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Bitcoin: Von Punk zu Bank

Angela Froitzheim, Ulf J. Froitzheim, Gregor Honsel

Die Anarcho-Währung Bitcoin war als Frontalangriff auf das Bankensystem gedacht. Nun könnte sie sich tatsächlich daranmachen, den Finanzmarkt zu revolutionieren

Die Anarcho-Währung Bitcoin war als Frontalangriff auf das Bankensystem gedacht. Nun könnte sie sich tatsächlich daranmachen, den Finanzmarkt zu revolutionieren – wenn auch ganz anders als geplant. Eine Geschichte über Glücksritter, Finanzjongleure – und die Zukunft des Geldes.

Dies ist eine Geschichte von mysteriösen Start-ups ohne Adresse, von selbst gedrucktem Geld, von einem 21-Jährigen Mathegenie, das die Banken auf den Kopf stellen will, von einem Gründer, der sein Smartphone trägt wie die Cops in Krimis ihre Pistole – und von Geldgebern, die Millionen zahlen, um in dieser Szene dabei zu sein. Dies ist eine Geschichte über Bitcoin und darüber, wie eine oft tot geglaubte Idee das Finanzsystem verändern könnte.

Fangen wir am besten bei Blockstream an: Die Liste der Investoren liest sich wie ein Who's who des Silicon Valleys: Reid Hoffman und Max Levchin (PayPal; LinkedIn, Yelp), Vinod Khosla und Eric Schmidt (Sun Microsystems; Google), Jerry Yang (Yahoo) und Ray Ozzie (Lotus Notes, Microsoft) sowie der ehemalige Karstadt-Abenteurer Nicolas Berggruen. Sie legten opulente 21 Millionen Dollar Startkapital zusammen. Doch wo genau der Firmensitz ist, lässt sich kaum herausfinden. Spuren führen nach Montreal, enden dort aber in einer Anwaltskanzlei und einer UPS-Filiale. Existiert das Start-up nur in der Cloud, als lose Kooperation verstreuter Einzelgänger?

Das würde passen. Blockstream speichert Geschäftsvorgänge mit einer auf Bitcoin aufsetzenden Technik. Und in der Bitcoin-Szene sind Freiheit, Dezentralität und Anonymität Fixpunkte im Wertesystem. Selbst über den Bitcoin-Erfinder Satoshi Nakamoto ist praktisch nichts bekannt. Gewiss ist nur, dass er ein völlig neues Geldsystem schaffen wollte. Unmittelbar nach dem Crash der Investmentbank Lehman Brothers stellte er die Idee für ein offenes Peer-to-Peer-Netz online, dessen Teilnehmer sich neue "Münzen" verdienen können, indem sie sich gegenseitig auf die Finger schauen. Die Idee faszinierte Netzaktivisten verschiedenster Couleur – von libertären Hardlinern über Occupy-Autonome und Cypherpunks bis zu Verschwörungstheoretikern. Nakamotos Prinzip hieß "trustlessness": Traue keinen Menschen oder Institutionen, sondern nur Open-Source-Algorithmen und der Crowd. Damit war theoretisch der Weg frei für eine globale Währung unter Umgehung der Banken, die sich damals in eine tiefe Vertrauenskrise manövriert hatten.

Nun sind die Geldinstitute allerdings dabei, den Spieß umzudrehen: Sie reizt nicht so sehr das Kunstgeld an sich, sondern das dahinterliegende "Blockchain"-Prinzip – ein dezentrales Kassenbuch aus einer endlosen Kette von Datenblöcken. Da sie nicht nur Einnahmen und Ausgaben protokollieren können, sondern jeden beliebigen Geschäftsvorgang, eignen sie sich als Universalwerkzeug für Finanzdienstleistungen und Beurkundungen aller Art. So sondieren bereits Deutsche Bank, UBS, ABN Amro und Citibank die Chancen und Risiken. Mitte September gaben neun der weltgrößten Banken die Gründung einer Partnerschaft bekannt, um einheitliche Protokolle und Industriestandards für Blockchain-basiertes Banking zu entwickeln – darunter Barclays, Credit Suisse und JPMorgan. Bitcoins als Währung mögen seit ihrem Allzeithoch mehr als 80 Prozent an Wert verloren haben – die Firmen, die sich der Bitcoin-Technologie bedienen, bekamen allein 2015 mehr als 400 Millionen Dollar an Risikokapital.

