Corona-Varianten: Welche Impfungen Amerika im Herbst plant

Neue COVID-19-Varianten sorgen pünktlich zum Sommerende für mehr Erkrankungen. Doch der Kampf wird leichter als zuvor.

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Soldat wird geimpft

(Bild: US-Kriegsmarine/Sean M. Castellano)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Cassandra Willyard
Inhaltsverzeichnis

Genauso wie in Europa schwappt auch in den Vereinigten Staaten erneut eine Corona-Welle über die Bevölkerung. Viele Menschen werden positiv getestet. Die Anzahl der COVID-19-bedingten Krankenhausaufenthalte ist in dem Land in der dritten Augustwoche um fast 16 Prozent gestiegen. Prominenteste Betroffene war First Lady Jill Biden, die sich kürzlich infizierte. Die Daten deuten darauf hin, dass sich das Land am Anfang einer Herbstwelle befindet. Schüler und Studenten kehren in ihre Bildungseinrichtungen zurück, die Arbeitnehmer aus dem Urlaub.

Nun stellt sich die Frage, wie es mit einer möglichen Impfkampagne weitergeht. Die Situation: Vor ziemlich genau einem Jahr kam in den USA die letzte Auffrischungsimpfung auf den Markt – und obwohl die jüngste Welle wahrscheinlich kaum so schlimm sein wird wie die Pandemie der Jahre 2021 bis 2023, gibt es jede Menge Unsicherheit.

Je nachdem, wo man in den USA wohnt, soll es noch im September einen ersten neuen Booster geben. Zu Beginn des Sommers entschied die US-Medizinaufsicht Food and Drug Administration (FDA), dass man den aktuellen Impfstoff auffrischen will. Die Behörde empfahl den Herstellern, Impfstoffe zu entwickeln, die auf XBB.1.5 abzielen, einen Abkömmling der Omikron-Variante. Das war das Virus, das zum damaligen Zeitpunkt kursierte. Pfizer, Moderna und Novavax reagierten und machten sich an die Arbeit. Jetzt warten sie auf die FDA-Zulassung – und das Gesundheitswesen auf einen Beschluss der Seuchenschutzbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC), wie die Impfungen verabreicht werden sollten. Das alles soll bis Mitte September geschehen. Das Advisory Committee on Immunization Practices der CDC – das Gremium, das Empfehlungen dazu abgibt, wer sich wann impfen lassen sollte – tritt am 12. September, zusammen.

In Europa ist der neue Impfstoff von Pfizer bereits zugelassen. Die Europäische Kommission hat grünes Licht für die Impfung gegeben. Danach folgten die Behörden im Vereinigten Königreich diesem Beispiel. Die ersten Impfungen sollten bald in die Hände der Menschen gelangen. Diejenigen, die im Vereinigten Königreich am stärksten gefährdet sind, ernsthaft zu erkranken, werden ab dem 11. September für die neue Impfung infrage kommen. Aber XBB 1.5 ist nicht die einzige Variante, die derzeit im Umlauf ist. Wie besorgt sollte man über neuere Varianten sein?

Die meisten Infektionen in den USA werden nach wie vor durch XBB-Varianten verursacht, aber einige andere Varianten sind auf dem Vormarsch. Nach Schätzungen der CDC ist EG.5 jetzt für etwa 20 Prozent der COVID-19-Fälle in den USA verantwortlich, mehr als jede andere zirkulierende Variante. An zweiter Stelle steht eine Variante namens FL 1.5.1, die 15 Prozent der Fälle ausmacht. Diese Viren scheinen keine schwereren Erkrankungen zu verursachen, aber sie sind geschickter darin, sich der Immunreaktion des Körpers zu entziehen.

Die Wissenschaft richtet ihre Aufmerksamkeit auch auf eine Anfang August erstmals entdeckte Variante, die als BA.2.86 oder unter dem Spitznamen Pirola bekannt ist. Diese Variante ist bemerkenswert, weil sie sich von allen anderen im Umlauf befindlichen stark unterscheidet. "Was die Leute wirklich aufhorchen ließ, war die Tatsache, dass sie mehr als 30 Mutationen im Spike aufwies, also eine sehr bedeutende genetische Veränderung." Das sagt Dan Barouch, ein Immunologe an der Harvard Universität.

Damit meint er das berühmte Protein in Form eines Stachels, das das Virus benutzt, um in die Zellen einzudringen. Es ist erst das zweite Mal, dass SARS-CoV2 einen so großen Sprung beim Spike gemacht hat. (Das erste Mal war der Sprung von Delta zu Omicron, eine Veränderung, die zu der bisher tödlichsten COVID-Welle führte.) Die Befürchtung ist, dass diese massive Änderung der Sequenz das Virus für unser Immunsystem schwieriger zu erkennen und zu bekämpfen machen könnte.

