Das Internet als globales Schlaflabor

Noch nie hat sich eine Technologie so schnell durchgesetzt wie das Internet. Weil heutzutage Menschen in fast jedem Land der Welt vernetzt sind, lassen sich damit interessante Sozialstudien vornehmen.

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  • TR Online
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Im Jahr 1995 hatten rund 40 Millionen Menschen in aller Welt einen Internet-Anschluss. Bis 2000 war diese Zahl auf rund 400 Millionen gestiegen, 2016 erreichte sie 3,5 Milliarden. Das bedeutet, dass inzwischen fast die Hälfte der Weltbevölkerung mit derselben Technologie vernetzt ist. Dadurch müsste es möglich sein, diese Technologie als eine Art demografischen Sensor zu benutzen, der das Verhalten von Menschen in einem fast unvorstellbaren Ausmaß erfassen kann.

Genau das haben Klaus Ackermann und Kollegen an der University of Chicago jetzt getan: Sie haben untersucht, wann Geräte weltweit in den Jahren 2006 bis 2013 mit dem Internet verbunden und davon getrennt wurden. Die zeitliche Auflösung dafür betrug 15 Minuten, so dass eine überwältigende Zahl von Einzelbeobachtungen dabei herauskam ­– nicht weniger als eine Billion.

Die Datensammlung von Ackermann und Co. beruhte auf zwei Quellen. Die erste waren Scans, bei denen jede IP-Adresse in regelmäßigen Abständen abgefragt wurde, um herauszufinden, ob sich dahinter ein Gerät verbirgt oder nicht. Die zweite Quelle war eine kommerzielle Datenbank, die den geografischen Standort der einzelnen Adressen und Geräte enthält. Zusammengenommen entstand so eine riesige Datenbank zur Internet-Nutzung in 122 Ländern mit 15-minütiger Auflösung.

Zunächst untersuchten die Forscher, wie die Internet-Konnektivität zugenommen hat, bis sich irgendwann in Gesellschaften rund um die Welt eine Sättigung einstellte. Wie sich zeigte, folgte das Internet-Wachstum in allen Ländern dem gleichen Muster.

Zunächst beginnt es langsam, dann nimmt es in atemberaubendem Tempo zu, und wenn am Ende fast jeder angeschlossen ist, flacht das Wachstum wieder ab. Dies entspricht, wie von der Forschern erwartet, einer S-förmige Kurve. Die Sättigung ist erreicht, wenn es ungefähr eine IP-Adresse für jeden 3-Personen-Haushalt in einem Land gibt.

Überraschender ist, dass es im Durchschnitt nur rund 16 Jahre dauert, bis die Internet-Nutzung diesen Sättigungspunkt erreicht. Das ist deutlich schneller als bei anderen Technologien, die Gesellschaften revolutioniert haben. Dampfmaschinen zum Beispiel brauchten dafür rund 100 Jahre, die Elektrifizierung 60 Jahre.

Interessanterweise ist es bis 2012 in nur vier Ländern zu einer vollständigen Sättigung gekommen – in Deutschland, Dänemark, Estland und Südkorea. In anderen wie der Türkei ist das Wachstum so langsam, dass es bis zu einer Sättigung noch Jahrzehnte dauern dürfte.

Mit der neuen Datenbank konnte das Forscherteam darüber hinaus Schlafmuster untersuchen. Dazu nahmen sie an, dass am Umschalten eines Geräts von online auf offline zu erkennen ist, dass die Person dahinter schlafen geht (und umgekehrt). "Der Zusammenhang muss nicht exakt sein – auch eine systematisch vor- oder nachlaufende Beziehung enthält die gewünschten Informationen", schreiben Ackermann und seine Kollegen dazu. Also analysierten sie die Daten für Menschen in mehr als 600 Städten weltweit.

Das Ergebnis ist die erste globale Einschätzung der nächtlichen Ruhezeit über sieben Jahre in 645 Städten, und es ist interessant. "Im Allgemeinen haben größere Städte längere Schlafphasen als die Satellitenstädte um sie herum", berichten die Forscher.

Zudem erwähnen sie, dass es Belege für Veränderungen bei den Schlafmustern gibt, möglicherweise aufgrund von Technologie-Nutzung: "In Nordamerika hat sich im Untersuchungszeitraum wenig verändert, in Europa aber ist die Schlafdauer zurückgegangen und in Ostasien gestiegen." Das würde bedeuten, dass sich die globalen Schlafmuster einander angleichen. Der genaue Grund dafür ist noch nicht geklärt.

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