Bauen wie gedruckt

Bauroboter und 3D-Drucker halten Einzug auf der Baustelle. In den nächsten Jahrzehnten werden sie die Baubranche von Grund auf verändern.

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Von
  • Joseph Scheppach
Inhaltsverzeichnis

Vollautomatisch greift sich die Vorrichtung an dem 28 Meter langen Teleskoparm Ziegel für Ziegel, kürzt sie, falls nötig, lässt Mörtel darauf fließen und setzt sie an die richtige Stelle – auf 0,5 Millimeter genau. Der Bauroboter mit dem Namen "Hadrian 109" kennt die exakte Position jedes einzelnen Ziegels aus den 3D-Plänen der CAD-Software. 1000 Ziegel pro Stunde mauert der Roboter. Selbst die besten Bauarbeiter schaffen in Wettbewerben höchstens 743 Steine. Nur zwei Tage brauchte die Maschine bei einem Testlauf, um ein ganzes Einfamilienhaus zu errichten. Ein Mensch würde dafür zwischen vier und sechs Wochen benötigen.

"Roboter werden eine wichtige Rolle in zukünftigen Konstruktionsarbeiten spielen", ist der Australier Mark Pivac überzeugt. Pivac ist Gründer des Unternehmens Fastbrick Robotics und Erfinder des Hadrian 109. Namensgeber war der römische Kaiser Hadrian, der den 117 Kilometer lagen Hadrianswall bauen ließ. Der Hadrian 109 des 21. Jahrhunderts kostet 500000 Dollar, soll nächstes Jahr auf den Markt kommen und 2021 weltweit agieren. Auf 200 Milliarden Dollar beziffert das Beratungsunternehmen BDO Research das potenzielle jährliche Marktvolumen, das sich global erzielen lässt – allein mit dem Absatz von Mauerrobotern.

In Dubai etwa hat Regierungschef Scheich Muhammad bin Raschid Al Maktum im Mai das erste 3D-gedruckte Bürogebäude eröffnet. Es besteht zwar nur aus einer Etage und wurde aus vielen 3D-gedruckten Bauteilen zusammengesetzt. Doch dabei soll es nicht bleiben. Bis 2030 will Dubai 25 Prozent seiner Gebäude 3D-drucken. Um bis zu 80 Prozent sollen die Baukosten dadurch sinken.

Die Automatisierung erfasst eine Branche, die lange davon unberührt war. Thomas Linner von der Fakultät für Architektur der TU München zufolge sind bereits heute "weltweit bis zu 5000 Bauroboter im Einsatz". Viele dieser Roboter haben intelligente künstliche Gliedmaßen, mit deren Hilfe einzelne Arbeiter tonnenschwere Bauteile greifen, hochheben und in Position bringen können. In Linners Institut arbeiten Forscher an einer ganzen Roboterfamilie, die wie elektronische Heinzelmännchen Rohbauten ausbaut. Thomas Bock, Professor für Baurealisierung und Baurobotik an der TU München, hat ermittelt, dass achtzig Prozent der Arbeiten, die beim Ausbau eines Gebäudes anfallen, intelligente Maschinen übernehmen können. Die Technologie sei ein Weg hin zu preisgünstigeren Immobilien.

Die Entwicklung dürfte Zigtausende Bauarbeiter aus dem Beruf verdrängen, auch wenn Hadrian-Entwickler Pivac versichert: "Wir haben absolut nichts gegen Maurer. Das Problem ist, dass das Durchschnittsalter der Maurer zunimmt und es schwierig ist, junge Menschen für den Beruf zu begeistern." Dennoch dürfte die menschenleere Baustelle noch eine Weile auf sich warten lassen.

Näher an der Realität ist eher die enge Zusammenarbeit von Bauarbeiter und Bauroboter. Ein gutes Beispiel dafür ist heute schon SAM. Der Semi-Automated Mason hebt Ziegelsteine hoch, trägt den Mörtel auf und setzt die Steine aufeinander. Doch anders als der vollautomatische Hadrian übt sich SAM im Zusammenspiel mit Menschen. Neben dem Bauroboter agiert ein Maurer, der den überschüssigen Mörtel verstreicht und die Ziegelsteine an komplizierten Ecken und Stellen verlegt. Sensoren und Laserstrahlen messen, ob die Ziegel im richtigen Winkel stehen und wie schnell der Maurer arbeitet, damit sich der Roboter an dessen Geschwindigkeit anpassen kann. Roboter würden so vor allem die besonders schweren oder gefährlichen Aufgaben übernehmen.

