COVID-19-Behandlung: Neue Tablette Molnupiravir weckt Hoffnungen

Das neue antivirale Medikament Molnupiravir soll laut Zwischenbericht der Phase-III-Studie Covid-Patienten gut vor Krankenhausaufenthalten und Tod schützen.

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(Bild: RossHelen / Shutterstock.com)

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Das fehlt: Ein wirksames Medikament, das Impfdurchbrechern und Menschen hilft, die sich nicht impfen lassen können, wenn das Virus sie erwischt hat. Seit dem Beginn der Pandemie vor nunmehr fast zwei Jahren tauchen immer wieder Wirkstoffe auf, von denen die Medizin hofft, dass sie das Virus bekämpfen. Überzeugend funktioniert hat bislang nichts. Die Palette reichte vom Tipp des damaligen US-Präsidenten Donald Trump, Desinfektionsmittel zu injizieren, über das Entwurmungsmittel Ivermectin bis zu echten antiviralen Wirkstoffen wie Remdesivir.

So ein Medikament scheint – bei aller gebotenen Vorsicht – nun gefunden zu sein. Der Wirkstoff Molnupiravir wurde ursprünglich von einem Spin-Off der US-amerikanischen Emory University entwickelt und von dem US-Konzern Merck & Co., der in Europa als MSD firmiert, übernommen. MSD hatte eigentlich den Plan aus Molnupiravir ein Virostatikum gegen Influenza, die echte Grippe, zu entwickeln. Zu Beginn der Pandemie zeigte sich jedoch, dass es auch gegen SARS-CoV-2 wirkt.

MSD verkündete nun erste Zwischenergebnisse aus der aktuellen klinischen Phase-III-Studie. Das Data Safety Monitoring Board, eine unabhängige Überwachungsinstanz bei klinischen Studien, hatte laut der Pressemitteilung einen frühzeitigen Abbruch der Rekrutierung von neuen Versuchspersonen empfohlen. Das geschieht, wenn die Ergebnisse in laufenden Studien entweder besondere Risiken aufdecken, die Probanden unnötig gefährden oder wenn die Ergebnisse auffallend gut sind.

Letztes scheint hier der Fall zu sein: Die Zwischenanalyse von 775 Studienteilnehmenden zeigte eine Risikoreduktion von 50 Prozent für Krankenhauseinweisung und Tod. "In Zahlen ausgedrückt entspricht dies einer Reduktion der Hospitalisierungsrate von 14,1 Prozent auf 7,3 Prozent. Während kein Patient unter Molnupiravir während der vierwöchigen Beobachtungsphase verstarb, verloren acht Patienten in der Placebogruppe ihr Leben“, sagt Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin der Klinik Schwabing in München. An der Studie teilgenommen haben Menschen, die nicht länger als fünf Tage leicht oder mittelschwer an COVID-19 erkrankt sind und mindestens einen Risikofaktor für einen schweren Verlauf aufweisen. Sie wurden fünf Tage lang entweder mit dem Wirkstoff oder einem Placebo behandelt und 29 Tage lang in der Studie geführt.

MSD will nun eine Notfallzulassung bei der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA für den Wirkstoff beantragen. Die USA haben sich bereits im August 1,7 Millionen Dosen gesichert und werden etwa 1,2 Milliarden Dollar dafür bezahlen. Es liegen nach Aussagen des MSD-Partners Ridgeback bereits zehntausende Behandlungsdosen bereit und die Produktion könnte im Zulassungsfall auf Millionen Dosen in Herbst aufgestockt werden. Die Idee der Hersteller ist, den Wirkstoff auch als Prophylaxemittel einzusetzen, wenn Menschen Kontakt mit Infizierten hatten – etwa innerhalb der Familie.

Allerdings sollte nach Charles Pillers Einschätzung in "Science" Vorsicht den Optimismus begleiten. Nach seinen Recherchen hat die Entwicklung des Wirkstoffes durchaus dunkle Seiten: Er fand Hinweise auf mutagene, also erbgutschädigende Effekte von Molnupiravir, die politisch unter den Tisch gekehrt wurden.

Schaut man sich den Wirkmechanismus des Medikamentes an, ist eine mutagene Wirkung naheliegend, denn letztlich basiert das Prinzip des Medikamentes darauf. Es wirkt – anders als das nur mäßig wirksame Remdesivir – in zwei Phasen. Nach dem Schlucken der Tablette, nehmen Körperzellen den Wirkstoff auf und bauen ihn in einen Stoff um, der RNA-Bausteinen so stark ähnelt, dass die virale Kopiermaschine "RNA-Polymerase" ihn wie einen herkömmlichen RNA-Baustein verwendet.

Der neue Baustein "M" wird einfach zufällig und immer wieder in die einsträngige Virus-RNA aus rund 30.000 Bausteinen eingebaut. Die Wirkung des Medikamentes entfaltet sich erst im nächsten Schritt – wenn diese fehlerhaften Viruskopien weiter vervielfältigt werden. Dann kann die RNA-Polymerase M nicht lesen und versucht den Fehler zu reparieren. Dabei entstehen diverse Mutationen im Virus-Genom, die an vielen kleinen und zufälligen Stellen dazu führen, dass sich das Virus nicht weiter vermehren kann.

Das erklärt auch, weshalb Molnupiravir so viel wirksamer zu sein scheint als Remdesivir. Auch Remdesivir ähnelt RNA-Bausteinen so stark, dass die RNA-Polymerase das Molekül in die wachsende RNA-Kette einbaut. Allerdings ist die Ähnlichkeit nicht groß genug, als dass die Polymerase den Betrug nicht merken würde – nachdem sie drei weitere Bausteine eingefügt hat, fällt der Schwindel auf und sie bricht den Bau der Virus-Kopie ab. Ziel erreicht, könnte man meinen – aber eine Virus-Polymerase gibt nicht so schnell auf und häufig ist sie in der Lage, den frühzeitig entdeckten Fehler zu korrigieren und eben doch weiter Viren-RNA zu produzieren.

Sollte die finale Auswertung der klinischen Phase III Studie von Molnupiravir nicht noch Unregelmäßigkeiten zeigen, könnte es in Kürze also tatsächlich ein Medikament geben, das COVID-19 Patienten gegen das Virus hilft.

Allerdings führt der Weg aus der Pandemie nicht über Medikamente, sondern über eine möglichst vollständige Durchimpfung der Bevölkerung. Auf ein Virostatikum als "Gamechanger" zu setzen, wäre fahrlässig, denn die Geschichte der Virostatika zeigt, dass Viren noch viel schneller und kreativer darin sind, die Wirkung von Medikamenten zu umgehen, als alle anderen Krankheitserreger.

Die ersten Virostatika gegen Influenza Relenza und Tamiflu haben gerade einmal eine Grippesaison lang effektiv geholfen – die Resistenzen haben sich rasend schnell ausgebreitet und für Pandemien eingelagerte staatliche Vorräte zu Biomüll degradiert. Die Erfolgsgeschichten in der antiviralen Therapie heißen HIV und Hepatitis C. Sie basieren jedoch auf langfristig angelegten Kombinationstherapien, so dass Viren sich gleichzeitig gegen verschiedene Angriffsmechanismen zur Wehr setzen müssen. Molnupiravir ist gegen SARS-CoV-2 jedoch genauso allein, wie die bislang entwickelten Virostatika gegen Influenza. Der Königsweg bleibt Impfen.

(jle)