Aus dem Bunker auf den Tisch

Der Trend Vertical Farming wandert unter die Erde. In einem Londoner Luftschutzbunker wächst Blattgemüse, das frisch gepflückt innerhalb von vier Stunden bei den Großstädtern sein soll.

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Der Trend Vertical Farming wandert unter die Erde. In einem Londoner Luftschutzbunker wächst Blattgemüse, das frisch gepflückt innerhalb von vier Stunden bei den Großstädtern sein soll.

33 Meter unter der Asphaltdecke von London würde man nicht unbedingt ein satt-grünes Meer von frischem Salat und Kräutern erwarten. Und doch ist der ehemalige Luftschutzbunker in Clapham heute die Anbaufläche von zwölf Sorten Blattgemüse. Mit ihrer Idee haben Richard Ballard und Steven Dring das Vertical Farming gewissermaßen eine Etage tiefer verlegt. Indem sie von hier aus Produkte frisch, ressourcenschonend und direkt am Ort des Verbrauchs anbieten, wollen Ballard und Dring unter dem Firmennamen Zero Carbon Food die Agrarkultur neu aufrollen. Ihre Anbaufläche soll mit einem Hektar der weltweit größte unterirdische Acker sein.

Mit ihrem Ansatz sind die Briten nicht allein. Urban Farming ist bereits in vielen Großstädten vertreten. Ob als "Gartendeck" auf einem Haus im Hamburger Rotlichtviertel oder als "hängende Gärten" in einem Hinterhof in Berlin-Kreuzberg. Forschungsinstitute und Startups beschäftigen sich mit der Idee, Gemüse auf urbanen Flächen sprießen zu lassen.

Pflanzen-Bett über Pflanzen-Bett: Das Vertical Farming nutzt urbane Flächen für den landwirtschaftlichen Anbau. Die Firma Zero Carbon Food hat ihre Ackerfläche unter die Londoner Asphaltdecke verlegt.

(Bild: Zero Carbon Food)

Die langen Tunnel des Luftschutzkellers hatten während des Zweiten Weltkriegs Schutz für rund 8.000 Menschen geboten. Seit dem großangelegten Start von Zero Carbon Food im September 2014 ist der Untergrund in violettes Licht getaucht. An den Seiten stehen die Anbauflächen – wie in einem Mehrstockbett wachsen die Pflanzen in Wannen übereinander. Sie stecken nicht in Erde, sondern in einer Gewebeschicht, aus der unten die Wurzeln herausschauen. Die senkbaren Wannen tauchen sie in mineralien- und nährstoffreiches Wasser, das in einem Kreislauf zirkuliert. "Unser hydroponisches System verbraucht 70 Prozent weniger Wasser als die herkömmliche Landwirtschaft", erklären Ballard und Dring.

Von oben beleuchten energie-effiziente LEDs das Grün. Die Basis für das "Lichtrezept" bilden rote und blaue Lichtquellen. Im schummerigen Violett werden die Pflanzen gezielter und damit energiesparender versorgt. Welche Lichtrezeptur, also welcher Mix von Wellenlängen, Dauer, Intensität und anderen Faktoren die Pflanzen optimal wachsen lässt, ist allerdings noch nicht ausgetestet. Daran forschen Wissenschaftler weltweit. Und ob die Produkte am Ende wirklich so gut schmecken wie das Trio behauptet, müssen die Konsumenten selbst beurteilen.

Das Blattgemüse soll unter roter und blauer LED-Beleuchtung besonders gut gedeihen.

(Bild: Zero Carbon Food)

Dafür ist weiterer Vorteil dieser Anbauweise sicher: Entgegen den Feldern auf der Oberfläche sind die Pflanzen auf dem unterirdischen Acker keinen Schädlingen ausgesetzt. Folglich sind auch keine Pestizide und Dünger nötig. Auch Wetter und Jahreszeitenwandel können der Ernte nichts anhaben. "Wir haben die Kontrolle über die Umgebungsbedingungen der Pflanzen. Jedes einzelne Blatt schmeckt so hervorragend wie das vorherige", sagt Steven Dring.

Das ganze System aus Beleuchtung, Temperatur, Nährstoffversorgung und Belüftung ist bei Zero Carbon Food automatisiert. Es ist speziell auf schnell wachsende und schnell welkende Sorten ausgerichtet. Unter der Marke Growing Underground gehören neben Basilikum, Rucola und Koriander auch Rettichblätter, Senf und Schnittlauch zum Angebot. Für die landwirtschaftliche Expertise haben sich die beiden Unternehmer Chris Nelson ins Boot geholt. Er liefert die Erfahrung im Anbau und in der Bewässerung.

Mit der derzeitigen Ausstattung könne man zwischen 5.000 Kilo und 20.000 Kilo pro Jahr ernten. In der Auslieferung entspreche das 1,3 Millionen Pfund (1,8 Millionen Euro), rechnet Dring in einem Bericht von Bloomberg vor. Ein erster Großhändler wurde bereits beliefert. Der Verkauf direkt an die Konsumenten soll folgen.

Richard Ballard und Steven Dring (v.li.n.re.) wollen mit ihrem unterirdischen Anbau die Agrarkultur revolutionieren.

(Bild: Zero Carbon Food)

Das Trio ist jedoch angetrieben von einer Vision, einen Beitrag in ihrer Heimat London zu leisten. In den nächsten zehn Jahren werden zwei Millionen mehr Menschen in die britische Metropole ziehen. Die Versorgung dieser neuen Bewohner muss gesichert sein. Doch die Ackerflächen im Umland werden nicht größer. Und so müssen neue und vor allem kurze Wege gefunden werden.

Das Liefergebiet von Zero Carbon Food erstreckt sich daher innerhalb der Fläche der Londoner Ring-Autobahn M25. Vom Ernten des Salats bis auf den Tisch des Verbrauchers sollen nur vier Stunden vergehen. "Der Transport von Lebensmitteln macht einen großen Teil der verschwendeten Energie in der Industrie aus", sagen die beiden Gründer von Zero Carbon Food. Das Gütesiegel "CO2 neutral" ist das Ziel. (jle)