Corona: So impft Japan in zwölf Schritten

Nach einem lahmen Start impft Japan nun mit hohem Tempo. Unser Autor hat sich in den extrem ausgeklügelten Impfprozess eingeschleust.

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(Bild: FabrikaSimf/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

Henry Ford, der Fließbandpionier der Autoindustrie, hätte am japanischen Impfprogramm seine Freude gehabt. Denn die Japaner haben den Impfprozess mit einer Liebe zum Detail in so viele kleine, personalintensive Arbeitsschritte zerlegt, dass man sich als Außenstehender nicht mehr über den extrem langsamen Start der Impfkampagne in Asiens ältester Industrienation wundert.

Etwa zehn einzelne Stationen in der Verfahrenskette zähle ich in meinem lokalen Impfzentrum, gut besetzt mit hochqualifiziertem Personal. Die Ablaufpläne zu entwerfen, dürfte dazu geführt haben, dass Japan lange daheim wie im Ausland als Impfnachzügler galt. Sicher, wie andere asiatische Länder hat Japan erst deutlich nach den USA und Europa Corona-Vakzine erhalten. Aber während Südkorea rasch mit dem Impfen begann, arbeiteten Japans Bürokraten über Monate an der Logistik. Da verloren selbst die Japanerinnen und Japaner die Geduld. Das führte unter anderem zur Popularitätskrise von Ministerpräsident Yoshihide Suga, der politisch entkräftet vorige Woche seinen Rücktritt ankündigte.

Doch inzwischen impft Japan – quasi am Fließband – schneller als die meisten anderen Nationen. Diesen Monat könnte Japans Impfrate sogar die des Impfpioniers USA überholen. Die Lorbeeren für das neue Impftempo heimst nun Sugas Impfminister Taro Kono ein, der gute Chancen hat, neuer Regierungschef zu werden. Dabei gehört der Designpreis für den reibungslosen Ablauf hochkomplexer Produktionsabläufe den Organisatoren von Impfzentren wie dem im Bezirksamt Tsuzuki, einem Stadtteil der Millionenmetropole Yokohama. Das Amt hat seine Veranstaltungshalle zur Immunitätsfabrik umgewandelt.

Der Ablauf:

  • Gut bewaffnet mit einem Stapel Dokumente angekommen. Drei Damen saßen am Empfang. Eine half beim Ausfüllen der Gesundheitserklärung, eine maß die Körpertemperatur und trug sie auf dem Laufzettel ein, die dritte checkte die Papiere und befestigte sie auf einem Klemmbrett.
  • Zwei Meter nach links zur nächsten Dame, die die Dokumente checkte und das "Impfsubjekt" zum nächsten Checkpoint schickte. Dort wurden die Papiere gecheckt und gefragt, wie es einem ginge. Gut.
  • Weiter zur nächsten Doppelstation: zwei Tische, jeweils besetzt mit zwei Personen.
  • Ich werde zum rechten Tisch gerufen. Ein junger Mann nimmt mir das Klemmbrett ab, checkt die Dokumente auf ihre Vollständigkeit und reicht die Papiere an eine Frau weiter, auf derem roten Umhang "Nurse" steht.
  • Sie schaut mich an und fragt erneut, was ich bereits in der Gesundheitserklärung angekreuzt hatte. Wie es mir geht und ob ich schon mal allergisch auf Impfungen reagiert habe. "Nein." Die Krankenschwester ist zufrieden. "Bitte gehen Sie dort entlang zum Nummern ziehen". Eine Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen – Fehlanzeige.
  • Weiter in die Impfhalle und dort um die aus Trennwänden errichteten Impfboxen herum. Auf der anderen Seite steht eine Dame, die die Nummer aushändigt und den Weg weiter zu den Warteplätzen im Theatersaal weist.
  • Eine erste Dame weist mich in die Sitzplatzreihe auf der linken Saalseite ein, in der in genauer Nummernreihenfolge Platz genommen wird. Die mittleren Sitze sind frei, die rechten sind die Ruhezone, wo die Geimpften 15 Minuten auf allergische Reaktionen hin beobachtet werden.
  • Eine zweite Angestellte weist den Sitz zu. Sie hat zudem die Aufgabe, die Sitzplätze zu desinfizieren, sobald sich eine Reihe geleert hat. Dann heißt es warten, bis ein Bildschirm und eine weitere Dame am Eingang zur eigentlichen Impfzone die Nummer aufrufen.
  • Sie wirft einen Blick auf die Papiere und sagt die Nummer der Box, in die man gehen soll. Damit sich niemand auf den drei Metern verläuft, steht eine weitere Angestellte vor der Box, hebt die Hand und sagt: "Hierher bitte." Hinter einem Vorhang wartet ein älterer Herr, der sich durch seinen weißen Kittel als Arzt ausgibt. Doch er impft nicht.
Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

  • Der Herr guckt sich die Papiere an und fragt, wie es einem ginge, ob man schon mal allergisch auf Impfungen reagiert habe oder selbst noch Fragen habe. "Nein." Dann geht es weiter zur nächsten Box zum Impfen. Davor steht wieder eine Einweiserin, die einen herbeiwinkt. Sie zieht den Vorhang beiseite, hinter dem drei Damen warten.
  • Man darf sich setzen. Das Impfen beginnt. Die Impfende fragt noch mal sicherheitshalber nach, wie man sich fühle. Dann kündigt sie geduldig jeden Schritt der Impfprozedur an. "Jetzt desinfiziere ich Ihren Arm, ok?", "Jetzt kommt die Spritze." Es pickst kurz, dann klebt eine Helferin dem Geimpften ein Klebeband mit der Uhrzeit auf die Brust, zu der die Beobachtungszeit abläuft.
  • Dann raus aus der Kabine zur nächsten Station, an der eine Dame fragt, ob man auch die Papiere für die zweite Impfung in drei Wochen habe. Ich zeige sie vor. Gut, bitte gehen Sie in die Ruhezone. Dort stehen vier Krankenschwestern zur Betreuung von etwa 30 Wartenden bereit. 15 Minuten sind um, dann darf ich gehen. Geschafft.

Der personelle Aufwand in diesem Impfprotokoll wirkt auf Nicht-Japaner vielleicht etwas übertrieben. Aber es steht stellvertretend für Japans Kultur, Effizienz an der Kundenzufriedenheit auszurichten und nicht nur am Kapitaleinsatz.

In diesem Fall wollen die Impfanbieter sichergehen, dass die zu Impfenden sich gut aufgehoben fühlen und offene Fragen noch klären können. Vielleicht aus Wohlfühlgründen wird auch auf eine mehrseitige Einverständniserklärung über die möglichen Nebenwirkungen verzichtet, die in Deutschland jeder Impfinteressierte studieren und unterzeichnen muss. Aber eines muss man den Organisationen zugestehen: Der Impfprozess wird schnell und glatt abgewickelt. Derart an die Hand genommen, kann sich niemand im Prozedere verlieren. (bsc)