Dämpfer für RNA-Interferenz

Die Technik machte Patienten Hoffnung auf Heilung und Biotech-Firmen auf Umsatz. Doch jetzt zeigen Forscher die Grenzen der Euphorie um die RNA-Interferenz auf.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Sascha Karberg

"Biotechs Billion Dollar Breakthrough" bejubelte das Fortune-Magazin vor kaum zwei Jahren die neue Wirkstoff-Technologie namens RNA-Interferenz (RNAi). Denn offenbar lässt sich per RNAi jedes krankmachende Gene still legen. Die Euphorie ergriff sogar die Börsen, wo Unternehmen wie die deutsch-amerikanische Alnylam, Sirna Therapeutics aus Boulder, USA, oder die australische Benitec allein mit der Idee einer RNAi-Therapie gegen unheilbare Erkrankungen punkten konnten. Doch jetzt hat der Hype um die RNAi einen Dämpfer bekommen. Denn die im aktuellen Fachmagazin Nature veröffentlichte Forschungsarbeit des renommierten RNAi-Experten Mark Kay von der Stanford-University hat Grenzen der RNA-Interferenz-Technik aufgezeigt: Als Kay mit RNAi gegen die virale Leberentzündung Hepatitis C vorgehen wollte, starben viele der Versuchsmäuse binnen weniger Wochen.

Dabei begann alles so vielversprechend: Nicht einmal fünf Jahre brauchte die Technik von der puren Idee bis zu ersten Versuchen am Menschen 2005. Das war nur möglich, weil die RNAi-Methode anders als die künstlichen Gentherapien einen natürlichen zellulären Mechanismus nutzt. Doch eben dieser Vorteil scheint sich jetzt zum Nachteil zu wenden, stellte Forscher Kay fest: Wird der zelluläre Mechanismus durch den Eingriff von außen überfrachtet, drohen tödliche Nebenwirkungen.

Normalerweise bringen RNAi-Forscher kleine künstliche RNA-Moleküle, so genannte siRNA (für short interfering) in die Zelle ein, um ein krankmachendes Gen stillzulegen. Dabei ahmen die Forscher die Zelle nach, die natürlicherweise miRNA (für micro) produziert, um zum Beispiel Krebsgene zu unterdrücken. Sowohl die künstlichen siRNAs als auch die natürlichen miRNAs nutzen dabei die gleiche Zellmaschinerie, konkurrieren also. Denn die miRNAs bzw. die siRNAs werden in der Zelle in bestimmte Enzyme integriert, die dann die Übersetzung der Erbinformation des krankmachenden Gens in das schädliche Protein unterbrechen. Wird die Zelle mit künstlicher siRNA überfrachtet, dann werden vor allem Enzymkomplexe mit siRNAs gebildet, so dass die natürlichen miRNAs zu kurz kommen und die normale Genregulation durcheinander gerät. Die Folge sind die von Kay beobachteten Nebenwirkungen.

Eigentlich sollte eine Überfrachtung der RNAi-Maschinerie in der Zelle gar nicht zustande kommen, da die künstlichen siRNAs nur eine gewisse Zeit im Gewebe überdauern können. Bei bestimmten Erkrankungen ist es aber ein Problem, dass man immer wieder siRNAs per Spritze oder Pille zuführen muss, um ein krankmachendes Gen permanent stilllegen zu können. Deshalb installierte Mark Kay in den Mäusen gewissermaßen eine unerschöpfliche Quelle für die heilversprechenden RNA-Moleküle: ein Stück DNA, das als Vorlage für die Produktion der kleinen RNA-Moleküle dient. 49 verschiedene solcher Quell-Konstrukte, Vektoren genannt, probierte Kay aus, bei 36 war die zelluläre RNA-Interferenz-Maschinerie überfordert. In 23 Fällen waren die Nebenwirkungen sogar so stark, dass die Mäuse starben.

Diese Ergebnisse hätten "fundamentale Konsequenzen" für zukünftige RNA-Interferenz-Therapieversuche, so Kay, doch die Ergebnisse seiner Studie dürften "nicht fehlinterpretiert" werden. "Die Arbeit soll in keiner Weise den Enthusiasmus für RNAi-Therapeutika dämpfen." Die Studie gebe vielmehr wichtige Einblicke in die Funktionsweise und Sicherheitslimits der RNAi. Man müsse fortan besonders darauf achten, die Konzentration der künstlichen RNA-Moleküle in der Zelle zu kontrollieren.

