"Aufhören, so viel Angst vor Phagen zu haben": Viren im Kampf gegen Resistenzen

Phagen – winzige Lebewesen, die Bakterien infizieren – wurden vor über 100 Jahren entdeckt, aber als Therapie weitgehend aufgegeben. Nun kommt es zum Comeback.

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Phagen

Phagen (Illustration).

(Bild: Shutterstock / ART-ur)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Jessica Hamzelou
Inhaltsverzeichnis

Das Mikrobiom spielt eine wichtige Rolle für unsere Gesundheit. Milliarden Mikroorganismen im Körper beeinflussen nahezu alles im Körper – von der Verdauung über das Immunsystem bis hin zu unserer Stimmung. Aber es gibt noch andere, recht merkwürdige Strukturen, die sich bei uns einnisten: Bakteriophagen – oder kurz Phagen. Das sind mikroskopisch kleine Viren, die noch kleiner sind als unsere Darmmikroben. Diese Viren infizieren Bakterien und verwandeln sie in Fabriken, die noch mehr Phagen herstellen.

Dass es sie gibt, ist schon seit über hundert Jahren bekannt – und eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern erkannte schnell ihr Potenzial. Da diese Viren Bakterien abtöten können, sollten sie zur Behandlung einer ganzen Reihe von bösartigen bakteriellen Infektionen eingesetzt werden. Doch so kam es dann nicht.

Nur wenige Jahrzehnte nach ihrer Entdeckung wurden Phagen als Therapie zugunsten der Antibiotika weitgehend aufgegeben. Aber das ändert sich nun langsam. Da Antibiotika zunehmend versagen und die tödliche Bedrohung durch antimikrobielle Resistenzen immer größer wird, steigt das Interesse an der Phagenmedizin. Bevor wir sie jedoch adäquat einsetzen können, müssen wir noch viel lernen. Hinzu kommt, dass bei Menschen Ängste gegenüber Viren bestehen: Wer würde schon gerne eine Medikament bestehend aus infektiösen Partikeln schlucken?

"Es gibt da einen Ekelfaktor", sagt Chloe James, eine Mikrobiologin, die an der Universität von Salford im Vereinigten Königreich zum Thema Phagen erforscht. Diese unterschieden sich allerdings von Viren, die uns infizieren, wie z. B. Grippe-, Ebola- oder COVID-19-Viren. Stattdessen infizieren Phagen ganz speziell Bakterien.

Beide Biologien haben sich nebeneinander entwickelt – wo immer es Bakterien gibt, sind auch Phagen zu finden, die sie infizieren. In der Tat findet man sie fast überall, wo man hinschaut. "Phagen sind unglaublich vielfältig und der am häufigsten vorkommende Organismus auf unserem Planeten, also sind sie buchstäblich überall", sagt James.

Viele Phagen wirken, indem sie sich auf das Bakterium "stürzen" und ihre eigene DNA in das Innere injizieren. Dort kann sich die DNA replizieren. Schließlich platzt das Bakterium selbst und setzt eine Explosion von Phagen frei. Allerdings arbeiten nicht alle Phagen auf diese Weise. Einige bauen auch ihre Gene in die DNA von Bakterien ein. Dies kann die Bakterien daran hindern, sich zu vermehren – oder ihnen sogar andere Kräfte verleihen, wie die Fähigkeit, eine noch tödlichere Krankheit zu verursachen oder gegen die Wirkung von Antibiotika resistent zu sein.

All das ist komplex. Zum einen, weil es so viele Phagen gibt, zum anderen, weil sie alle unglaublich spezifisch zu agieren scheinen. Sie infizieren zum Beispiel nur bestimmte Bakterienstämme. Aber wenn man den richtigen Phagen für den richtigen Bazillus findet, ist das Potenzial für die Phagentherapie enorm.

