Auf die Beine, fertig, los

Für Querschnittsgelähmte wird der Traum vom Gehen greifbar. Elektronisch gesteuerte Außenskelette erhalten Einzug in die Rehabilitation, auch für den privaten Gebrauch gibt es erste Modelle.

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Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Für Querschnittsgelähmte wird der Traum vom Gehen greifbar. Elektronisch gesteuerte Außenskelette erhalten Einzug in die Rehabilitation, auch für den privaten Gebrauch gibt es erste Modelle.

Mit seinen gebeugten Knien und leicht nach vorn geneigtem Rumpf mutet das elegante schwarze Exoskelett (Außenskelett) der US-Firma Ekso Bionics richtig menschenähnlich an. Der 100.000 Dollar teure Aluminium-Gehrahmen lässt sich wie ein Kleidungsstück anziehen und mit Klettverschluss-Gurten am Körper festschnallen.

Angetrieben von einer Lithium-Ionen-Batterie in einem Rucksackkasten, bewegen auf jeder Seite je zwei Servo-Motoren den Hüft- und Kniebereich. Die Füße laufen passiv mit. Das Exoskelett lässt sich auf Körpergrößen zwischen 1,50 und 1,90 Meter einstellen und ist für maximal 100 Kilogramm schwere Menschen ausgelegt. Das Modell kommt jedoch längst nicht für alle Querschnittsgelähmten infrage. Wer es nutzen will, muss etwa über genügend Kraft in den Armen verfügen, seine Bewegungen jenseits der Beine selbst koordinieren können und darf keine durch Osteoporose geschwächten Knochen haben.

Seit ein schwerer Skiunfall Amanda Boxtel 1992 an den Rollstuhl fesselte, hat sie oft versucht, in die Zukunft zu schauen: Welche Technik könnte ihr wieder auf die Beine helfen? "Ich habe mich gefragt, ob es ein Robotersystem sein würde. Dann bekam ich diesen Anruf." Ekso Bionics aus Kalifornien fragte 2010 an, ob Boxtel Testpilotin für das elektrische Exoskelett des Unternehmens werden wolle. Und wie die ehemalige Grundschullehrerin wollte.

Eksos Gehmaschine ist eine von vier Exoskeletten, die bereits in Reha-Zentren benutzt werden. Sie sollen Querschnittsgelähmten beim Bewegungstraining helfen. Das Bauprinzip ist bei fast allen ähnlich: Aluminium und Kunststoff ersetzen die Knochen, Motoren und Batterien die Muskeln, Kabel die Nervenstränge. Ähnlich wie Rezeptoren erkennen ausgeklügelte Sensorsysteme, wann der nächste Schritt ausgelöst werden muss und wie hoch die Treppen sind.

Was die Gehmaschinen den Gelähmten ermöglichen, unterscheidet sich jedoch erheblich. Eksos Gerät kann bisher nur auf ebener Erde laufen und das auch nur mit ständiger Hilfe eines Technikers. Dafür lässt es sich an die Körpergröße anpassen und ist leichter anzuziehen. Mit dem "ReWalk" von Argo Medical Technologies aus Israel lassen sich Treppen erklimmen, die Schritte löst der Patient selbst mit einer Fernbedienung am Handgelenk aus.

Am benutzerfreundlichsten ist das ebenfalls treppensteigende "Rex" von Rex Bionics in Neuseeland: Es ist per Joystick steuerbar und stabilisiert sich als einziges System ohne Krücken selbst. Anders als diese Gehhilfen benötigt das Ganzkörper-Exoskelett HAL der japanischen Firma Cyberdyne Muskelsignale zur Steuerung der Motoren, deshalb eignet es sich nicht für Querschnittsgelähmte.

Das Training mit einem Exoskelett wirkt, berichten zumindest die Testpiloten verschiedener Hersteller. Die Folgeschäden der langen Zeit im Rollstuhl hätten sich bedeutend gebessert. Harnwegsinfektionen werden seltener, die Verdauung arbeitet besser, die Durchblutung der Beine nimmt zu. Solche Berichte sind bisher jedoch anekdotisch, Ärzte und Ingenieure wie Rüdiger Rupp, Leiter der Experimentellen Neurorehabilitation am Uniklinikum Heidelberg, begrüßt daher, dass erste Langzeitstudien anlaufen. Seine Sorge: "Übertreiben die Patienten das Gehen, können Gelenküberlastungen auftreten."

Selbst wenn die Studien positiv ausfallen: Ob die Gehmaschinen allen Querschnittsgelähmten helfen werden, bezweifelt Rupp. "Als Ingenieur finde ich die Maschinen genial. Aber sie nutzen nur einem eingeschränkten Patientenkollektiv." Für eine Erfolg versprechende Reha etwa dürften nicht alle Rückenmarksnerven durchtrennt sein. Nur dann können die unbeschädigten darauf trainiert werden, die Funktion der durchtrennten zu übernehmen. Dafür seien jedoch Gehhilfen wie der in Heidelberg entwickelte Lokomat besser geeignet, glaubt Rupp. Mit ihm können Patienten auf einem Laufband gehen, während ein Gurtsystem den Körper mitträgt und die Beine entlastet.

Die zweite Alternative wäre, dass Exoskelette zunehmend den Rollstuhl ersetzen. "Viele wollen ein Exoskelett für ihr häusliches Umfeld", sagt der Ingenieur. Aber auch dann dürfe die Rückenmarksverletzung nicht zu weit oben liegen. Wer seine Hüfte nicht stabilisieren kann, muss sein Gewicht stärker auf die Krücken verlagern. Dadurch können die Schultergelenke Schaden nehmen. Rupp schätzt, dass unter Berücksichtigung dieser und weiterer Ausschlusskriterien – wie zu wenig Kraft im Oberkörper und unkontrollierte Bewegungen (Spastik) – ein Exoskelett in Deutschland nur für 7000 Menschen infrage kommt.

Allerdings kosten die Klinik-Versionen allesamt über 100.000 Euro, die Modelle für den persönlichen Gebrauch minimum 52.500 Euro. Deshalb arbeitet Homayoon Kazerooni von der University of California in Berkeley an einem billigeren Exoskelett, das mit bereits erhältlichen Bauteilen arbeitet. Sein Ziel: Möglichst viele Querschnittsgelähmte sollen sich den Traum vom Gehen erfüllen können. (vsz)