"Zwei Exemplare des rund eine halbe Million Dollar teuren Roboters sind bereits verkauft und mehrere vermietet", erklärt Zak Podkaminer, Gründer der Firma Construction Robotics im US-Bundesstaat New York. Der Entwickler erwartet eine "enorme Produktivitätssteigerung für die Baubranche. Denn SAM kann bis zu 1200 Bausteine pro Tag aufeinanderstapeln." Ein Maurer schafft nur zwischen 300 und 500 Ziegelsteine pro Tag.

Nur an Deutschland scheint die Entwicklung nahezu spurlos vorbeizugehen. Von den weltweit 5000 Baurobotern stehen "die allerwenigsten in Deutschland", sagt Linner, Autor der "Cambridge Handbooks on Construction Robotics". "Statt die Technologien beim Bauen weiterzuentwickeln, hat ein Teil der deutschen Bauindustrie die eigenen Maschinenparks und ihre Belegschaften abgebaut und stattdessen Billigarbeiter eingesetzt. Es fehlt der Druck zum Einsatz kostspieliger Roboter." Er rechnet mit "20 oder 30 Jahren", bis sich Roboter hierzulande in der Bauindustrie etabliert haben. Was für viele Bauarbeiter eine gute Nachricht ist, könnte sich für die Firmen selbst als Bumerang erweisen. Denn für Linner ist es nur eine Frage der Zeit, bis Baufirmen keine andere Wahl mehr hätten, als auf intelligente Maschinen zurückzugreifen. Gebäude würden schlicht zu komplex für die manuelle Erstellung.

Auch vom zweiten Trend ist hierzulande nicht viel zu sehen: dem 3D-Druck bei Gebäuden. Wer Experimente sucht, muss nach Saudi-Arabien, Amsterdam oder China reisen. In China etwa kamen bereits Bauteile für sechs Villen und zehn einstöckige Häuser aus dem 3D-Drucker, hergestellt von der Firma Shanghai WinSun Engineering. Nur zwei Tage dauerte der Druckprozess für deren bislang größtes Objekt: eine zweistöckige 1100-Quadratmeter-Villa im ostchinesischen Suzhou. Weitere fünf Tage benötigte der Zusammenbau der gedruckten Elemente und konventionell gefertigter Etagenflächen, Eingangssäulen und Balkone. Nur eine Million Yuan, umgerechnet 144000 Euro, hat die ausgedruckte Villa gekostet. Von außen ist sie kaum von einem herkömmlich errichteten Gebäude im viktorianischen Stil zu unterscheiden, das 80 Millionen Yuan (11,5 Millionen Euro) kostet. Das Drucken übernimmt ein 3D-Plotter, der sechs Meter hoch, zehn Meter breit und 150 Meter lang ist und so über ein Druckbrett von mehr als 370 Quadratmetern verfügt.

In ihm entstehen 50 Zentimeter breite und rund 2,50 Meter hohe Wandsegmente mit einem Sprüharm, der zickzackförmig seine Bahn zieht. Wie Zahnpasta aus der Tube quillt dabei eine wurstförmige graue Masse aus einer Düse. Sieben dünne Streifen nebeneinander bilden eine Schicht der Wand. Noch sind die Bauteile recht klein und müssen wie mit Fertigteilen auf der Baustelle montiert werden, weil die Stabilität des Baustoffs noch nicht hoch genug ist.

"Diese Wände wurden auf der Baustelle senkrecht aufgerichtet, mit einem Kran auf herkömmliche Stahlträger gesteckt, mit Drahtgestellen verbunden und schließlich die Hohlräume mit Isolierstoffen gefüllt", erklärt Ma YiHe, Geschäftsführer von Shanghai WinSun Engineering. Die waagerechten Deckenplatten werden ebenfalls von Stahlträgern gehalten. Lediglich die Fenster wurden nach der gewohnten Bauweise separat geliefert und eingesetzt. Seinen Werkstoff nennt Ma YiHe "Crazy Magic Stone" und verrät nur so viel: "Es ist eine Mixtur aus Zement, gemahlenem Bauschutt, Glas und Industrieabfällen – vermischt mit einem Stoff, dessen Zusammensetzung geheim gehalten wird." Er sorgt dafür, dass der Beton schnell genug aushärtet, um nicht verschalt werden zu müssen.

"Es ist sogar möglich, mit Sand als Teil des Baustoffs zu drucken", tönt Ma YiHe, der 2000 Häuser in Ägyptens Wüste errichten will. Die Verträge seien bereits unterzeichnet. Ob das aber auch tatsächlich gelingt, ist mehr als fraglich. Denn Wüstensandkörner sind kugelrund und verzahnen sich nicht ausreichend mit dem Bindemittel Zement. Aus diesem Grund wird Bausand bisher an Meeresstränden abgebaut, wo er allmählich knapp wird.

