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Das Plutonium der Biotechnik?

Niels Boeing

Das J. Craig Venter Institute, das selbst an Bakterien mit synthetischen Genomen arbeitet, macht in einem neuen Report Vorschläge, wie die Sicherheitsrisiken der Synthetischen Biologie reduziert werden könnten. Gentech-Kritiker sehen allerdings rot.

Nicht wenigen gilt die Gentechnik als moderner Sündenfall: Der Mensch greift in einem bislang nicht gekannten Maße in die Evolution ein, indem er artfremde Gene in Tiere und Pflanzen einbaut. Doch während Politik, Industrie und Öffentlichkeit noch immer über die möglichen Folgen streiten, hat in einigen Laboren die nächste Stufe begonnen, vor der sich die bisherige Gentechnik wie ein Vorgeplänkel ausnimmt: die so genannte Synthetische Biologie. Forscher wollen mit Hilfe von teilweise oder vollständig synthetisierten Genomen neue Lebensformen erschaffen, die sich wie Maschinen programmieren lassen. Die sollen eines Tages im grossen Stil Medikamente, Biokraftstoffe oder Wasserstoff für eine künftige Energieversorgung produzieren.

Ganz vorne dabei ist das amerikanische J. Craig Venter Institute, dessen Gründer Craig Venter bereits einen Milliarden-Dollar-Markt am Horizont [1] sieht. Ende Mai reichte das Institut schon mal einen Patentantrag für den Bauplan eines synthetischen Bakteriums namens Mycoplasma laboratorium ein. Noch ist es nicht realisiert [2], und es wäre zunächst nicht mehr als ein Proof of Principle.

Doch nicht nur bei Gentech-Kritikern schrillen längst die Alarmglocken angesichts der Aussicht, dass die Synthetische Biologie auch Erreger für neue Biowaffen ermöglicht – auch die Szene selbst diskutiert die Risiken [3]. Bereits 1999 hatten mehrere Autoren von der Ethics of Genomics Group im Wissenschaftsmagazin Science gemahnt, dass die Konstruktion neuer Genome „Fragen aufwirft, die angegangen werden müssen, bevor die Technologie weiter fortschreitet.“

Nun hat das Venter-Institut in dem Report „Synthetic Genomics: Options for Governance“ [4] seine – vorläufigen – Antworten vorgelegt. „Wir haben Optionen für eine Regulierung formuliert, die Sicherheitsrisiken reduzieren sollen, ohne Forschern, Industrie und Regierung ihre Arbeit über Gebühr zu erschweren,“ sagt Michele Garfinkel, Analystin des Instituts. Damit soll Bioterrorismus vorgebeugt und die Sicherheit in Laboren und ihren Umgebungen gewährleistet werden.

Die Möglichkeit, ganze Genome zu synthetisieren, hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Noch 2002 benötigte ein Team um den Biologen Eckard Wimmer für die Synthese eines Poliovirusgenoms aus 7400 Basenpaaren rund ein Jahr. Bereits ein Jahr später gelang es dem Venter-Institut, die 5500 Basenpaare eines anderen Virusgenoms (phiX174) in zwei Wochen zusammenzufügen.

Doch es geht noch einfacher. „Heute kann jeder mit einem Laptop über das Internet auf öffentliche Datenbanken mit Gensequenzen zugreifen, DNA-Design-Software beziehen und synthetisierte DNA bestellen“, schreiben Garfinkel und ihre drei Mitautoren. Knapp 50 Unternehmen bieten inzwischen die Synthese von DNA-Strängen als Dienstleistung an. Dank neuer und schnellerer Verfahren ist der Preis pro Basenpaar – dem Grundbaustein aller Gene – seit Ende der neunziger Jahre um 95 Prozent auf etwa 70 Cent gefallen. Der Bestellvorgang ist simpel: Man gibt, nach der obligatorischen Online-Registrierung, auf einer Formularseite eine Basenfolge wie „AATCGAGC“ an und bekommt das Material kurze Zeit später per Post geliefert.

