Bikes für Geeks

Vollfederung fürs Fahrrad? Das war gestern. Wer heute sein Zweirad tunen will, greift zu Beschleunigungssensoren, GPS-Empfängern und Mikroprozessoren. So entstehen Räder zwischen Irrwitz und Nützlichkeit.

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Von
  • Hans Dorsch

Vollfederung fürs Fahrrad? Das war gestern. Wer heute sein Zweirad tunen will, greift zu Beschleunigungssensoren, GPS-Empfängern und Mikroprozessoren. So entstehen Räder zwischen Irrwitz und Nützlichkeit.

Fahrradlenker sind gemeinhin Bauteile von überschaubarer Komplexität. Wenn aber Kenny Gibbs, 22, mit seinem Singlespeed-Bike durch das nächtliche San Francisco kurvt, erwacht der Lenker zum Leben: Eine integrierte Lampe leuchtet nach vorn, zwei kleinere nach hinten. Sie blinken rot, wenn Gibbs abbiegt. Beschleunigt er, verändern sie ihre Farbe von Grün zu Blau. Beim Bremsen verschiebt sich ihr Licht in Richtung Rot.

Der Lenker heißt "Helios Bar" und steckt voller Elektronik: Ein GPS-Empfänger ermittelt Position und Geschwindigkeit, eine Bluetooth-Schnittstelle stellt die Verbindung zum Smartphone her. Auf dieser Basis lassen sich viele neue Anwendungen basteln. So kann sich die Beleuchtung beispielsweise automatisch einschalten, wenn der Besitzer in der Nähe ist. In Kombination mit einem Smartphone-Navi können blinkende Lenkerenden das Signal zum Abbiegen geben. Ist das Rad geklaut, lässt sich der Standort per SMS abfragen.

Das Ganze ist mehr als die Spielerei eines Westküsten-Geeks. 120000 Dollar hat Gibbs bereits über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter eingesammelt, um den schlauen Lenker in Serie zu produzieren. Seit Dezember können die 600 Unterstützer ihre Bikes damit aufrüsten.

Helios ist nicht das einzige Fahrradprodukt, das erfolgreich Geldmittel einsammeln konnte. Eine Suche nach "bike" fördert bei Kickstarter 400 Projekte und mehr zutage. Und nicht nur hier, im ganzen Web sprudelt es vor interessanten Ideen, die das Fahrrad sicherer, praktischer oder schneller machen. Nachdem es jahrelang entweder Fortbewegungsmittel oder Sportgerät war, entdecken nun immer mehr Menschen immer mehr Möglichkeiten, das Radfahren völlig neu zu gestalten. Viele davon basieren auf Elektronik. Offenbar wachsen hier zwei Szenen zusammen: Computer-Geeks entdecken das Fahrrad als Plattform für neue Ideen, und Fahrradschrauber freunden sich zunehmend mit der Elektronik an.

Helios-Erfinder Gibbs gehört eher zur zweiten Gruppe. Der Kalifornier liebt fast alles, was Räder hat, mit oder ohne Motor. Mit zehn Jahren baute er mit seinem Vater sein erstes Motorrad. Während der Schulzeit restaurierte er alte Autos oder baute Fahrräder um. Dabei lernte er, Rahmen zu schweißen und Leiterplatten zu löten.

Sein Maschinenbaustudium schmiss er nach zwei Jahren, weil es ihm zu theoretisch war. Immerhin lernte er auf dem College Seena Zandipour kennen, einen versierten Programmierer. Mit ihm und einem weiteren Freund tat er sich zusammen, um den intelligenten Lenker zu entwickeln. Vor fünf Jahren wäre das noch unmöglich gewesen, sagt Gibbs. Die Preise von Komponenten wie Bluetooth, GPS oder Akkus sind erst in letzter Zeit so drastisch gesunken, dass sie für ein kleines Team erschwinglich wurden.

Für die Entwicklung der Prototypen nutzen sie außerdem eine Elektronik-Plattform, die es erst seit wenigen Jahren gibt: Den Open-Source-Computer Arduino. Er hat die Interaktion von Computern mit der Umwelt für Hobby-Anwender erst möglich gemacht und dadurch eine richtige "Physical Computing"-Bewegung ausgelöst. Der Rechner besteht aus nur einer Platine, auf der sich Eingänge für Sensoren befinden, die etwa Druck, Helligkeit oder Beschleunigung messen. Ein programmierbarer Prozessor verarbeitet diese Eingaben und leitet Signale an die Ausgänge weiter, um etwa Lampen oder Motoren zu steuern. Das alles für unter 30 Euro. Über WLAN- oder Bluetooth-Erweiterungen lässt sich der kleine Computer zudem drahtlos mit dem Internet oder dem Smartphone verbinden.

