Das soziale Handy
Die Smartphone-Software Aro nutzt SMS, Anrufe und E-Mails, um daraus Beziehungsnetze zu knüpfen.
- Tom Simonite
Die Smartphone-Software Aro nutzt SMS, Anrufe und E-Mails, um daraus Beziehungsnetze zu knüpfen.
Facebook möchte seine Nutzer dazu animieren, alle Menschen, die sie kennen, zu "Freunden" zu erklären, um dann über diesen sogenannten sozialen Graphen Dienste (und Werbung) offerieren zu können. Noch nicht erfasst werden allerdings Personen, die über andere Kommunikationswege erreicht werden – Telefonate beispielsweise oder Textbotschaften und E-Mails, die nicht über die Plattform abgewickelt werden.
Viele dieser persönlichen Kontakte laufen mittlerweile über ein einzelnes Gerät: das Smartphone. Eine neue Anwendung will die dort aufgebauten Beziehungsnetze nun anzapfen: Aro genannt, kann sie alles verdauen, was auf einem Handy passiert – von E-Mails bis hin zu Anrufprotokollen. Die App ermittelt automatisch alle Kontakte und kann dabei Interaktionsmuster über verschiedene Kommunikationswege errechnen.
"Wir bauen das echte soziale Netzwerk einer Person auf – aus allen Diensten auf dem Handy. Mit jeder neuen Nachricht wächst dieser soziale Graph", sagt Aro-Technikchef Andy Hickl. Die Idee kommt offensichtlich an: So steckte Microsoft-Mitbegründer Paul Allen bereits 20 Millionen Dollar in die junge Firma.
Aro befindet sich derzeit in einer geschlossenen Betaphase und ist nur für Android-Handys verfügbar. Eine iPhone-Version sei jedoch in Arbeit, sagt Hickl. Einmal installiert, fragt die Software, ob sie Zugriff auf E-Mail- und Kalender-Accounts, auf Anrufliste, Kontakte und gespeicherte Textnachrichten haben darf. Anschließend scannt sie diese Datenbasis nach sozialen Verbindungen und speichert eine Übersicht in Form eines Beziehungsnetzes auf einem firmeneigenen Server. Der Nutzer erhält über Aro außerdem verschiedene Werkzeuge an die Hand, mit denen er das eigene Netzwerk anzapfen kann – etwa bei der Übertragung von Daten aus einer E-Mail zur Erstellung eines Kontaktes oder eines Kalendereintrags.
Ein weiteres Aro-Werkzeug ist die interne Suchmaschine. Tippt man den Namen einer Person ein, erscheint eine Liste mit allen Anrufen und Nachrichten jeglicher Art, die man je mit ihr ausgetauscht hat. Aro findet außerdem Nachrichten von anderen Kontakten, die auf die gesuchte Person referenzieren, selbst wenn dies nur über ihren Vornamen geschieht. Das ist möglich, weil Hickl und seine Kollegen Algorithmen entwickelt haben, die Namen von Personen, Firmen und Adressdaten aus Nachrichten extrahieren können, egal ob es nun E-Mails, SMS oder Kalendereinträge sind.
Die meisten kommerziell erfolgreichen Beispiele solcher semantischen Systeme arbeiten mit weitgehend standardisierten Texten, etwa Geschäftsberichten, sagt Hickl. Aro könne dagegen auch falsch geschriebene oder abgekürzte Worte aus persönlichen Botschaften verarbeiten. Das Aro-Team nutzte unter anderem unsortierte Nachrichten auf Facebook und Twitter dazu, um ihre Software zu trainieren.
Aro nutzt ein einmal erstelltes Beziehungsnetz außerdem, um seine Erkennungsroutinen weiter zu optimieren. Kommt in einer E-Mail beispielsweise ein "Mike" vor, der gleichzeitig als "Manager aus dem Bereich Sales" tituliert wird, versucht Aro, herauszufinden, ob beides zusammengehört und ergänzt dann seine Datenbank.
Alles, was Aro identifiziert, wird für den Nutzer markiert und lässt sich dann über ein Aktionsmenü nutzen. Dazu gehört die Suche nach allen Erwähnungen einer Person oder allen Nachrichten. Auch lässt sich mit zwei Klicks ein Kalendereintrag anlegen.
Dieses Interface stellt eine Alternative zum auf vielen Geräten derzeit noch anstrengenden Prozess des Extrahierens von E-Mail- oder SMS-Inhalten per Copy & Paste dar. "Handys sind viel mittlerweile sehr leistungsstark und haben große Bildschirme. Die Benutzung ist aber kaum einfacher geworden, wenn es darum geht, Informationen zwischen Nachrichten und Apps verschieben will", meint Aro-Chef John Lazarus.
Nova Spivack, Erfinder des semantischen Web-Werkzeuges Twine, hält Aro für einen interessanten Ansatz. "Ich erlebe ständig diese Probleme, wenn ich mich zwischen zwei verschiedenen Bereichen im Smartphone bewege." Auch sei die Menüführung von Aro beispielsweise gut für Touch-Gesten geeignet. Kritik übt der Experte aber an der Komplexität der Software. Sie sei deshalb vor allem für Menschen attraktiv, die im geschäftlichen Bereich mit zahllosen E-Mails, SMS und Kalendereinträgen jonglieren müssten, weniger für Privatanwender.
Spivack geht deshalb davon aus, dass Aro eines Tages von einem größeren Player übernommen wird – um die Technik dann einfach in sein Handy-Betriebssystem zu integrieren. "Vielleicht könnte das ein Hersteller von Android-Handys sein." Ein ähnliches Schicksal hat auch Siri hinter sich, ein Werkzeug, das als persönlicher Assistent per Sprachsteuerung verschiedene Aufgaben erledigt. Apple kaufte die Firma im April 2010, auch wenn bislang noch nichts von ihrer Technik im iPhone oder anderen Geräten des Konzerns steckt.
Aro-Chef Lazarus sieht ein Lizenzmodell als möglichen Weg, unabhängig zu bleiben. Dann könnten Hersteller die Technik auch in ihr Betriebssystem integrieren. Daneben sei aber auch eine herunterladbare App interessant. Geld verdienen will Aro unter anderem von Prämien, die etwa Fluggesellschaften zahlen, wenn über das Programm eine Reise gebucht wird. Der direkte Einbau ins Handy hätte aber auch Vorteile, sagt Lazarus. "Heutige Smartphones haben diverse interne Systeme, die nach Neuigkeiten Ausschau halten – ob per E-Mail, SMS oder Facebook. Wenn Aro als einzelne Anwendung diesen Job übernehmen könnte, würde das vielleicht Batteriesaft und Prozessorleistung sparen." (bsc)