"Die Blockchain ist die entscheidende Innovation", bestätigt Matthias Kröner. Der Chef der kleinen Münchner Fidor Bank hat sich ei-nen Namen als innovationsfreudiger Banker gemacht. Gemeinsam mit der Herforder Bitcoin Deutschland GmbH bietet er seinen Kunden den An- und Verkauf der Kryptowährung an. Gleichzeitig ist Fidor deutscher Pilotkunde des Blockchain-Spezialisten Ripple Labs.

Ohne Bank, aber mit 300000 Euro Wagniskapital will das Start-up Pey "normalen" Menschen das Bezahlen per Bitcoin schmackhaft machen. Der Gründer Ricardo Ferrer Rivero stammt aus Venezuela, hat lange in den USA gelebt und schon mehrere Firmen aus der Taufe gehoben. Er trägt Schulterholster wie die Cops in US-Krimis. Unter der linken Achsel steckt sein Smartphone, rechts sein ungeliebtes Portemonnaie. "Bargeld hat mich immer schon genervt", sagt Rivero. Also will er es abschaffen. Bisherige Versuche scheiterten an den vielen kleinen Händlern, die nicht einmal Kreditkarten nehmen. Weil bis zu acht Intermediäre an jeder Zahlung mitverdienen, lohnen sich die Gebühren plus Miete fürs Terminal nicht.

Hauptquartier von Pey ist der "Edelstall", ein loftiger Coworking-Space in Hannovers Szene-Stadtteil Linden. Per 3D-Drucker haben die vier Gründer ein Kassenterminal gebaut – eine kleine Docking-Station für Nexus-Handys. Tippt der Händler den Betrag ein, erscheint ein QR-Code. Der Kunde scannt ihn mit der Pey-App und bestätigt die Zahlung. Dann stellt die App automatisch die Verbindung zur Tauschbörse Bitpay her, die dem Händler sofort den Gegenwert in Euro aufs Bankkonto überweist. Das Ganze funktioniert auch mit Bluetooth und NFC statt mit QR-Code. Um die Sache ins Rollen zu bringen, beackern die Gründer die Läden und Kneipen der unmittelbaren Nachbarschaft – mit persönlichen Gesprächen, Bitcoin-Verschenkaktionen, T-Shirts, Plakaten, Social-Media-Kampagnen. Doch den größten Anschub versprechen sich die Gründer davon, Arbeitnehmer dazu zu bringen, sich einen Teil des Lohns in Bitcoins auszahlen zu lassen. Bis zu 44 Euro ist das nämlich steuerfrei.

Die Händler müssen für den Dienst noch nichts bezahlen. Erst wenn sich die Transaktionen häufen, möchte Pey mitverdienen. Bitcoin ist dabei nur Mittel zum Zweck. "Die Bitcoin-Community versucht sich von Banken freizuhalten", sagt Rivero, sieht aber ein: "Nur auf Krypto-Währungen zu setzen ist utopisch." Rund 50 Geschäfte und Dienstleister sind derzeit Teil des Lindener "Bitcoin-Boulevards".

Sollten Bitcoins tatsächlich als alltägliches Zahlungsmittel durchstarten, warten die nächsten Probleme: Die Geldmenge ist auf 21 Millionen Bitcoins begrenzt. Davon sind bereits 14 Millionen im Umlauf. Und das System schafft nur sieben Transaktionen pro Sekunde, denn es produziert nur alle zehn Minuten einen 1-Megabyte-Block. Zum Vergleich: Kreditkartensysteme bewältigen eine fünfstellige Zahl an Buchungen pro Sekunde.

