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Daten für die Ewigkeit

Astrid Dähn

Wie lassen sich all die Informationen sicher aufbewahren? Computerexperten arbeiten an Techniken, die Lesbarkeit von Dateien zu verlängern, Archivare perfektionieren die Kunst, wertvolle Originale vor dem Verfall zu retten

Nie wuchs die weltweite Informationsflut so rasch wie heute; allein im Jahr 2002 wurden pro Kopf der Erdbevölkerung rund 800 Megabyte neue Daten produziert. Und nie drohte das gesammelte Wissen so schnell wieder unzugänglich zu werden wie im Zeitalter der digitalen Speicherung. Computerexperten tüfteln deshalb an Techniken, um die Lesbarkeit von Dateien zu verlängern und das Internet zu einem riesigen Datenarchiv auszubauen.

Gleichzeitig perfektionieren Archivare die Kunst, wertvolle Originalpapiere vor dem Zerfall zu retten. Darüber hinaus sorgen sie für die Langzeiterinnerung an unsere Kultur: In einer alten Silbermine werden derzeit Mikrofilme mit Zeugnissen der deutschen Geistesgeschichte eingebunkert – garantierte Mindestlebensdauer: 500 Jahre

Wider das globale Vergessen:

Wer seine Examensarbeit Anfang der 1980er Jahre schrieb, sitzt heute vor einer 5-1/4-Zoll-Diskette, für die der Handel kein Laufwerk mehr anbietet. Ist sie noch in Wordstar unter dem Betriebssystem CP/M verfasst, so sind nach zwanzig Jahren nur noch die ausgedruckten Exemplare lesbar.

Und das ist nur ein leises Echo all dessen, was insgesamt an wissenschaftlichen Daten gefährdet oder gar verloren ist. Zwar können wir 5000 Jahre alte Keilschriften immer noch lesen, aber dem Inhalt von Magnetbändern, CDs, Disketten und DVDs wird nur eine rechte kurze Lebensdauer vorausgesagt. Dabei wuchs die weltweite Informationsmenge noch nie so rasch wie heute. Allein im Jahr 2002 wurden pro Kopf der Erdbevölkerung rund 800 Megabyte neue Daten produziert.

Um das digitalisierte Wissen länger als bislang abrufbar zu halten, schlagen Forscher von IBM vor, einen Universellen Virtuellen Computer (UVC) zu entwickeln. Auch seine Emulationsprogramme muss man kontinuierlich dem Stand der zukünftigen Software, Betriebsysteme und Datenformate anpassen. Wegen seiner einfachen Architektur soll das jedoch recht leicht zu bewerkstelligen sein. Voraussetzung für die bleibende Lesbarkeit digitaler Dateien auf dem UVC ist allerdings ein aufwändiger Kopierprozess: Die Daten auf Magnetbändern oder CDs müssen regelmäßig auf neue Speichermedien übertragen werden, bevor Materialfehler die Informationsbits unbrauchbar machen.

Doch nicht nur digitales Wissen verlangt sorgfältige Wartung. Auch Bücher erfordern intensive Pflege, wenn ihr Inhalt über Jahrhunderte zugänglich bleiben soll. Zumeist auf preiswertem, sauren Papier gedruckt, zersetzen sie sich mit der Zeit und werden brüchig. Mehrere Spezialfirmen haben deshalb Anlagen entwickelt, um Bücher maschinell zu entsäuern, für 10 bis 20 Euro pro Stück. Bei fortgeschrittenem Verfall wird das Papier zusätzlich noch stabilisiert, indem man die einzelnen Seiten spaltet, mit Zellulosepapier verstärkt und wieder zu einem stabilen Bogen zusammenklebt.

Das ist kein ganz billiges Verfahren, aber nach Ansicht der Archivare lohnt sich der Aufwand: Vielleicht liefern die Originalschriften von heute den Altertumsforschern der Zukunft eines Tages ebenso wertvolle Informationen zur Kulturgeschichte wie uns die mit Keilschrift geritzten Tontäfelchen der Babylonier und Perser.

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Bleibende Poesie:

In Schillers Geburtsstadt Marbach, bei Stuttgart, liegt die Seele deutscher Schriftsteller, Denker und Philosophen. Wessen Nachlass dort im Deutschen Literaturarchiv lagert, der hat es in den Olymp der Dichtung geschafft. Rund 20 Millionen Manuskripte aus der Zeit nach 1750 werden in den Archivräumen auf der Schillerhöhe sorgfältig erschlossen und für künftige Generationen bewahrt.

Viele Dokumente sind brüchig, weil sie auf schlechtem Papier geschrieben wurden. Eine automatische Aufbereitung Papiermassen ist jedoch kaum möglich. Zu uneinheitlich sind die vielen verschiedenen Kugelschreiberpasten und Tinten, mit denen die Schriften verfasst wurden. Deshalb belässt man das meiste so, wie es ist, und hofft darauf, dass das Archivklima von 18 Grad bei 50 Prozent Luftfeuchtigkeit den Prozess der Auflösung verlangsamt. Liegt die Hinterlassenschaft eines Schriftstellers digitalisiert vor, wird sie in eine Datenbank eingespeist und über Internet verfügbar gemacht. Bislang sind solche Nachlässe im Deutschen Literaturarchiv allerdings die Ausnahme. Denn die meisten Autoren wie auch ihre Marbacher Archivare sind weiterhin felsenfest vom Papier überzeugt.