Erste Daten deuten jedoch darauf hin, dass die Befürchtungen zu Pirola eher übertrieben sein könnten. In einer Vorabveröffentlichung untersuchten Barouch und seine Kollegen Blutproben von 66 Personen, von denen einige die bivalente Auffrischungsimpfung im Herbst erhalten hatten und andere nicht.

Die Probanden umfassten auch eine Untergruppe von Personen, die in den letzten sechs Monaten mit XBB.1.5 infiziert worden waren. Die Werte der neutralisierenden Antikörper gegen BA.2.86 waren vergleichbar oder höher als die Werte gegen XBB.1.5, EG.5 und FL.1.5.1. Diese Variante scheint also dem Immunsystem nicht viel mehr zu entgehen als andere Varianten. "Das war ein bisschen unerwartet und eine gute Nachricht", sagt Barouch.

Diese Ergebnisse stimmen in etwa mit den Erkenntnissen überein, die Labore in China und Schweden in den letzten Tagen gemeldet haben. BA.2.86 wurde "von einem Hurrikan auf weniger als einen Tropensturm herabgestuft", sagte Mediziner Eric Topol gegenüber USA Today und fügte hinzu: "Wir haben Glück gehabt. Dieser hätte wirklich schlimm sein können."

Aber die aktuellen Daten sind noch vorläufig. Und selbst wenn es sich bei BA.2.86 nur um einen leichten "Regenschauer" handelt, heißt das nicht, dass es in Zukunft keine Probleme geben wird. "Es sind die Nachkommen von BA.2.86 (Pirola), die mich mehr beunruhigen als die aktuelle Variante an sich", schrieb T. Ryan Gregory, ein Evolutionsbiologe an der Universität von Guelph, auf X. "Die Sorge besteht darin, dass sie sich weiter entwickelt und ihre Abkömmlinge Eigenschaften haben, die sie erfolgreich machen, neue Wirte zu erreichen." In der Tat hat BA.2.86 bereits eine Unterlinie entwickelt.

Wahrscheinlich ist es eine Kombination von Faktoren, einschließlich der nachlassenden Immunität. Die letzte Aktualisierung des Impfstoffs, die bivalente Impfung, kam wie erwähnt vor einem Jahr heraus. "Es ist ziemlich lange her, dass Auffrischungsimpfungen für COVID-19 angeboten wurden, und diese Auffrischungsimpfungen wurden in der Bevölkerung relativ wenig angenommen", erklärt der Virologe Andrew Pekosz von der Hochschule Johns Hopkins. Außerdem sind die neuen dominanten Varianten geschickter darin, sich unserem Immunsystem zu entziehen als frühere Viren.

Das bleibt abzuwarten. Sowohl Moderna als auch Pfizer haben berichtet, dass die neuen Impfungen eine starke Antikörperreaktion gegen die XBB-Varianten sowie gegen EG.5.1, FL 1.5.1 und BA.2.86 hervorrufen. Immunologe Barouch und sein Team fanden außerdem heraus, dass eine Infektion mit XBB.1.5 die neutralisierenden Antikörper gegen BA.2.86 zu verstärken scheint – ein hoffnungsvolles Zeichen dafür, dass der Impfstoff auch zur Abwehr der neuen Variante beitragen könnte. Allerdings wird der Schutz wahrscheinlich schnell nachlassen, genau wie bei früheren COVID-Impfstoffen. "Wir wissen, dass die Haltbarkeit der mRNA-Booster relativ begrenzt ist", sagt Barouch, in einer Größenordnung von sechs Monaten.

Eine aktualisierte Impfung ist vor allem für Menschen wichtig, deren Immunsystem geschwächt ist oder die aus anderen Gründen ein hohes Risiko für die Entwicklung einer schweren Erkrankung haben. "Ob die Impfung auch für jüngere, gesündere Menschen sinnvoll ist, ist unter Experten auf diesem Gebiet umstritten", sagt Barouch.

Wir wissen, dass der Impfstoff nicht vor allen COVID-19-Infektionen schützt. Aber er könnte den Schweregrad der Krankheit mindern. "Ich kann mich immer noch anstecken, aber es ist vielleicht nicht mehr so unangenehm", sagt John Wherry, Immunologe an der Universität von Pennsylvania. Eine aktualisierte Impfung könnte auch das Risiko von Long COVID verringern. "Es besteht immer noch ein gewisses Risiko, jedes Mal, wenn man sich infiziert", sagt Wherry. Aber wenn eine robuste Immunreaktion das Virus daran hindern kann, sich über die oberen Atemwege hinaus auszubreiten, "denke ich, dass die Wahrscheinlichkeit, an Long Covid zu erkranken, ein wenig geringer ist". Allein das sei ein Gewinn.

(bsc)