Hinzu kommen die Transaktionskosten. Das Bitcoin-Rechnernetz verbraucht so viel Strom, dass derzeit auf jede Transaktion mehr als fünf Euro an versteckten Kosten entfallen. Laut blockchain.info sind Werte über zehn Dollar keine Seltenheit.

Der Grund für diese Ineffizienz liegt just in jedem Grundgedanken, der Bitcoin für viele so attraktiv gemacht hat: in der "vertrauenslosen" Sicherheitsarchitektur, die keinen Verantwortlichen kennt. An deren Stelle stehen aufwendige kryptografische Berechnungen. Und um die Geldmenge nicht zu schnell ansteigen zu lassen, wird jede Transaktion noch mit einer Rechenaufgabe ("Proof of work") garniert, deren Schwierigkeitsgrad laufend mit der zur Verfügung stehenden Rechenleistung steigt. Das sollte ursprünglich dazu dienen, niemanden zu mächtig werden zu lassen. Doch Privatleute sind bei diesem Rüstungswettlauf längst aus dem Spiel. Knapp drei Viertel der Bitcoin-Produktion stammen heute von fünf großen "Mining-Pools". Vier von ihnen befinden sich in China, oft in entlegenen Gegenden, wo es kühl und der Strom günstig ist.

Diesen Sommer begann der Versuch, das Kryptogeld aus diesen Fallen zu befreien. Gavin Andresen, Bitcoiner der ersten Stunde, hob Bitcoin XT aus der Taufe. Aber das Projekt droht am Streit in der Gemeinde zu scheitern.

Die Finanzriesen braucht so etwas nur bedingt zu kümmern. Für die Banken ist die Original-Bitcoinkette vor allem ein Proof-of-Concept – mit einer herrlich ironischen Pointe: So stehen Talente aus der kommerzkritischen Open-Source-Subkultur, die gestern noch die Banken abschaffen wollten, heute unverhofft am Scheideweg zwischen Punk und Profit, zwischen Prinzip und Pragmatismus. Der Jobmarkt jedenfalls brummt. Oliver Bussmann, Chief Information Officer der Schweizer Großbank UBS, sprach gegenüber Bloomberg-Reportern von mehr als 100 Firmen, die an der Weiterentwicklung des Blockchain-Konzepts arbeiteten.

Die Ideen betreffen mittlerweile nicht mehr nur den Kapitalverkehr, sondern alle Fälle, in denen Rechte oder Ansprüche dauerhaft dokumentiert oder auf einen neuen Inhaber übertragen werden müssen. Ein Start-up in Kalifornien namens Skuchain konzentriert sich zum Beispiel auf die Dokumentation von Lieferketten. Mögliches Einsatzgebiet ist die Rückverfolgung von Bio-Lebensmitteln vom Verbraucher zum Erzeuger.

Selbst die Arbeit von Behörden könnte sich ändern. "Es gäbe hochspannende Möglichkeiten, wenn der Staat seine Grundbücher auf Blockchain-Basis digitalisieren würde", sagt Oliver Flaskämper, Chef der Tauschbörse bitcoin.de. Ein Hausbesitzer könne dann seine Immobilie unkompliziert in Anteilsscheine splitten und für diese separat bei Banken Hypotheken aufnehmen. Notare würden dann arbeitslos: Schließlich ist eine Blockkette nichts anderes als das maschinenlesbare Gegenstück zu einer Notarrolle oder der Journalrolle einer Registrierkasse. Allerdings kann sie nicht nur Bagatellbeträge abwickeln, sondern auch "smart contracts", also digitale Verträge, die ihre Einhaltung automatisch überwachen – beispielsweise den pünktlichen Eingang von Ratenzahlungen oder Dividenden.

"Wenn man diese Vorgehensweise in andere Bereiche übernimmt, beispielsweise in die Musik oder Fotografie, entstehen digitale Assets, wo es vorher keinerlei Wertschöpfung gab", sagt Fidor-Chef Kröner. So ließe sich beispielsweise beim Erwerb eines urheberrechtlich geschützten Songs der Kauf protokollieren – als Nachweis, dass er keine Raubkopie ist. Welche Ideen es bis zur praktischen Umsetzung schaffen, ist noch nicht abzusehen.