Was beeindruckend klingt, könnte sich recht bald zu einem ernsten Problem auswachsen: „In zehn Jahren dürfte es leichter sein, fast jedes pathogene Virus zu synthetisieren als es irgendwo anders zu beschaffen“, schätzen die Autoren des Reports. Bereits im letzten Jahr war es Forschern gelungen, das Genom des Virus der Spanischen Grippe von 1918 allein aus der veröffentlichten Sequenz der Basenpaare zu rekonstruieren. Wie kann man aber verhindern, dass kriminelle Gestalten dasselbe tun?

Der Report schlägt drei Ansatzpunkte vor: die Bestellungen von DNA-Sequenzen kontrollieren, den Bestand von Sequenziergeräten überwachen und die Forscher sensibilisieren.

Zwar setzen einige DNA-Synthese-Firmen bereits Software ein, um bestellte DNA-Sequenzen mit den Basenabfolgen bekannter Erreger abzugleichen. Aber die Software ist weder standardisiert noch besonders geeignet, kurze Sequenzen mit bis zu 100 Basenpaaren Länge, so genannte Oligonucleotide, zweifelsfrei zu identifizieren. Gerade bei diesen „Oligos“ sei das Problem, dass manche gleichermaßen von harmlosen Organismen und von Erregern stammen könnten, weil sie ziemlich häufig in der Natur vorkommen. Andererseits sollten auch die bestellenden Forschungseinrichtungen Verantwortung übernehmen, heißt es im Report. Die für Biosicherheit zuständigen Fachleute oder Gremien (IBC für „Institutional Biosafety Committee“) müssten Listen mit autorisierten Forschern erstellen. Dieser doppelte Ansatz, den der Report gegen Gefahren des Bioterrorismus empfiehlt, hat für die Forschergemeinde einen Haken: „Er ist wahrscheinlich am teuersten und mühsamsten“, schreiben die Autoren. Auf Hersteller von kurzen Sequenzen würden dabei höhere Kosten zukommen, weil der Aufwand hier wegen der Verwechslungsgefahr größer sei.

Diese Vorkehrungen genügen aber noch nicht. Bioterroristen könnten sie umgehen, indem sie einfach eigene Synthesemaschinen anschaffen. Deshalb regen die Autoren an, alle Synthetisiermaschinen registrieren zu lassen – oder zumindest alle neuen. Den Beitrag dieser Maßnahme zur Biosicherheit schätzen sie allerdings realistisch als „bescheiden“ ein. Darüberhinaus würde das nicht helfen, den Ursprung freigesetzter synthetischer Organismen zu ermitteln. „Anders als abgefeuerte Kugeln, die zweifelsfrei einer bestimmten Handfeuerwaffe zugeordnet werden können, lässt sich synthesierte DNA nicht bis zu einer einzigen Maschine zurückverfolgen“, so die Autoren.

Außerdem schlagen die Autoren vor, an den Universitäten Risikoaufklärung in die Lehrpläne aufzunehmen und Standards guter Praxis für Labore aufzustellen. Die IBCs sollen zusätzlich untersuchen, ob die in einem Labor geplanten Experimente riskant sind: etwa ob durch sie Impfstoffe unwirksam gemacht oder Erreger noch schärfer „geschaltet“ werden könnten. Auch das ist leichter gesagt als getan: Bei Gentherapie-Experimenten sucht man häufig Viren als Transportvehikel („Vektoren“ genannt), die das menschliche Immunsystem umgehen können. Wie also unterscheidet man solche medizinischen Versuche von böswilligen? Auch dieses Maßnahmenbündel halten die Autoren für nötig, aber noch nicht sehr effizient.