Mehrere Citizen-Science-Projekte sind daher im Gange, um Menschen zu ermutigen, die Phagen in ihrer Umgebung zu erforschen, ob sie nun in der Gartenerde oder in der Komposttonne lauern. Die meisten Phagen, die in Biobanken katalogisiert werden, stammen aus Abwässern. Einige davon haben sich bereits als äußerst nützlich erwiesen.

Im Jahr 2010 nahm Lilli Holst, Studentin an der Universität von KwaZulu-Natal in Südafrika, an einem Projekt teil, das Studenten dazu anregen sollte, Phagen zu finden. Sie beschloss, unter anderem in der Komposttonne ihrer Eltern zu suchen. In einem Abstrich von der Unterseite einer verrottenden Aubergine fand sie dann Phagen, die für die Wissenschaft völlig neu waren. Sie nannte sie "Muddy".

Es stellte sich heraus, dass diese Phagenart in der Lage war, eine Art von Bakterien abzutöten, die besonders unangenehme Krankheiten verursachen können. Als fast ein Jahrzehnt später ein Teenager in London nach einer doppelten Lungentransplantation an einer aggressiven, multiresistenten Infektion erkrankte, gaben ihr die Ärzte eine Überlebenschance von vielleicht einem Prozent.

In einem letzten verzweifelten Versuch, ihr Leben zu retten, injizierten ihr die Ärzte die Muddy-Phagen zusammen mit zwei anderen gentechnisch veränderten Phagen. Sie erholte sich innerhalb weniger Tage und konnte das Krankenhaus einige Monate später verlassen. Wie es in Tom Irlands demnächst erscheinendem Buch "The Good Virus" zum Thema Phagen heißt, wurde Muddy in den folgenden Jahren bei mehr als einem Dutzend Menschen eingesetzt.

Einfach ist es nicht, die richtigen Phagen für die jeweilige Aufgabe zu finden. Daher arbeiten Wissenschaftler an Alternativen. So könnte man Phagen zum Beispiel mit jenen Genen ausstatten, die sie brauchen, um spezifische Bakterien zu infizieren, die abgetötet werden sollen. Es könnte womöglich auch einfacher sein, die chemischen Stoffe zu nutzen, die die Phagen selbst herstellen – statt die Produktion der Phagen selbst. Sie stellen Enzyme her, die Löcher in die Wände von Bakterienzellen bohren können und sie so zum Platzen bringen. Wir könnten Menschen auch mit diesen spezifischen Enzymen behandeln, sagt James.

Die Zeit scheint jedenfalls reif dafür zu sein, Phagen zurück ins Rampenlicht zu bringen. Resistenzen gegen antimikrobielle Mittel sind auf dem Vormarsch; sie sind bereits für Millionen Todesfälle im Jahr verantwortlich. Im Vereinigten Königreich prüft die Regierung deshalb, ob die Phagenforschung mehr staatliches Geld erhalten soll. Über 30 aktive klinische Versuche mit Phagentherapien sind in einem in den USA geführten Register aufgeführt. Irlands Buch, dass sich offensiv für die Technik ausspricht, erscheint diesen Sommer.

Wenn die Forschung erst einmal vorankommen ist, gibt es eine weitere Herausforderung zu bewältigen: Der Gedanke, Viren absichtlich in den Körper einzuschleusen, ist für die meisten Menschen nicht besonders attraktiv.

Abgesehen davon haben Bakterien in den letzten Jahren von großartiger PR profitiert. Die meisten Menschen wissen inzwischen um die Vorteile eines gesunden Darmmikrobioms. Viele Menschen schlucken sogar entsprechende Wirkstoffe, angefangen vom probiotischen Joghurt. Könnten uns auch Viren überzeugen? "Wir müssen aufhören, so viel Angst vor Phagen zu haben – und sehen, was sie für uns tun können", sagt Mikrobiologin James.

Zum Thema Phagen hören Sie auch "Weekly", den News-Podcast von MIT Technology Review:

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(jle)