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Autobauer im Kälteschock

Gregor Honsel

2007 legte sich der VDA als erster Automobilverband auf ein umweltfreundliches Kältemittel für Klimaanlagen fest. Heute will er von diesem Versprechen nichts mehr wissen.

2007 legte sich der VDA als erster Automobilverband auf ein umweltfreundliches Kältemittel für Klimaanlagen fest. Heute will er von diesem Versprechen nichts mehr wissen.

Im September 2007 ereignete sich ein seltener Moment in der Geschichte der deutschen Autoindustrie: Sie wurde von Umweltverbänden gelobt. Selbst notorische VDA-Gegner applaudierten, als Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie VDA, auf der Internationalen Automobilausstellung verkündete, dass die deutschen Hersteller künftig Kohlendioxid als Kältemittel für Klimaanlagen verwenden würden. Doch was damals als das finale "Basta" nach einer langen Debatte wahrgenommen wurde, entpuppt sich im Rückblick als Wendepunkt einer industriepolitischen Irrfahrt, die bis heute andauert.

Die Geschichte beginnt in Brüssel, und zwar mit der EU-Richtlinie 2006/40/EG vom 17. Mai 2006. Diese besagt, dass ab 2011 nur noch Kältemittel zugelassen werden, die maximal 150-mal so klimaschädlich sind wie Kohlendioxid. Ein Kilo des bisherigen Kältemittels R134a (Tetrafluorethan) trägt hingegen so stark zur Erderwärmung bei wie 1300 Kilo CO2. Gerät die gesamte Füllung einer Auto-Klimaanlage etwa durch einen Unfall in die Atmosphäre, ist das so klimaschädlich wie knapp 6000 Kilometer Autofahrt. Der stetige Verlust von Kühlmittel durch die Dichtungen einer Klimaanlage entspricht laut Umweltbundesamt einem Ausstoß von sieben Gramm CO2 pro Kilometer.

Ein Nachfolger für R134a war also gefragt – und schnell gefunden: R744, vulgo Kohlendioxid. Dafür mussten die Klimaanlagen zwar für einen höheren Druck ausgelegt werden, doch die deutschen Zulieferer versicherten schon 2006, entsprechende Aggregate rechtzeitig liefern zu können. Zusatzkosten gegenüber herkömmlichen Anlagen: rund 100 bis 200 Euro pro Fahrzeug. Brauchbare alternative Kältemittel waren zu diesem Zeitpunkt zwar angekündigt, aber nicht verfügbar.

Als sich der VDA dann im September 2007 zu CO2 bekannte, schien der Würfel gefallen. Wenn ein so großer Verband schon so frühzeitig Pflöcke einschlug, glaubten Beobachter damals, würde es auch für die anderen Verbände kein Zurück mehr geben – es sei denn, sie riskierten die Spaltung der Branche. Doch genau so kam es. Die europäische Herstellervereinigung Acea lehnte es Anfang 2008 ab, ihre Mitglieder auf eine einheitliche Linie festzulegen. Ungefähr zur gleichen Zeit rückten die Chemiekonzerne DuPont und Honeywell, die bisher getrennt an eigenen Lösungen gearbeitet hatten, gemeinsam mit einem neuen Kältemittel heraus: HFO-1234yf (Tetrafluorpropen). Der Charme dieses synthetischen Fluorkohlenwasserstoffs, der viermal so klimaschädlich ist wie CO2: Er lässt sich auch in herkömmlichen Anlagen verwenden. Die Hersteller könnten sich also die Mehrkosten für die CO2-Technik sparen.

Die deutsche Automobilindustrie widerstand dieser Versuchung dennoch standhaft – zumindest auf dem Papier. Noch im Oktober 2008 bekräftigte der VDA in einer Pressemeldung seine Position: "Die Bewertungen (…von HFO-1234yf …) sind nun in der Mehrzahl der Unternehmen abgeschlossen und zeigen, dass das untersuchte alternative Kältemittel keine Option ist." Nur sieben Monate später, im Mai 2009, klingt das schon ganz anders: Leider gebe es außerhalb von Deutschland bisher "wenig Aufgeschlossenheit" für das Kältemittel CO2 – und angesichts des Weltmarkts sei ein "deutscher oder europäischer Alleingang ausgeschlossen".

