Berliner Senat betrachtet konsequente Linux-Migration weiter als problematisch

Wo immer mit einer reinen Kosten- und Wirtschaftlichkeitsanalyse Vorteile von freier Software nachgewiesen werden, soll diese nach Ansicht des Berliner IT-Staatssekretärs Freise eingesetzt werden. Einen reinen Linux-Kurs lehnt er ab.

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Der Berliner IT-Staatssekretär Ulrich Freise hat eingeräumt, dass der Senat mit dem Beschluss des Abgeordnetenhauses zur Migration auf Open Source und zur Einhaltung offener Standards in der Rechnerwelt nur schleppend vorankommt. "Mit der stringenten Umsetzung ist das so eine Geschichte in Berlin", erklärte der SPD-Politiker bei einer Anhörung im Ausschuss für Verwaltungsreform sowie Kommunikations- und Informationstechnik des Landesparlamentes zur IT-Strategie am heutigen Donnerstag in der Hauptstadt. Er selbst habe ein "heftiges Problem", Steuerungsinstrumente zur Geltung zu bringen. Er favorisiere zwar, dass man im Bereich freier Software vorankomme "und diese Szene unterstützt". Schon durch die Haushaltsordnung seien ihm aber die Hände gebunden. Zudem müssten sich die Behörden in den Bezirken und die einzelnen Senatsverwaltungen nicht einmal an einheitliche Empfehlungen der beiden Exekutivebenen des Stadtstaates halten.

Der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses hatte bereits im Dezember 2005 vom Senat einstimmig die Vorlage eines Fahrplans zur Umrüstung auf freie Software verlangt. Es sollte zunächst um die Umstellung der Server und in einem späteren Schritt auch um die Umrüstung der rund 58.000 in der Hauptverwaltung benutzten Arbeitsplatzcomputer auf alternative Betriebssysteme sowie Desktop- und Anwendungssoftware aus dem Open-Source-Bereich gehen. Es sollte ferner sichergestellt sein, dass bei der Beschaffung von Software offene Standards vor allem bei Schnittstellen und Dokumentenformate als Beschaffungskriterium gegeben sind. Ein Migrationsfahrplan steht aber nach wie vor aus. Vielmehr erklärte die Senatsverwaltung den Beschluss des Abgeordnetenhauses im vergangenen Jahr für letztlich "nicht umsetzbar" und hielt den Parlamentariern den eigenen, hauptsächlich auf momentane Wirtschaftlichkeitsaspekte ausgerichteten "Open Systems"-Ansatz heterogener Rechnerwelten entgegen.

Freise versuchte nun, diese bekannte Senatsstrategie in neuem Gewand darzustellen. "Der Senat hat die Beschlussfassung, dass wir natürlich offene Standards unterstützen", unterstrich er gegenüber den Abgeordneten. Gemeinsam mit dem landeseigenen IT-Dienstleistungszentrum (ITDZ) werde dafür Sorge getragen, dass dies "zur Selbstverständlichkeit wird". Es werde auch herstellerunabhängig ausgeschrieben, aber eben nicht in dem Sinne, dass dieses oder jenes Linux-Produkt gewünscht sei. Alles andere würde gegen das Vergaberecht und die Haushaltsordnung verstoßen. "Proprietäre Anbieter müssen weiter Zugang haben", sagte Freise. Zugleich riet er davon ab, die von ihm für Berlin veranschlagten rund 100 Millionen Euro zur Migration der IT-Landschaft der Hauptstadt mit ihren rund 58.000 Arbeitsplatzrechner auf die Open-Source-Welt in die Hand zu nehmen. Die Senatsstrategie sei die bessere Herangehensweise. Auf die Frage, ob Berlin angesichts des großflächigen Einsatzes von Windows NT 4.0 als Betriebssystem nicht längst in einer Notsituation sei und was die andererseits erforderliche Umstellung auf eine neuere Basissoftware von Microsoft koste, blieb Freise eine Antwort schuldig.

Der IT-Staatssekretär wehrte sich zugleich gegen Vorwürfe, "Microsoft verpflichtet und vernagelt zu sein". 40 Prozent der Server innerhalb der Verwaltung würden bereits unter Linux laufen. "Damit müssen wir uns hinter keiner Stadt verstecken", meinte Freise. Generell müssten bei der Beschaffung aber immer die Kosten und die Wirtschaftlichkeit als entscheidende Faktoren gesehen werden. Zudem gebe es Anwendungsbereiche, wo freie Software keinen Sinn mache. Er verwies etwa auf eine Anwendung für den Justizvollzug, die in einem Verbund mit zwölf Ländern entwickelt worden sei und in diesem übergreifenden Rahmen weiter gepflegt werde. Kollegen hätte ihm hier versichert, dass es "keine Chance" gäbe, auf Open Source zu gehen.

