Biosprit und Stammzellen

Ron Reagan, Sohn eines republikanischen Präsidenten, sprach auf dem Wahlparteitag der Demokraten über die religiöse Verblendung des amtierenden US-Präsidenten.

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Von
  • Steffan Heuer

Ausgerechnet Ron Reagan, Sohn eines republikanischen Präsidenten, sprach auf dem Wahlparteitag der Demokraten laut aus, was viele Republikaner nicht hören wollen: Die religiöse Verblendung des amtierenden Präsidenten behindere die Stammzellforschung - eine der großen Hoffnungen für die Therapie der Alzheimer-Krankheit, an der sein Vater gestorben war. "Man sollte der Theologie einer Minderheit nicht erlauben, Gesundheit und Wohlergehen der Mehrheit zu blockieren", verkündete Reagan und appellierte an die Nation: Im November "können wir wählen zwischen Vernunft und Ignoranz".

Reagans Plädoyer für die Freigabe von Bundesmitteln für die Stammzellforschung - seit August 2001 von Präsident George W. Bush bis auf 40 bestehende Zelllinien verboten - wirft ein Schlaglicht auf die grundlegende Richtungsänderung, die ein Machtwechsel im Weißen Haus für Amerikas Wissensarbeiter bewirken würde: mehr Forschungsfreiheit statt einseitiger Förderung von Rüstung und Religion.

Selten hat sich die akademische Welt vor einer Wahl so einhellig gegen die amtierende Regierung und deren forschungspolitische Prioritäten ausgesprochen. Die Mehrheit erwartet, dass ein Präsident Kerry Haushaltskürzungen rückgängig macht und Mittel aus dem aufgeblähten Rüstungsetat in andere Forschungsgebiete zurückschichtet. Wichtiger noch: Sie hoffen, dass der Demokrat die wissenschaftliche Arbeit und Debatte aus dem Bann einer christlich-konservativen Ideologie befreit, die Umweltprobleme leugnet, Energiesparen als Unsinn abtut und Aids-Aufklärungsaktionen in eine Kampagne für sexuelle Enthaltsamkeit umdeutet.

"Die Regierung Bush hat im Gegensatz zu früheren Regierungen bei ihrer Politikfindung neutralen wissenschaftlichen Rat ignoriert. Sie untergräbt Amerikas Zukunft", protestierten kürzlich 48 Nobelpreisträger in einem offenen Brief.

Kerrys Plan für die Technologie- und Wissenschaftspolitik ist, den Geboten des Wahlkampfes entsprechend, vage bei der genauen Mittelzuweisung für Programme von der Nanotech-Initiative bis zu den National Institutes of Health (NIH), die viele der wichtigsten medizinischen Forschungsprojekte an US-Universitäten finanzieren. Der Senator aus Massachusetts hat mit seinem Versprechen, das Verbot uneingeschränkter Stammzellforschung aufzuheben, nicht nur 58 von 100 Senatoren, sondern auch 200 von 435 Abgeordneten im Repräsentantenhaus hinter sich. Für ihn ist das Biotech-Thema nicht nur eine Frage der Forschungsfreiheit, sondern auch ein Beispiel, wie die USA ihre wissenschaftliche Führungsrolle behaupten können.

Die Wissenschaftspolitik unter einer demokratischen Regierung würde zudem wichtige andere Akzente setzen. Kei Koizumi, der für den renommierten Wissenschaftler-Dachverband AAAS Budgetzahlen analysiert, resümiert: "Bush geht es nur um mehr Geld für Verteidigung, Heimatschutz und Raumfahrt. Dann kommt lange nichts." Bleibt Bush im Amt, werden neun von 12 Bundesbehörden mit wichtigen Forschungsprogrammen ab 2005 nicht einmal mit der Inflation Schritt halten. Das Rekorddefizit dank massiver Steuersenkungen ist die Entschuldigung. Die vorgeschlagenen Kürzungen werden wichtige Programme auf historische Tiefststände bringen.

Einzige Ausnahmen in Bushs Haushaltsplan bis 2009 sind die Rüstungsforschung im Auftrag des Pentagon, Antiterrorforschung des Ministeriums für Heimatschutz und einige publikumswirksame Programme der Nasa, solange sie sich mit Raumfahrt statt Ökologie befassen. Zwei Kernstücke akademischer Förderungskultur - die NIH und die National Science Foundation (NSF) - würden unter Bush ab 2006 zum ersten Mal deutlich schrumpfen. Kerry hingegen will deutlich mehr Gelder in die Gebiete Biomedizin, sauberere und nachhaltige Energie-Erzeugung, die Entwicklung innovativer Fertigungsmethoden, Nanotechnologie sowie in die IT-Grundlagenforschung stecken.

Vor allem bei der strategisch wichtigen Energiepolitik will Kerry deutlich andere Wege gehen. Er nennt die Emanzipation vom Erdöl das nächste "Apollo-Projekt". Er will bis 2020 ein Fünftel allen Stroms aus erneuerbaren Quellen gewinnen. Auf dem Weg zu "sauberer Energie" verspricht Kerry, die Gewinnung von Biosprit aus US-Getreide massiv auszubauen und zehn Milliarden Dollar in sauberere Kohlekraftwerke zu investieren - alles Vorhaben, deren Notwendigkeit die Ölmänner Bush und Cheney seit Jahren bestreiten. Sie würden den Forschungsetat des Energieministeriums in der zweiten Amtszeit um ein Viertel zusammenstreichen.

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Steffan Heuer ist Deutscher und lebt seit zehn Jahren in New York (sma)