DNA-Sequenzierung hilft Neugeborenen

Mit aktueller Technik lässt sich das vollständige Genom eines Menschen mittlerweile innerhalb von zwei Tagen entschlüsseln. Das soll nun auch Säuglingen mit schwer zu diagnostizierenden Krankheitsbildern helfen.

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Von
  • Karen Weintraub

Mit aktueller Technik lässt sich das vollständige Genom eines Menschen mittlerweile innerhalb von zwei Tagen entschlüsseln. Das soll nun auch Säuglingen mit schwer zu diagnostizierenden Krankheitsbildern helfen.

In einer neuen Studie haben Forscher an einem Krankenhaus in Kansas City demonstriert, dass sich das komplette Genom von Babys im Notfall innerhalb von nur 50 Stunden analysieren lässt. Dabei sind erstaunlich genaue Diagnosen zumindest bei bestimmten genetischen Krankheiten möglich: Bei sieben Neugeborenen, die kurz nach der Geburt verstarben, ließ sich in fünf Fällen mit der Methode genau bestimmen, an was sie litten. Der Zeitraum von zwei Tagen sollte künftig ausreichen, notfalls schnell eingreifen zu können.

Aktuell benötigen Gentests auf einer Säuglingsintensivstation noch einen Monat oder länger – ein Zeitraum, der für Eltern oft zur Qual wird und Ärzten potenziell die Chance nimmt, aggressiv behandelnd einzugreifen.

Zu bedenken ist allerdings, dass die in Kansas City erprobte Turbo-Sequenzierung zumindest anfangs nur einer kleinen Gruppe helfen würde – Neugeborenen mit schwer zu diagnostizierenden Erbkrankheiten, die einzelne Gen betreffen. Trotzdem zeige die Studie, dass sich mittlerweile eine DNA-Entschlüsselung Echtzeit zu einem realistischen Preis umsetzen lasse, sagt Untersuchungsleiter Stephen Kingsmore, der Direktor des Center for Pediatric Genomic Medicine am Mercy Hospital in Kansas City ist. Die Kosten pro Analyse lagen bei rund 13.500 Dollar.

"Für diejenigen unter uns, die sich seit langem mit der DNA-Entschlüsselung beschäftigt, ist es unsagbar frustrierend, dass die praktische Medizin bislang nicht von der Sequenzierung des gesamten Genoms profitiert", sagt der Internist und Mikrobiologe. Die Bedeutung dieser Studie sei schnell erklärt: "Wir können nun endlich darüber nachdenken, wie die Genomentschlüsselung für die Krankenhausversorgung relevant werden kann."

Die Technik allein sei kein limitierender Faktor bei der DNA-Sequenzierung mehr, meint auch Mark J. Daly, Co-Direktor für medizinische Genetik am Broad Institute in Cambrdige, Massachusetts, der Kingsmores Arbeit kennt. Die größte Herausforderung liege nun darin, die riesigen Datenmengen besser zu interpretieren. "Die Maschinen sind toll, die Technik ist toll. Wir wissen nur noch nicht genau, was wir mit all diesen Informationen anfangen können", gibt der Genetiker freimütig zu. "Wir sind aber dabei, das zu lernen."

Die Forscher aus Kansas City gingen das Datenverarbeitungsproblem an, in dem sie sich auf ein eingeschränktes Gebiet an Genkandidaten konzentrieren. Sie betrachteten einen Bereich von 600 Genomsegmenten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit kritische Mutationen tragen und entwickelten dann eine Datenbank, um Symptome der dadurch ausgelösten Krankheiten zu erfassen. Die Suche soll mit der Zeit auf alle 3500 bekannten Gene ausgedehnt werden, die als Auslöser von Erbkrankheiten bekannt sind.

"Die erste wichtige Frage ist, nach welchem Gen wir suchen sollen", sagt Neil Miller, Direktor für Informatik am Center for Pediatric Genomic Medicine und Co-Autor der Studie. "Die zweite wichtige Frage ist, welchen Auswirkungen diese beim Patienten entdeckten Varianten auf die Genabschnitte haben, in denen sie vorkommen."

Miller entwickelte dazu eine Software, die Genvarianten anhand der Wahrscheinlichkeit bewertet, mit der diese für eine Erkrankung von Neugeborenen verantwortlich sein können. Diese Kombination erlaubt es, die Suche auf eine Handvoll Varianten zu beschränken, die dann von einem Arzt begutachtet werden kann, der die Diagnose schließlich stellt.

Die Babys in der Studie waren entweder todkrank oder Totgeburten, doch die frühzeitige Gensequenzierung könnte in bestimmten Fällen Ärzten durchaus helfen, lebensrettende Maßnahmen einzuleiten.

Die Familien, die an der Studie teilnahmen, erhielten zudem wichtige Informationen aus der Genanalyse, sagt Carol Saunders, Labordirektorin am Mercy Hospital und Mitautorin der Studie.

Ein Elternpaar fand heraus, dass ihre anderen, gesunden Kinder möglicherweise Träger einer sehr seltenen und tödlichen Form von Epilepsie sein könnten, an der das Neugeborene starb. Eine andere Familie erfuhr, dass die Mutation bei ihrem verstorbenen Baby nicht ererbt war und eine weitere Schwangerschaft ein gesundes Kind zur Welt bringen könnte. Eine dritte Familie erfuhr wiederum von einer Mutation, die dafür verantwortlich war, dass sie bereits zwei andere Kinder verloren hatte. Die Betroffenen können nun ein genetisches Screening vor einer künstlichen Befruchtung durchführen lassen, um sicherzustellen, dass es nicht erneut zu dieser Mutation kommt.

Das Mercy Hospital will nun innerhalb eines Monats eine eigene Sequenzieranlage anschaffen und auch anderen Krankenhäusern bei der Genanalyse helfen.

David T. Miller vom Labor für genetische Diagnostik am Kinderkrankenhaus Boston lobt die Studie aus Kansas City zwar aus technologischer und logistischer Sicht, hinterfragt allerdings die Sinnhaftigkeit im klinischen Alltag. Die meisten Entscheidungen in einer Säuglingsstation hingen nicht von einer schnellen Genanalyse ab. Zudem helfe das Verfahren nur bei bestimmten Krankheitsbildern. "Letztlich läuft alles darauf hinaus, wie die Kosten-Nutzen-Rechnung ausfällt. Lohnt sich die Sache wirklich?"

Experte Mark Daly hält die Vorteile dagegen für so groß, dass sich die vollständige Sequenzierung des Genoms sogar dann lohnt, wenn die diagnostische Seite noch zu wünschen übrig lässt. "Selbst wenn wir nur in einem von hundert Fällen Erfolg haben, lässt sich das nicht in Geld beziffern." (bsc)