Der EDV-Chef der Stadt München, Wilhelm Hoegner, betonte dagegen, dass für den Grundsatzbeschluss des Münchner Stadtrates zur Linux-Migration neben einer Kosten-Nutzen-Analyse und der Herstellerunabhängigkeit auch strategische Faktoren wie die Verbesserung der IT-Sicherheit, die genaue Abbildung der fachlichen Anforderungen, der vollständig offen gelegte Quellcode und die Förderung der mittelständischen IT-Wirtschaft Gesichtspunkte gewesen seien. Auf die im Vorfeld der Anhörung entstandenen Irritationen durch eine Bemerkung Freises, wonach München bei seinem ambitionierten Vorhaben "an der Wirklichkeit gescheitert" sei, ging Hoegner nicht direkt ein. Er führte vielmehr aus, dass inzwischen 600 der eigens unter dem Namen LiMux erstellten Linux-Clients auf Desktops im Produktivbetrieb und etwa 11.000 PCs auf OpenOffice und freie Software für Internetanwendungen umgestellt seien. Darüber hinaus habe man im Bereich der Fachverfahren 50 lokale Linux-PC-Anwendungen getestet und freigegeben. Ansonsten würden hier webbasierte Umsetzungen entwickelt.

Die Akzeptanz der neuen Software bei den Nutzern ist Hoegner zufolge "wesentlich besser als in den IT-Fachreferaten". Man könne damit auch im hohen Führungsbereich produktiv arbeiten. Auf der Serverseite sei der "nächste große Brocken" die Vereinheitlichung der Daten- und Druckdienste auf Samba-Basis. Auf den Arbeitsplatzrechnern würden viele Nutzer in den kommenden Jahren zwar noch mit den zwei parallelen Welten beim Betriebssystem und der Bürosoftware leben und dabei gegenseitig entsprechend ihre Produkte lesen können. Dies klappe aber ganz gut. Nach außen zum Bürger hin werde nur mit PDF- und HTML-Dateien kommuniziert, um Störungen auszuschließen. Generell habe sich der Schulungsaufwand als deutlich niedriger herausgestellt als prognostiziert, sodass man wohl unterhalb der veranschlagten 35 Millionen Euro Gesamtkosten bleiben werde. Langfristig geht Hoegner davon aus, dass allein "für jede Lizenzänderung" bei einem Versionswechsel rund neun Millionen Euro eingespart werden können.

Bei den Ausschreibungen haben die Münchner Hoegner zufolge "den Stein der Weisen" noch nicht gefunden. Man könne die Vorgaben aber etwa durch die Beschreibung der Softwareleistung so ausschreiben, dass es für einen Teil der möglichen Interessenten wenig Sinn mache, überhaupt ein Angebot abzugeben. "Wir haben versucht, durch eine detaillierte Schilderung unserer Landschaft und unsere Beschlüsse das Verfahren zu steuern", erklärte der EDV-Experte. Sonst hätten sich Open-Source-Firmen erst gar nicht daran beteiligt.

Frank Ronneburg von der Linux Information Systems AG beklagte, dass er in Ausschreibungen oft lese, dass die gewünschten Produkte unter Windows laufen müssten. Hier sei deutlich stärker auf eine Plattformneutralität zu achten. Generell sei Linux "kein Experiment" mehr, sondern man müsse sich einfach trauen. Das Auswärtige Amt habe zudem eine "sehr sportliche Zahl" bei den IT-Kosten pro Kopf vorgelegt, woran man sich messen müsse.

Für die Berliner Geschäftsstelle zur Koordinierung und Beratung bezirklicher IT-Verfahren (KoBIT), die gerade in einem Pilotprojekt in Tempelhof-Schöneberg OpenOffice testet, beklagte Martin Spaja eine mangelnde Einhaltung des Grundsatzbeschlusses des Abgeordnetenhauses für den Senat. Angesichts der uneinheitlichen IT-Infrastrukturen in der Hauptstadt hielt auch er es zwar für nötig, beide Rechnerwelten weiter zu unterstützen. Da ohne Open Source in der Verwaltung insbesondere im Serverbereich aber viele Grundfunktionen nicht mehr zu leisten wären, dürften Werkzeuge aus dem Bereich der freien Software nicht mehr von der Verwaltung "belächelt" werden. Die Berliner IT-Regelung an sich sei "top", die Umsetzung aber ein Flop. Es dürfe nicht darum gehen, "1000 Blumen blühen zu lassen" und teilweise nach wie vor den Bezirken nur unter Windows lauffähige Programme vorzusetzen, sondern einen klaren Rahmen zu setzen. Spaja forderte in diesem Zusammenhang eine "Umkehr der Beweislast" bei Ausschreibungen und Beschaffungen. So sollte künftig der Einsatz eines lizenzpflichtigen Produktes gesondert begründet werden, nicht mehr der einer Open-Source-Anwendung.

Der Berliner Informatikprofessor Bernd Lutterbeck lobte an freier Software das offene Innovationsmodell, die hohe regionale Wertschöpfung sowie die mittelfristige Kostenersparnis. Er forderte die Abgeordneten und den Senat auf, die vorhandenen Beschlüsse näher auszuführen und zügig umzusetzen. "Wir werden einen IT-Projekthaushalt in die Beratungen einbringen sowie mit Hilfe von Auflagenbeschlüssen, Sperren und Zuckerlis in diese Richtung gehen", versicherte Kirsten Flesch von der SPD-Fraktion. Man müsse den Senatsverwaltungen, welche die verabschiedete Langfriststrategie des Parlaments ignorierten, "auf die Finger klopfen". In Richtung der Grünen, die bereits im Vorfeld der Anhörung Druck in Richtung Linux ausgeübt hatten, monierte Flesch, dass diese selbst noch im Unterschied zu Teilen der Sozialdemokraten mit proprietären Betriebssystemen arbeiten würden. (jk)