Nur eines scheint ausgemacht: Die Bitcoin-Technologie mag als Kapitalismuskritik begonnen haben – ihr gesellschaftsveränderndes Potenzial entfaltet sie nun Seit an Seit mit dem alten Feindbild. Viele Projekte stehen mit einem Bein noch in der Bitcoin-Welt, mit dem anderen im realen Geschäftsleben. Der Weg zu ihnen ist oft eine veritable Schnitzeljagd. Telefonnummern sind auf den Websites eine Rarität, Anfahrtsskizzen unüblich. Adressen führen oft nur zu Großkanzleien, Treuhändern, Notaren, Holdings oder Büroservices in der Schweiz. In deren Foyers hängen Reihen von Briefkästen. Mancher trägt fünf Firmennamen.

Ethereum, eines der meistbeachteten und ehrgeizigsten Startups, residiert am Stadtrand von Baar, im Steuersparparadies und Briefkastenfirmen-Kanton Zug. Die Büros liegen in einem extravaganten neokubistischen Wohnquader mit Dachterrasse. Entgegen der branchenüblichen Geheimniskrämerei stehen sogar zwölf Klarnamen auf dem Briefkasten. Gavin Wood, einer der Hauptentwickler, kommt sichtlich überarbeitet die Treppe herunter und öffnet die Glastür, bittet den Besucher aber nicht herein. Zeit für ein Gespräch habe leider niemand aus dem Team – die Deadline für ein Software-Release drückt.

Die junge Mannschaft – zur Zahl der Mitarbeiter äußert sich Etherum nicht – hat sich vorgenommen, ein komplettes Ökosystem aufzusetzen. Es reicht von einer Blockkette mit eigener Münze, dem "Ether", über eine Entwicklungsplattform bis zum Browser "Mist", einer Art Firefox für ein zukünftiges Internet des Geldes. Das Konzept sieht vor, dass jedermann auf Basis dieser Infrastruktur seine eigenen Anwendungen erstellen kann, die sogenannten ÐApps (Decentralized Applications).

Treibende Kraft des Projekts ist das Mathegenie Vitalik Buterin, ein 21-jähriger Kanadier russischer Abstammung und Schützling des brachiallibertären deutsch-amerikanischen Unternehmers Peter Thiel. Schon als Teenager gab Buterin, ein milchbubig-altkluger Nerd vom Schlag des jungen Bill Gates, das "Bitcoin Magazine" heraus. Dann wechselte er von der Beobachter- auf die Macherseite.

Die nötigen Ressourcen beschafften sich Buterin und seine lebenserfahreneren Mitstreiter über einen sogenannten Bitcoin-Crowdsale, eine Mischung aus Mikro-Risikokapital und Crowdfunding. Die Förderer überwiesen im Sommer 2014 Bitcoins im Wert von mehr als 15 Millionen Dollar und erhielten dafür Einheiten der Hauswährung Ether, die bei einem Misserfolg verloren wären. Träger des Projekts ist eine Stiftung in der Schweiz. Nähere Fragen zur Konstruktion aus Stiftung und Firma, zum Spagat zwischen Kommerz und Gemeinnützigkeit, beantwortet die Firma nach einigem Hin und Her nicht.