Was man damit alles anstellen kann, erkunden beispielsweise die Mitglieder der Raumfahrtagentur in Berlin. Trotz des offiziösen Namens handelt es dabei um einen eher lockeren Zusammenschluss von etwa 20 Bastlern, Geeks und Hackern. Ihre gemeinsam angeschafften Werkzeuge stehen im ehemaligen Sonnenstudio des Stadtbades in Wedding. Die Kabinen sind noch da, nur stehen darin jetzt keine Sonnenbänke mehr, sondern selbstgebaute 3D-Drucker, Laserschneider, CNC-Fräsen und -Drehbänke.

Und anders als der Name nahelegt, haben sie auch sehr bodenständige Projekte im Sinn. Etwa den elektrisch angetriebenen "geschmacklosen Anhänger". Dessen Namen erklärt Gismo, einer der Entwickler, so: "In Franken sagt man ,geschmackloses Wasser' zu Mineralwasser, weil es im Gegensatz zu Limo oder Bier eben keinen Geschmack hat." Genauso unauffällig soll der Anhänger dem Radler folgen, damit dieser nichts von seiner Last bemerkt – selbst wenn er mit einer Waschmaschine beladen ist. Ein Zugsensor an der Deichsel ermittelt dazu die aktuelle Zugkraft und übermittelt sie einem Arduino-Controller. Dieser steuert damit einen Elektromotor an, der den Hänger anschiebt. Das komplexe System funktioniere erstaunlich gut, meint Gismo. "Kinder würde ich damit aber nicht transportieren", räumt er ein. Immerhin lässt sich der Anhänger auch dann noch bewegen, wenn der Akku leer ist.

Gismo, der eigentlich Maximilian Bauer heißt, nutzt die gleichen Komponenten und Werkzeuge auch für sein Projekt "Elektronenrad", das er in den Räumen der Raumfahrtagentur betreibt. Er elektrifiziert vor allem Transporträder mit Motoren, die er aus China importiert und mit eigener Technik erweitert. Schon 2006 baute er einen Elektromotor in ein Liegerad. Da arbeitete er noch als Systemadministrator in Würzburg, fuhr jeden Tag 23 Kilometer ins Büro und wollte raus aus dem Teufelskreis, vor allem für ein Auto zu arbeiten, das er vor allem für die Arbeit brauchte.

Seitdem versteht er sich selbst eher als Autogegner denn als Fahrradfreak. Um möglichst vielen Mitbürgern den Umstieg vom Pkw aufs Fahrrad zu ermöglichen, dokumentiert Gismo alle Erfahrungen aus seinen Umbauten in einem Wiki, ebenso wie die Komponenten seines Projekts Milliway, einem Elektro-Umrüstsatz für Transporträder. Dabei listet er auch alle Probleme und Abstürze auf. "Es muss ja nicht jeder alle Fehler selbst machen müssen", sagt der Autodidakt.

Auch die Helios Bar sollte kein Experiment, sondern ein erschwingliches Produkt werden. Darum hat er sich mit seinem Team für einen Platz im Gründerprogramm HAXLR8R beworben. Dahinter stehen Zach Smith, Mitgründer des 3D-Druckerherstellers MakerBot, und der Risikokapitalgeber Cyril Ebersweiler. Sie verfrachteten ihre Schützlinge für drei Monate ins chinesische Shenzen und unterstützten sie mit Beratung, 25000 Dollar sowie mit guten Kontakten zu den dortigen Fahrrad- und Elektronikherstellern. China sei der "Himmel für Hacker", zieht Gibbs Bilanz. "Die Händler und Firmen dort verstehen und ermutigen Maker. Sogar komplizierte Aufträge wie gedruckte Schaltungen oder Frästeile werden manchmal an einem Nachmittag ausgeführt."

Am Ende des Programms hatten die drei Gründer ein serienreifes Produkt – und Hersteller, die es in großen Stückzahlen fertigen können. Mit dem Erlös der Kickstarter-Kampagne kann nun die Produktion beginnen. Nicht ganz ohne Pathos sagt Kenny Gibbs: "Mit dem Helios können wir dem Fahrrad noch viel mehr Möglichkeiten geben."

Aber was macht eigentlich die Fahrradindustrie? "Auf die sollte man nicht warten, wenn man neue Ideen sucht", meint Gismo. Mit Entwicklungsbudgets, die kleiner sind als die für einen Auto-Rückspiegel, und einem verkrusteten Vertrieb über Großhändler ist sie hoffnungslos altmodisch. Aber wer weiß, vielleicht schauen sich die Chefs der Fahrrad- und Komponentenhersteller ja doch mal im Internet um. Dort finden sie, was sie gut brauchen könnten: Menschen mit neuen Ideen, die das Radfahren schöner machen. (bsc)