Für Thomas Tuschl, deutscher RNAi-Forscher an der Rockefeller University in New York, kommen diese Ergebnisse "nicht unerwartet". Tuschl sieht die Ursache des Problems vor allem in der Produktion der RNA-Interferenz-Moleküle mit Hilfe von Vektoren. Dadurch verliere man die dosisabhängige Kontrolle. Die deutsch-amerikanische RNAi-Firma Alnylam, die Tuschl mitgründete, verzichtet deshalb auf Vektoren, wie auch die RNAi-Firmen Aquity und Sirna. Alle drei versuchen derzeit in klinischen Studien am Menschen die blindmachende Wucherung von Blutgefäßen im Auge (die so genannte Makuladegeneration) per RNAi zu stoppen. Dabei spritzen die Forscher lediglich kontrollierte Mengen von siRNAs in das Gewebe. Nebenwirkungen oder eine Übersättigung der RNAi-Mechanik konnten bisher nicht beobachtet werden - im Gegenteil, die RNAi-Therapie scheint anzuschlagen.

Auch Bharatt Chowrira von Sirna Therapeutics hält die Verwendung von Vektoren für eine "alte und überflüssige" Technik aus der Gentherapie-Mottenkiste. "Außer Benitec verwendet niemand gentherapeutische Vektor-Technologien, um siRNA in die Zellen zu bringen", sagt Chowrira. Für die RNAi-Therapie gebe es viel einfachere und elegantere Wege, die siRNAs in die Zellen zu bekommen. Sirna arbeitet mit chemisch stabilisierten siRNA-Molekülen, die in Nanopartikeln verpackt werden. Das sei völlig ausreichend, denn in einer therapeutischen Situation würde man nie mit so hohen Konzentrationen von Nukleinsäuren in der Zelle arbeiten, wie sie Kays Vektoren produzieren, sagt Bharatt Chowrira. Maximal 400 Mikrogramm siRNA bekämen die Patienten im Rahmen der klinischen Phase-II-Studie von Sirna zur Behandlung der Makuladegeneration lokal ins Auge gespritzt. "Man müsste eine 20 bis 40fach höhere Dosis geben, um eine so hohe Konzentration von siRNA in den Zellen zu erreichen, wie von Kay beschrieben." Deshalb ist sich Chowrira trotz der Nature-Studie sicher, dass die RNAi-Technologie die nächste große Welle von Biotech-Medikamenten hervorbringen werde. Schon Ende 2007, Anfang 2008 könnten die ersten Wirkstoffe auf siRNA-Basis die letzte klinische Prüfphase III erreichen. Läuft alles wie geplant, könnte 2010 die erste RNAi-Therapie zugelassen werden.

Doch Kays Ergebnisse zeigen, wie jung und unerforscht die RNA-Interferenz noch ist und dass womöglich noch weitere Überraschungen auf dem Weg zur RNAi-Therapie warten. Besonders kritisch dürften Investoren jetzt die australisch-amerikanische RNAi-Firma Benitec beäugen. Denn Benitec hält die Patente auf jene Vektoren, die als Quelle für RNAi-Moleküle in der Zelle dienen sollen, und deren potenzielle Gefährlichkeit Mark Kay jetzt beschrieben hat. Und das, obwohl der Forscher wissenschaftlicher Berater Benitecs ist, seit die Australier seine Gentherapie-Firma Avocel 2004 aufgekauft haben. Geschäftsführerin Sara Cunningham sieht ihre Benitec dennoch nicht unter besonderem Druck: "Es ist gut, dass diese Studie jetzt veröffentlicht wurde, weil es all jene alarmieren wird, die RNA-Interferenz-Medikamente entwickeln wollen". Die Studie zeige aber, dass nicht die Gentherapie-Methode, mit der die RNAi-Moleküle in die Zelle gebracht werden, die Nebenwirkungen ausgelöst habe. Entscheidend sei nur die Konzentration der RNA-Interferenz-Moleküle in der Zelle, sagt Cunningham: "Alle RNAi-Moleküle sind, wie alle Wirkstoffe, in bestimmten hohen Konzentrationen toxisch." Das habe schon der deutsche Arzt Paracelsus im 15. Jahrhundert festgestellt. "Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht's, dass ein Ding kein Gift ist." (wst)