Aufstand gegen Torontos Smart City

Aus der "Quayside" der kanadischen Großstadt sollte mithilfe einer Google-Schwester ein voll vernetztes Wohngebiet werden. Anwohner und Aktivisten sind dagegen.

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Aufstand gegen Torontos Smart City

(Bild: Picture Plane for Heatherwick Studio for Sidewalk Labs)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Brian Barth

Im März 2017 schrieb die Regierungsbehörde "Waterfront Toronto" einen Wettbewerb für den Bau eines Smart-City-Bezirks am Ufer des Ontariosees aus. Ein knapp fünf Hektar großes Grundstück namens Quayside sollte "smart" werden. Im Oktober präsentierte die Regierung in einer opulenten Zeremonie den Gewinner: Das in New York ansässige und zu Googles Muttergesellschaft Alphabet gehörende städtische Innovationsunternehmen Sidewalk Labs hatte vor den kanadischen Mitbewerbern das Rennen gemacht.

Es sollte eine der ehrgeizigsten Smart-City-Initiativen der Welt werden. Eine riesige, mithilfe von Sensoren und anderen Überwachungswerkzeugen gesammelte Datenmenge sollte helfen, die Bedürfnisse der Anrainer zu decken: Selbst fahrende Taxi-Bots oder eine robotisierte Müllabfuhr mit einer stückzahlabhängigen Gebührenabrechnung sollten den Bürgern das Leben bequemer machen. Die Logistik sollte in unterirdische Tunnel verlegt werden. Torontos Smart City wollte auch als erste einen preiswerten und schnellen modularen Wohnungsbau im Großmaßstab verwirklichen.

Mit der Entwicklung einer digitalen Architektur für ein städtisches Betriebssystem, das sich global exportieren lässt, wollte sich Alphabet vom Cyberspace auf den öffentlichen Raum ausdehnen. Schnell wurden Sidewalks Pläne bekannt, das Projekt auch auf das benachbarte, 324 Hektar große Industriegebiet "Port Lands" auszudehnen. Doch statt zu wachsen, fiel das Projekt nach wenigen Jahren in sich zusammen. Es ist ein Lehrstück darüber, wie sich selbst die legendäre Höflichkeit der Kanadier explosiv entladen kann.

Denn kanadische Technologen waren alles andere als beeindruckt von Alphabets Plänen. Vor allem der Milliardär Jim Balsillie, bis 2012 Geschäftsführer des BlackBerry-Entwicklerunternehmens Research in Motion, startete eine Kampagne zur Bekämpfung des Projekts. Quayside "ist keine intelligente Stadt", schrieb er in einem Zeitungskommentar. "Es ist ein Kolonisations-Experiment für den Überwachungs- kapitalismus." Das laut Sidewalk Labs notwendige Sensornetzwerk für die intelligente Stadt sei geradezu ein Orwellsches Machtspiel, das private Informationen von Kanadiern in Googles datengierigen Schlund befördere.

Smart City Qayside (14 Bilder)

Luftaufnahme eines Teils des Entwicklungsareals.
(Bild: Siedewalk Labs)

Balsillie forderte den kanadischen Gesetzgeber auf, seine Datensouveränität ähnlich wie die Europäische Union zu schützen, die 2018 die Datenschutz- Grundverordnung (DSGVO) eingeführt hatte. Die Daten einer Nation sollten auf ihren eigenen Servern liegen und damit ihren Gesetzen und Werten folgen. "Facebook und Google sind Unternehmen, die ausschließlich auf das Prinzip der Massenüberwachung aufbauen", sagte Balsillie dem kanadischen Parlament bei einer Anhörung zum Skandal von Cambridge Analytica 2018.

Auch mehrere Stadträte und Abgeordnete sprachen sich gegen das Projekt aus. Als der Umfang der Pläne zur Datenerfassung klar wurde, trat Sidewalk-Labs-Beraterin Ann Cavoukian zurück. "Ich wollte, dass es eine intelligente Stadt der Privatsphäre wird, keine intelligente Stadt der Überwachung", sagte Ontarios frühere Datenschutzbeauftragte.

Tatsächlich legte Waterfront Toronto Sidewalk Labs im Oktober 2019 mit einer überarbeiteten Vereinbarung an eine viel kürzere Leine. Die Smart City blieb auf die ursprünglichen knapp fünf Hektar beschränkt und die Datenerfassung unter der Kontrolle der kanadischen Regierung. Das schmeckte Sidewalk Labs offenbar gar nicht: Das Unternehmen stieg im Mai dieses Jahres aus. Offiziell wegen der pandemiebedingten Wirtschaftslage. Kritiker sehen darin eine bequeme Ausrede für einen Rückzug ohne Gesichtsverlust.

(bsc)