Das Google der Gene

Mit staatlichen Krediten ist das BGI-Shenzhen zu einem der weltgrößten Zentren für die Erbgutanalyse aufgestiegen. Nun fürchten insbesondere die USA, dass es dem chinesischen Institut weniger um Wissenschaft geht als vielmehr darum, Gen-Informationen auszubeuten.

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Von
  • Christina Larson

Mit staatlichen Krediten ist das BGI-Shenzhen zu einem der weltgrößten Zentren für die Erbgutanalyse aufgestiegen. Nun fürchten insbesondere die USA, dass es dem chinesischen Institut weniger um Wissenschaft geht als vielmehr darum, Gen-Informationen auszubeuten.

Im Alter von 17 Jahren brach Zhao Bowen die Schule ab. Wie viele ruhelose junge Menschen in China zog es den Pekinger nach Shenzhen, dem Industrie-Zentrum des Landes. Im Teenager-Alter hatte er es allerdings nicht auf einen Job am Fließband abgesehen: Stattdessen war sein Ziel eine umgebaute Schuhfabrik, das Hauptquartier des BGI-Shenzhen, einem der weltweit größten Zentren für die Erbgutanalyse. Heute leitet der 21 Jahre alte Zhao ein Projekt zur Entschlüsselung der DNA von rund 2000 Menschen. Sein Ziel: mehr über die genetische Komponente von Intelligenz herauszufinden.

Zhao galt zwar schon immer als Wissenschaftswunderkind, aber auch für chinesische Verhältnisse ist sein Werdegang ziemlich ungewöhnlich. Wer weiterkommen will, braucht üblicherweise gute Zeugnisse und Verbindungen, Einrichtungen sind streng hierarchisch organisiert. Im BGI-Shenzhen allerdings, früher bekannt als Beijing Genomics Institute, sind Schulabbrecher geradezu willkommen. Der stellvertretende Direktor Xu Xun etwa, 29 Jahre alt und Leiter der Bioinformatik-Abteilung mit 1000 Beschäftigten, hat seine Doktorarbeit nie zu Ende gebracht. Trotzdem werden im Institut „Abgänger“ wie er, die zu ungeduldig für eine lange Ausbildung und gierig auf Erfahrungen in der Praxis sind, bewundert. Für Xu ist klar: Genau diese spezielle, informelle Art macht das BGI so anziehend für junge Leute. „Man kann sich hier an vielen interessanten Sachen beteiligen“, sagt er. So wurde hier zum Beispiel das Erbgut des gefährlichen EHEC-Erregers entziffert.

Das BGI-Shenzhen hat sich von relativer Unbekanntheit zu einem der produktivsten Sequenzier-Dienstleistungszentren für menschliche, pflanzliche, tierische und mikrobielle DNA entwickelt. Schätzungen zufolge stammen 10 bis 20 Prozent aller weltweit produzierten Erbgutdaten von hier. Maßgeblichen Anteil daran hat ein Arsenal an Sequenziermaschinen. 2010 kaufte das Zentrum mithilfe eines 1,58 Milliarden Dollar schweren Kredits der China Development Bank unter anderem 128 hochmoderne Modelle des US-Unternehmens Illumina zum Stückpreis von je 500000 Dollar. Mittlerweile gehören dem Institut 156 solcher Geräte, die 4000 Mitarbeiter würden eine mittlere Universität füllen. Wie Zhao sind die meisten Angestellten jung, und viele von ihnen übernachten in institutseigenen Schlafsälen. Das Durchschnittsalter beträgt 27 Jahre, das Gehalt 1500 Dollar im Monat.

Die schiere Größe des BGI hat die chinesische Genforschung zu einem ernst zu nehmenden Faktor gemacht. Das Zentrum hat zum einen eine Reihe von groß angelegten Forschungsprojekten initiiert (siehe S. 59). Zum anderen sind die Chinesen Vorreiter als Dienstleister für die Entzifferung von menschlichen Genomen im Großmaßstab – ein Erbgut ist hier für nur 3000 bis 4000 Dollar zu haben. Die Kunden sind renommierte Pharmafirmen und Universitäten aus der ganzen Welt. Das Zentrum will bereits 50000 menschliche Genome entziffert haben, weitaus mehr als jede andere Einrichtung. Seit 2012 richtet es Satelliten-Labore in fremden Forschungszentren ein und besetzt sie mit chinesischen Technikern. Die europäische Zentrale befindet sich in Kopenhagen.

(vsz)