Chimären als Ersatzteillager

Japan erlaubt, Mischwesen aus Mensch und Tier zur Welt zu bringen. Der Ruf nach ethischen Debatten über Chimären wird laut. Dabei sind die längst gelaufen, meint TR-Redakteurin Jo Schilling.

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Herzschrittmacher

Herzschrittmacher: Kommt bald das Ersatzherz?

(Bild: Thomas Zimmermann, Lizenz Creative Commons CC BY-SA 3.0 DE)

Lesezeit: 5 Min.

Das Wort Chimäre schaltet unser Kopfkino an: Homers bösartiges Mischwesen aus Löwe, Ziege und Schlange schiebt einen seiner feuerspeienden Köpfe in unser Unterbewusstsein. So geschehen, als die Welt erfuhr, dass das japanische Wissenschaftsministerium dem Forscher Hiromitsu Nakauchi erlaubt, Chimären aus Tier und Mensch länger als 14 Tage heranwachsen und sogar zur Welt kommen zu ­lassen. Was auf den ersten Blick an unserem menschlichen Selbstverständnis zerrt, ist auf den zweiten Blick jedoch nichts weiter als die konsequente Fortsetzung langjähriger Versuche, Tiere zu Ersatzteilspendern für Menschen zu machen. Nur das Wort scheint böse – die Forschung dahinter ist es nicht.

Die Fakten: Der Wissenschaftler aus Tokio will mensch­liche "induzierte pluripotente Stammzellen" zunächst in Mäuse- und Rattenföten heranwachsen lassen. Für die Entwicklung solcher Stammzellen bekam der Japaner Shin'ya ­Yamanaka 2012 den Medizin-Nobelpreis. Sie werden aus ­erwachsenem Gewebe gewonnen. Nakauchi erzeugt sie für seine Chimären-Experimente aus seinen eigenen Hautzellen – nicht aus Embryonen, wohlgemerkt. Man kann Nakauchi also nicht einmal den Vorwurf machen, das Erbgut eines ­anderen Menschen mit einem Tier zu vermischen.

Diese Stammzellen will er in genetisch manipulierte ­Nagerföten spritzen, denen die genetische Anlage fehlt, um beispielsweise eine eigene Bauchspeicheldrüse zu bilden. Dies sollen die eingespritzten menschlichen Stammzellen übernehmen. So zumindest die Hoffnung Nakauchis.

Die Föten dürften zwar, sollen jedoch nie geboren werden. Die Experimente will er kurz vor der Geburt abbrechen. Wobei das letztlich keinen großen Unterschied macht: Sterben werden die Chimären ohnehin – sonst erfährt Nakauchi nichts über den Erfolg oder Misserfolg seiner Experimente. Der nächste Schritt wäre dann, diese Art der Zelltransplantation auf Schweine zu übertragen.

Schweine gelten als besonders vielversprechende Ersatzteillieferanten für Menschen – sie sind uns so ähnlich, dass Mediziner hoffen, irgendwann Schweineherzen, -lebern, -nieren und andere Organe in Menschen transplantieren zu können. Das Problem der Xenotransplantation: Unser Immunsystem toleriert Fremdes nicht und stößt das Organ ab. Auch Viren, Pilze oder Parasiten, die Schweinen nichts ausmachen, sind für uns lebensbedrohlich, wenn sie mit dem Schweineorgan in unseren Körper kommen. Besonders fatal ist dies, weil nach jeder Transplantation das Immunsystem des Patienten massiv gedrosselt wird. Aber an sterilen und immunverträglichen Tieren arbeiten Forscher seit Jahren mit inzwischen vielversprechenden Erfolgen.

Was Nakauchi erreichen möchte, sind also "humanisierte" Schweineorgane. Das Gleiche versuchen deutsche Wissenschaftler schon seit drei Jahren mit Schweinelebern – gefördert mit 1,25 Millionen Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Nur dass die deutschen Wissenschaftler keine Stammzellen in Föten spritzen, sondern die Selbst­heilungskräfte der Leber nutzen: Sie planen, große Teile der Schweineleber zu entfernen und ihr dann menschliche ­Leberzellen zur Reparatur anzubieten – die einzigen ausdif­ferenzierten Zellen, die sich bis ins hohe Alter noch stark ­regenerieren können. So soll dann im Schwein eine Leber heran­wachsen, die von Tag zu Tag menschlicher wird. Sie stellt – so der Plan – menschliche Stoffwechselprodukte her und wird nach der Transplantation in den Patienten immer menschlicher, sodass sie nach einiger Zeit nicht einmal mehr abgestoßen wird. Das Ziel ist also im Prinzip das gleiche wie das des Japaners: eine Chimäre. Es sind allerdings keine ­Embryonen im Spiel, keine Stammzellen und auch nicht das Wort Chimäre. Also schreit auch niemand auf.

Diese humanisierten Lebern laufen in der prestigeträchtigen Reinhart-Koselleck-Förderlinie der DFG, einer Hochrisikoförderung mit einkalkuliertem Scheitern. Und ähnlich ist auch die Forschung Nakauchis einzuschätzen: Es ist einer von vielen möglichen Wegen, an Ersatzteile für ­Menschen zu gelangen – allerdings einer, der noch recht weit am Anfang steht und dessen Erfolg noch gar nicht abzuschätzen ist.

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Aber weshalb diesen Weg von vornherein ausschließen? Aus ethischen Gründen? Jedes Institut, das menschliche Krankheiten erforscht, manipuliert auch die Gene von Mäusen. Nicht selten werden menschliche Gene hinzugefügt, um irgendeine Eigenschaft der Maus menschenähnlicher zu machen. Diese humanisierten Mäuse erzeugen Nachkommen mit menschlichem Genmaterial. Sie heißen dann "transgener Organismus" und nicht "Chimäre". Aber ist diese irreversible Vermischung von Mäuse- und Menschengenen nicht viel bedrohlicher als ein paar Stammzellen, die sich in einem ein­zigen Tier vermehren, ohne dass sie weitergegeben werden können? "Transgener Organismus" klingt halt netter als ­"Chimäre".

Selbst der Deutsche Ethikrat, dessen Mitglieder vom Präsidenten des Deutschen Bundestages ernannt werden, hat keine Bedenken, dass durch Forschungsarbeiten, wie Nakauchi sie plant, ethisch kritisch zu betrachtende Mischwesen entstehen. Er hat sich bereits 2011 in einer Stellungnahme zu Mensch-­Tier-Mischwesen in der Forschung positioniert. Die rote Linie für den Ethikrat wären echte Hybridwesen, bei denen das genetische Material vermengt ist, sodass Tier und Mensch untrennbar miteinander verbunden sind. Beispielsweise wie Pferd und Esel in Maultier oder Muli.

Ethik ist ein Spiegel unserer Gesellschaft und passt sich den Anforderungen an – sie rückt scheibchenweise dem Wohlstand oder Elend nach. Die Sorge, dass menschliche Stammzellen sich im Gehirn der Schweine ansiedeln und zu denkenden Mischwesen führen, ist unbegründet.

Je mehr Organe benötigt werden, desto offener sollte die Gesellschaft den möglichen Lösungen gegenüberstehen. Wer also meint, dass Experimente wie die Nakauchis unvertretbar sind, schaut am besten ganz schnell in seine Brieftasche, ob er seinen ­Organspendeausweis dabei hat.

(bsc)