Bürgerrechtsorganisationen sind von den Vorschlägen des Reports alles andere als beeindruckt. „IBCs sind bislang eher ein Debakel gewesen“, sagt Edward Hammond von der US-Sektion des Sunshine Project. „Sie haben schon ihren Job bei der Überwachung bisheriger Gentechnik-Forschung nicht gut gemacht.“ Warum setzten die Autoren dann ihre Hoffnungen gerade in diese Gremien, wenn es um die noch komplexere Synthetische Biologie gehe, fragt Hammond? Seine Schlussfolgerung: „Man kann diese Vorschläge kaum anders als einen zynischen Versuch bewerten, eine effektive Regulierung zu vermeiden.“

Das Vertrauen in eine wirksame Selbstkontrolle der Forschungseinrichtungen wird auch durch das bisherige Biosicherheitsprogramm der US-Regierung unterminiert, das nach den Anschlägen des 11. September 2001 und den Anthrax-Briefen an US-Behörden ins Leben gerufen wurde. Wurden potenzielle B-Waffen-Erreger zuvor in Hochsicherheitslaboren untersucht, ist die Forschung daran seitdem auch auf andere weniger spezialisierte Labore ausgedehnt worden. Dabei kam es immer wieder zu Schlampereien – bis hin zu verschwundenen Anthrax-Proben. Mehr als hundert solcher Fälle konnte die Nachrichtenagentur AP inzwischen mit Dokumenten belegen. „Diese Arbeit lässt sich nicht sicher in einer Universität oder einem Industrielabor durchführen“, urteilte der US-Molekularbiologe kürzlich im Wissenschaftsmagazin Nature.

Die kanadische ETC Group, die seit Jahren Gen- und Nanotechnik kritisch begleitet, kritisiert bereits den Ansatz des Reports, dem eine 20-monatige Studie mit mehreren Workshops vorausging. „Die Autoren haben die wichtigsten Fragen ausgeblendet: Ist Synthetische Biologie gesellschaftlich akzeptabel oder wünschenswert? Wer sollte darüber entscheiden? Und wer kontrolliert die Auswirkungen?“, moniert ETC-Mann Jim Thomas.

Wirklich kontrollieren ließen sich synthetisierte Genome zudem nur, wenn die internationale Staatengemeinschaft hier an einem Strang ziehen würde. Das ist nicht einmal bei der 1975 in Kraft getretenen Biowaffenkonvention der Fall. Zwar haben sie bislang 156 Staaten ratifiziert, es fehlt jedoch bis heute ein Verifikationsprotokoll, das halbwegs wirksame Überprüfungen durch Inspektoren ermöglicht. Die USA stiegen 2001 aus den Verhandlungen über dieses Protokoll aus. Doch selbst wenn ein Monitoring von Gefahrstoffen geregelt ist, muss das nicht automatisch erfolgreich sein: Die Internationale Atomenergieorganisation IAEO hat sich mitunter schwer damit getan, zu klären, ob Staaten illegal waffenfähiges Plutonium anreichern. Angesichts des Fortschritts in der Synthetischen Biologie, den die Autoren des Reports erwarten, könnten sich synthetische Genome in einigen Jahren zu einer Art „Plutonium der Biotechnik“ entwickelt – nur dass es dafür keine teuren Reaktoren braucht wie im iranischen Bushehr. In einigen Jahren könnte jedes biotechnische Uni- oder Industrielabor auf der Welt ein potenzielles Bushehr sein.

Mehr zur Synthetischen Biologie: "Biomaschinenbau" [5] (nbo [6])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-280447

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/hintergrund/Der-Billionen-Dollar-Organismus-279935.html
[2] https://www.heise.de/hintergrund/Die-schwierige-Suche-nach-dem-Minimalgenom-280003.html
[3] https://www.heise.de/meinung/Terrorgefahr-DNS-Synthese-278701.html
[4] http://www.jcvi.org/research/synthetic-genomics-report/
[5] https://www.heise.de/hintergrund/Biomaschinenbau-278447.html
[6] mailto:nbo@bitfaction.com