In Baar residiert auch die Bitcoin Suisse AG. Im Obergeschoss eines unprätentiösen Gewerbebaus arbeitet CEO Niels Niklas Nikolajsen. Der dunkelhaarige Däne sieht mit Knebelbart und Pferdeschwanz aus wie ein Musketier-Darsteller. Er kam in die Schweiz, weil es dort weniger Regularien für Unternehmer gibt als in der EU. Er hat neben seiner Firma ein zweites Standbein als IT-Dienstleister. Zudem ist er Schweizer Repräsentant der Freien Republik von Liberland. Das ist ein unbewohntes Stück Niemandsland an der Donau, das weder Serbien noch Kroatien haben wollte. Bei Nikolajsen kann man Bitcoins sogar in Papierform kaufen; wenn man das Geld braucht, rubbelt man den privaten Schlüssel frei und gibt ihn in die Bitcoin-Wallet ein. Damit will er ein analog-digitales Äquivalent zu anonymen Nummernkonten schaffen. Außerdem betreibt er noch eine Handelsplattform und verkauft Bitcoin-Geldautomaten. Obwohl 150-prozentiger Enthusiast, ist er Realist genug, um über das Mining zu lästern: "Wenn ich eine Maschine baue, mit der ich Geld verdienen kann, verkaufe ich sie doch nicht."

Nicolajsen ist gut vernetzt und hat die Telefonnummer von Johann Gevers im Handy, dem Gründer und Chef der Monetas AG. Der charmante, hagere Hüne mit rotblonder Kurzhaarfrisur nimmt sich spontan Zeit für ein Treffen in seinem schicken neuen Büro in der Baarer Stadtmitte. Seine Monetas AG spart auf ihrer Website nicht mit großen Versprechungen. Sie betreibe die "fortschrittlichste Transaktionsplattform der Welt", löse "eine der größten Herausforderungen der Menschheit" und biete allen Beteiligten "unglaublichen Nutzen". Gemeint ist damit ein Blockchain-basiertes Zahlungssystem, mit dem beispielsweise Arbeitsmigranten aus armen Ländern zu geringstmöglichen Kosten Geld an ihre Familien überweisen können.

Im persönlichen Gespräch wird klar: Das angeberische Marketingbohei auf monetas.net passt gar nicht zum Naturell von Johann Gevers. Der 50-Jährige ist Spross einer norddeutschen Missionarsfamilie, die im 19. Jahrhundert nach Südafrika ausgewandert war. Er ist ein sanfter, offener Typ, der glaubt, was er sagt. Von Haus aus Kaufmann, hatte er schon als Wirtschaftsprüfer, Vermögensverwalter und Unternehmensberater gearbeitet, bevor er mit Patri Friedman zusammenkam. Der Enkel des berühmten Ökonomen Milton Friedman ist Gründer der libertären "Seasteading"-Bewegung, die auf schwimmenden künstlichen Inseln herrschaftsfreie Kommunen gründen wollte. 2011 engagierte er den Wahlkanadier Gevers als Projektmanager für eine "Freie Stadt" in Honduras, ein privat finanziertes soziales Experiment auf dem Festland, das sich aus politischen Gründen dann doch nicht realisieren ließ.

Es war die Zeit, als Bitcoin bekannt wurde und rasch Amerikas Libertarians verzückte. Auch Gevers, der sich schon früher für digitales Geld interessiert hatte, wurde neugierig. Gemeinsam mit einem amerikanischen Softwareentwickler konzipierte er die auf Bitcoin aufsetzende Monetas-Software. Der Prototyp funktionierte, doch der Kaufmann in Gevers wusste, dass das Ergebnis weit weg war von einem Produkt, das er seiner Zielgruppe hätte verkaufen können: Banken, die mit neuen Dienstleistungen neue Kunden ansprechen wollen. Eigentlich sieht der Monetas-Gründer – ganz im Einklang mit der Bitcoin-Szene – Geldinstitute umso kritischer, je größer sie sind. "Das Finanzsystem ist zu zentralisiert", erklärt er in seiner unaufgeregten Art. "In einem dezentralen System ist das so: Wenn der Einzelne einen Fehler macht, hat er Pech. Aber nicht alle anderen."

Als Pragmatiker und bekennender Anhänger des Kapitalismus sagt er allerdings nicht Nein, wenn er seine Software an Großbanken verkaufen kann, die damit ihrerseits Menschen in armen Ländern erschwinglichere Überweisungsdienste anbieten können. Deshalb engagierte er erfahrene Softwareingenieure, die den Code von Grund auf neu schrieben. Inzwischen hat die Vermarktung begonnen, und Monetas könnte eine der ersten kommerziellen Blockchain-Anwendungen werden.