Selbst wenn Ma YiHe in Ägypten Erfolg haben sollte – in Deutschland würde er schnell an den Vorgaben scheitern. Das fängt mit der Zertifizierung an, die er für sein Material bräuchte – aber nicht besitzt. "Viele technische Fragen und Normvorschriften sind noch ungelöst", sagt Olaf Behner, Baureferent beim Bund Deutscher Architekten. Thomas Bolte von der Deutschen Fertighaus Holding AG (DFH) in Simmern (Hunsrück) fügt hinzu: "Hierzulande gelten strenge Vorschriften für Neubauten. Wer etwa die hohen Standards zur Energieeinsparung nicht erfüllt, erhält keine Baugenehmigung."

Die 3D-Drucktechnik sei daher noch nicht konkurrenzfähig mit den heutigen Verfahren im Fertigteilbetonbau. "Technisch lassen sich viele Zielvorgaben nur durch den Einsatz von speziellen, der jeweiligen Aufgabe angepassten Druckersystemen und Werkstoffen erfüllen", erklärt Entwicklungsingenieur Daniel Günther vom Friedberger Industriedrucker-Anbieter Voxeljet. "Somit stehen den neuen gestalterischen Freiheiten hohe Produktionskosten gegenüber." Kein Wunder, dass es hierzulande noch kein einziges Haus aus dem Drucker gibt.

Immerhin haben sich Forscher in Amsterdam nun daran gemacht, mit einem gewagten Projekt viele der offenen Fragen zu klären. Sie drucken im Stadtteil Noord ein komplettes Grachtenhaus aus: schmal, vier Stockwerke hoch und mit reich verziertem Giebel wie seine mehr als 400 Jahre alten Vorbilder. Statt Backsteinen kommt weißer Bio-Kunststoff zum Einsatz, der zu 80 Prozent aus Pflanzenöl besteht. Die kleinen weißen Kügelchen werden im "3D-Kamer-Maker" (Zimmer-Macher) erhitzt, einem drei Meter hohen Gerät, das in einem baustellennahen Überseecontainer installiert ist.

Die Masse wird – wie die Tinte in einem herkömmlichen Drucker – auf eine Grundfläche von zwei mal zwei Metern gespritzt. "So werden Schicht für Schicht Bauteile bis fünf Meter Länge gedruckt: ein Stück Treppe, eine Wand, ein Fassadenteil", erklärt Tosja Backer, Sprecherin des "3D Print Canal House"-Projekts. "Nach dem Druck werden die Einzelteile einfach zusammengesteckt." Manche Segmente haben eine Struktur wie eine Honigwabe. Diese Hohlräume können mit Beton oder Isoliermasse gefüllt wer-den. Auch für Kabel und Rohre findet sich Platz im Innern der Wände.

Das Projekt zeigt jedoch auch, wo die derzeitigen Grenzen der Technologie liegen – selbst unabhängig von der Frage, ob man wirklich in einem Plastikhaus wohnen will. Denn zum einen ist die Methode nicht sonderlich schnell. Erst in drei Jahren soll das Grachtenhaus 2.0 fertig sein. Ob es jemals serienmäßig hergestellt wird, ist offen. Aber darum geht es den Macher auch gar nicht. Es dient als Forschungsprojekt, um die Perspektiven des 3D-Hausbaus auszuloten: Lassen sich auf diese Weise wirklich kostengünstig maßgeschneiderte Häuser bauen? Klappt die Verwendung von umweltfreundlichen Recyclingmaterialien, und können so Transportkosten für Baumaterial eingespart werden?

"Wir lernen immer besser, wie die verschiedenen Akteure für ein 3D-Hausprojekt optimal zusammenarbeiten: Ingenieure für die Planung, Software-Entwickler für den 3D-Drucker und Chemiker für das Druckermaterial", so Backer. Ihr Team experimentiert mit verschiedensten Druckermaterialien, etwa mit Mischungen aus dem Bio-Kunststoff Polymilchsäure und Zement. "Denn noch ist das Druckermaterial teuer, die Festigkeit ist ein Handicap." Die Forscher führen mit den Segmenten Bruchtests in Universitätslaboren durch, um die Qualität zu verbessern. Wie gut dies bereits gelungen ist, darüber schweigen die Innovatoren. Klar ist nur: Noch gibt es keine Genehmigung für den Bau eines 3D-gedruckten Hauses, in dem Menschen wohnen dürfen. (bsc)