Online in die Vergangenheit: [1]

Brewster Kahle hat einen Traum: Er will ein umfassendes, kostenloses Internet-Archiv aufbauen und damit einen "universalen Zugang zu allem menschlichen Wissen schaffen". Einen Teil seiner Idee hat der amerikanische Computerwissenschaftler bereits umgesetzt. Seine automatischen Index-Programme, die unermüdlich durch das Web kriechen, haben bislang mehr als 40 Milliarden individuelle Seiten gespeichert. Daneben bewahrt das Internet-Archiv die digitalen Versionen von Büchern, Filmen, Liedern und Bildern. Jeden Monat, schätzt Kahle, wächst sein Bestand um rund 25 Terabyte, auf den hunderten von Servern, die überall auf der Welt verteilt stehen, sind inzwischen rund eine Billiarde Bytes gespeichert.

Finanziell ist die Archivierung großer Teile des Internets im Internet nach Kahles Berechnungen durchaus machbar. Auch an der Technik werden solche Projekte vermutlich nicht scheitern. Ein wesentlich größeres Problem stellt das Urheberrecht dar. Angesichts der von Land zu Land unterschiedlichen Copyright-Bestimmungen gibt es strenge Zulassungsbeschränkungen für die Nutzung digitaler Quellen. 2005 geht beispielsweise in der EU Musik aus den 50er und 60er Jahren in den "öffentlichen Raum" über, alle Urheberrechts-Ansprüche privater Eigentümer erlöschen also. In den Vereinigten Staaten dagegen bleiben Elvis und Co auf 95 Jahre hinaus geschützt.

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Verkapseltes Kulturerbe:

Das wohl umfassendste Archiv deutscher Kulturgeschichte ist im Schwarzwald zu finden. In einem ausgedienten Bergwerksstollen nahe Freiburg lagern hunderte luftdicht verschraubter Edelstahlfässer. Bei konstant 10 Grad Celsius und 35 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit ruhen in jedem der Behälter 15 oder 16 Mikrofilmspulen, belichtet mit ausgewählten Dokumenten aus unterschiedlichsten Archiven des Landes, darunter der Vertragstext des Westfälischen Friedens und die Baupläne des Kölner Doms.

Die Sicherheitsvorkehrungen für den "Zentralen Bergungsort" sind enorm: halbmeterdicke Stahltüren, Bewegungsmelder und Wachkameras. Flugzeuge müssen einen Bogen um das Gebiet machen. Außerdem genießt die Anlage Sonderschutz nach den Regeln der Haager Konvention. Ursprünglich wollte man das Vermächtnis der Nation auf diese Weise atombombensicher vor der Bedrohung aus dem Osten schützen. Seit dem Ende des Kalten Krieges wird der Kultursafe weiterbetrieben, um deutsches Schriftgut vor Naturkatastrophen und Tintenfraß über die Jahrhunderte zu retten. Die garantierte Mindestlebensdauer der mittlerweile mehr als 600 Millionen eingebunkerten Dokumente beträgt 500 Jahre.

Papier-Tempel:

Die Deutsche Bibliothek hortet alles, was hierzulande veröffentlicht wird. In ihren beiden Standorten in Frankfurt und Leipzig landen jährlich fast 600 000 Bücher, Zeitschriften, Plakate und CDs. Denn deutsche Verleger sind gesetzlich dazu verpflichtet, alle "Darstellungen in Schrift, Bild und Ton, die Vervielfältigungsverfahren hergestellt und zur Verbreitung bestimmt sind" in zweifacher Ausfertigung an sie abzuliefern.

Bislang waren elektronische Publikationen von dieser Vorschrift ausgenommen. Doch ein neues Gesetz, das voraussichtlich kommendes Jahr in Kraft treten wird, soll den Sammelauftrag der Deutschen Bibliothek auch auf die Literatur in Bits und Bytes ausdehnen. Für den ersten Ansturm rüstet sich die Bibliothek zurzeit ihre Speicherkapazität für elektronische Daten auf 15 Terabyte auf.

Gleichzeitig arbeitet sie an umfassenden Digitalisierungsprojekten. So hat eine Unterabteilung der Bibliothek, das Deutsche Exilarchiv, beispielsweise erst kürzlich rund 30 deutschsprachige Exilzeitungen komplett in Binärcode umgewandelt und im Internet zur Verfügung gestellt. Wer will, kann sich nun mit der Maustaste durch das "Acht-Uhr-Abendblatt" klicken oder in der "Gelben Post" aus Shanghai schmökern.

(Zusammenfassung aus Technology Review Nr. 1/2005 [2]; das Heft mit dem vollständigen Schwerpunkt können Sie hier [3] bestellen) (sma [4])


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[1] https://www.heise.de/hintergrund/Online-in-die-Vergangenheit-281103.html
[2] http://www.heise.de/tr/inhalt/2005/01
[3] http://www.heise.de/abo/tr/hefte.shtml
[4] mailto:s.mattke@gmail.com