickelt, für die man keinen High-End-Rechner braucht.

Die Entstehungsgeschichte der Autodesk-Apps sind eine Erinnerung daran, dass auch Firmendinos innovativ bleiben können – und zwar durchaus auf überraschende Art und Weise. "Wir können Innovationen nicht institutionalisieren. Wenn das ginge, würde das jeder machen", meint Bass. Er gibt zu, dass er dem Projekt selbst wohl kaum ein großes Budget an die Hand gegeben hätte. "Aber wissen Sie was? Das haben zwei Leute gemacht, ohne überhaupt um Erlaubnis zu bitten."

Als Cheung, ein Autodesk-Produktmanager, zusammen mit seinem Chef Heermann im Jahr 2008 die Verantwortung für SketchBook übernahm, war es ein Mal- und Zeichenprogramm für PCs und ein Nischenprodukt für Autodesk. Die Softwarefirma kannte man sonst vor allem für seine High-End-Lösung AutoCAD, die Architekten und Ingenieure nutzen. Bei einem Preis von rund 100 Dollar generierte SketchBook eher wenig Interesse im Handel. Die Aufgabe von Cheung und Heermann, die beide im Büro Toronto von Autodesk arbeiten, war es nun, das nächste reguläre Update vorzubereiten – fernab der Firmenzentrale im kalifornischen San Rafael.

Kurz zuvor hatte Apple sein iPhone um Programmierschnittstellen für externe Entwickler erweitert. Cheung fragte sich, ob SketchBook darauf laufen könnte. Mit Einverständnis seines Chefs bat er die Entwickler, dieser Frage nachzugehen, sobald sie mit ihrer regulären Arbeit an der PC-Version fertig waren. Unterdessen brachten kleine Konkurrenten erste Zeichenprogramme für das iPhone heraus – und beantworteten die Frage, ob Nutzer auf dem kleinen Bildschirm zeichnen würden, mit einem klaren "ja".

Trotzdem blieb das Projekt zunächst klein. Obwohl Cheung und Heermann die Steuer-, Rechts- und Buchhaltungsteams einbinden mussten, bevor SketchBook in Apples App Store eingestellt werden konnte, hatten sie nie eine formale Präsentation beim Top-Management hinter sich gebracht. Heermann sagt, CEO Bass habe die App nur einmal gesehen, bevor sie veröffentlicht wurde – auf dem Flur, als sie sich begegneten. "Der Chef sagte nur: Cool, ich mag sie."

Als die SketchBook-App im September 2009 schließlich erschien, erhofften sich Cheung, 40, und Heermann, 47, vielleicht 100.000 Downloads im Jahr. Die erste Million war nach 50 Tagen erreicht. Plötzlich wurden ihnen die Möglichkeiten bewusst: Sie kümmerten sich schnell um eine iPad-Version, die auch gleich zum Start des Tablets im April 2010 verfügbar war.

Heermann glaubt, dass das Timing der neuen App-Strategie sich als kritisch erweisen könnte, weil Endkunden-Produkte mittlerweile auch im Arbeitsleben um sich greifen. Der Trend gehe zur sogenannten "Consumerization". Diese Veränderung setzt alteingesessene Firmen unter Druck: Nachdem Autodesk nun zu den großen App-Herstellern gehört, müsse das Unternehmen dies nicht mehr so stark fürchten. Und Heermann ist mittlerweile Direktor für Consumer-Produkte bei Autodesk: "Wir haben dabei geholfen, die Firma fit für die Zukunft zu machen." (bsc)