Seitdem möchte die deutsche Automobilindustrie am liebsten gar nicht mehr über das Thema Kühlmittel sprechen. "Bitte wenden Sie sich an den VDA", lautet unisono die Antwort von VW, Ford, BMW und Daimler, wenn man von ihnen wissen möchte, mit welchem Kühlmittel die nächste Fahrzeuggeneration denn unterwegs sein wird. VDA-Verbandssprecher Eckehart Rotter sagt: "Es gibt noch keine endgültige Entscheidung", es würden noch weitere Gutachten abgewartet. "Aber gehen Sie davon aus, dass alle Vorgaben eingehalten werden." Doch auch wenn es in der deutschen Autobranche niemand sagen mag: Der Zug für CO2 scheint abgefahren. "Uns liegen keine Serienaufträge für Klimaanlagen mit R744 vor", sagt Thomas Aurich, Sprecher des Automobilzulieferers Delphi. Die Nachfrage nach Systemen für HFO-1234yf sei "deutlich größer".

Offenbar versuchen die Autobauer, still und leise auf HFO-1234yf umzuschwenken. Diese Strategie scheint aber nicht aufzugehen. Mittlerweile haben sich nämlich die Umweltverbände auf das synthetische Kältemittel eingeschossen. Im Oktober 2009 veröffentlichte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) Ergebnisse einer von ihr bei der Bundesanstalt für Materialforschung in Auftrag gegebenen Studie. Danach ist HFO-1234yf leicht entflammbar und setzt bei der Verbrennung hochgiftige Flusssäure frei. Das Umweltbundesamt legte im Februar 2010 mit einer ähnlichen Studie nach. VDA-Präsident Wissmann stehe vor einem "Scherbenhaufen seiner Glaubwürdigkeit", kommentiert DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. Die Autohersteller schweigen dazu, lediglich Honeywell äußert sich auf Anfrage zu den Vorwürfen: Die in den Versuchen gemachten Annahmen seien unrealistisch, und mit dem chemisch ähnlichen R134a sei es nie zu Problemen gekommen, sagt Honeywell-Sprecherin Sabine Chmielewski. Honeywells eigenes Produktblatt zu HFO-1234yf bezeichnet den Stoff allerdings auch als "hochentzündlich".

Wie gefährlich die Substanz nun tatsächlich ist, lässt sich schwer abschätzen, denn die Debatte dreht sich mittlerweile um verschiedene Unfallszenarien, Stoffkonzentrationen und die Interaktion mit anderen Kohlenwasserstoffen. Hans-Jochen Luhmann, Leiter der Forschungsgruppe für zukünftige Energie- und Mobilitätsstrukturen am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, stört sich aber an einem ganzen anderen Aspekt: Da Klimaanlagen, die für HFO-1234yf entwickelt wurden, auch mit R134a funktionieren, könnten sie außerhalb der EU weiterhin mit dem preiswerteren, aber weit klimaschädlicheren Kältemittel befüllt werden.

"Wir provozieren sehenden Auges Emissionen außerhalb der EU", schimpft Luhmann. "Das bekommen wir von der Dritten Welt alles wieder voll zurück." Leidtragende der Irrfahrt des VDA sind auch Zulieferer, die Millionen in die CO2-Systeme investiert haben, aber parallel noch Anlagen für synthetische Kältemittel vorantreiben mussten. "Sie haben mit der CO2-Technik ein echtes Schätzchen entwickelt und warten nun händeringend auf Aufträge", sagt Luhmann. Die Bedeutung der CO2-Anlagen könnte weit über die reine Klimatechnik hinausgehen: Elektroautos müssen ihre Heizung bisher nämlich mit kostbarem Strom betreiben. Abhilfe könnte eine Klimaanlage bieten, die sich bei Bedarf in eine Wärmepumpe umschalten lässt und dann mit der Batterie-Abwärme das Auto heizt. Für solche kombinierten Heiz- und Kälteanlagen eignet sich CO2 deutlich besser als synthetische Kältemittel. Die Kompetenz dazu haben vor allem deutsche Zulieferer entwickelt. Aber ohne einen Markt für CO2-Klimaanlagen dürfte die Technik schnell wieder eingemottet werden.

Doch welche Optionen haben die deutschen Hersteller überhaupt, wenn es international keine Mehrheit für CO2 gibt? "Ich weiß gar nicht, warum alles immer einheitlich sein soll", sagt Luhmann. "Wir leben schließlich in einer Marktwirtschaft." Er bezweifelt, dass sich der Mehrpreis für eine umweltfreundlichere Technik nicht am Markt durchsetzen ließe, wie die Autohersteller argumentieren: "Dahinter steht eine Vorstellung vom Kunden, dass ich nur das Grausen kriege." (bsc [1])


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