Das Prinzip basiert auf "Colored Coins". Das "Färben" verwandelt Bitcoins oder Bruchteile davon in "Tokens", also Wertmarken, die Gegenstände oder Ansprüche in der realen Welt repräsentieren – etwa ein Guthaben in irgendeiner anderen Währung oder ein Auto. Das widerspricht zwar der reinen Lehre. Aber während das Risiko bei Bitcoin-Transfers allein beim Endverbraucher liegt, verlagert es sich in dieser Form auf den Betreiber. Dieser muss freilich, wie in der Prä-Bitcoin-Ära, um das Vertrauen seiner Kunden werben. Sollte das Bitcoin-System jedoch kollabieren, hinge auch Monetas in der Luft.

Bei Ripple Labs kann so etwas nicht passieren. Das Unternehmen ist der Branchenpionier schlechthin und wird den "Agnostics" zugerechnet. Sprich: Es hat mit der Ideologie der Bitcoin-Szene nichts am Hut. Die 100 Mitarbeiter sitzen im Finanzdistrikt von San Francisco und haben sich darauf spezialisiert, die IT der bestehenden Banken mithilfe der Blockchain-Technologie auf Trab zu bringen. Es gibt kein langsames, energieverschwendendes Proof-of-work, denn die Netzknoten werden von bekannten Partnern betrieben, die einander trauen. Deshalb benötigt es auch kein Münzen-Mining. Die "XRP" genannten Coins dienen lediglich dazu, pro Transaktion eine kleine Bearbeitungsgebühr zu erheben. Im Devisengeschäft ersetzen sie den Dollar als Brückenwährung zwischen "illiquiden" Währungspaaren, die wegen eines zu geringen Handelsvolumens nicht zu einem fairen Kurs direkt umgetauscht werden können.

Ripples deutscher Referenzkunde ist die Fidor Bank. Auf die Frage, ob die Zusammenarbeit für ihn schon mehr sei als ein Experiment, antwortet Vorstandschef Matthias Kröner in einer E-Mail ausweichend: "Ripple hilft Banken, Auslandsüberweisungen in Echtzeit zu günstigen Kosten anzubieten. Wir halten Ripple für eine spannende Innovation, die sich jede Bank ansehen sollte." Seine Kollegen in den großen Häusern sehen das offenbar ähnlich. ABN Amro, Citibank, Deutsche Bank und UBS wagen sich zwar noch nicht an Pilotprojekte, aber ihre Informatiker und Juristen verfolgen die Blockchain-Szene genau.

Eine der entscheidenden Fragen ist eher rechtlicher als technischer Natur: Wenn der Münzbesitzer seinen privaten Schlüssel (ein sehr langes Passwort) verliert oder ihm das Handy mit Wallet-App gestohlen wird, ist das Geld ohne ein Backup unwiederbringlich weg. Das darf bei einer Blockchain, an der die Eigentumsrechte an Häusern, Autos, Aktien oder Kunstwerken hängen, nicht passieren. Und eine Blockchain, die nur eine Kopie des Grundbuchs, Kfz-Registers oder Echtheitszertifikats wäre, bringt wenig Nutzen. An einem Ausweg aus diesem Grunddilemma arbeiten nach eigenem Bekunden viele Start-ups. Eine Lösung ist allerdings noch nicht auf dem Markt.

Worin allerdings tatsächlicher Nutzen bestehen könnte, verriet sein Kollege Matthijs Geneste von der ABN Amro Clearing Bank: Vielleicht könnten Banken eines Tages normale Währungen wie den Euro an die Blockkette legen – natürlich unter den Fittichen der jeweiligen Zentralbank. Das könnte beispielsweise den internationalen Geldtransfer vereinfachen und günstiger machen. Wenn es so weit kommen sollte, hätte Satoshi Nakamoto mit seiner Technik das etablierte Bankensystem eher gestärkt denn überflüssig gemacht – das glatte Gegenteil von dem, was er erreichen wollte. (grh [1])


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