Datenrennstrecke im Chip

IBM-Forschern ist es erstmals gelungen, mit Hilfe herkömmlicher Halbleiter-Fertigungstechnik einen "Racetrack"-Speicher zu bauen, der sich direkt in Schaltkreise integrieren lässt.

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Von
  • Tom Simonite

IBM-Forschern ist es erstmals gelungen, mit Hilfe herkömmlicher Halbleiter-Fertigungstechnik einen "Racetrack"-Speicher zu bauen, der sich direkt in Schaltkreise integrieren lässt.

Der "Racetrack"-Speicher von IBM soll eines Tages die großen Datenkapazitäten heutiger Festplatten mit der Geschwindigkeit von Flash-Speicher vereinen. Waren die bisherigen Prototypen aufwändige Spezialanfertigen, ist es IBM nun erstmals gelungen, einen Racetrack-Speicher mit dem üblichen photolithografischen Verfahren herzustellen, das in der Halbleiterindustrie Standard ist. Der Racetrack, der vor zwei Tagen auf dem International Electronic Devices Meeting in Washington vorgestellt wurde, enthält alle Bauteile zum Lesen, Schreiben und Speichern von Daten auf einem Chip. Damit könnte eine künftige Fertigung im Prinzip in bestehende Produktionsprozesse integriert werden.

Ein Racetrack-Speicher speichert Bits in ferromagnetischen Drähten in Form von beweglichen magnetisierten Abschnitten, so genannten Domänen, in denen das Magnetfeld parallel oder antiparallel zum Draht ausgerichtet ist. Sie stellen die Bitwerte “1” oder “0” dar. Diese Domänen werden mit Hilfe eines spinpolarisierten Stroms durch den Speicherdraht hindurchgeschoben – sie bewegen sich also an den Schreib- und Leseköpfen vorbei. Im Prinzip funktioniert ein Racetrack-Speicher also ähnlich wie ein Tonband, mit dem Unterschied, dass sich nicht der Speicherdraht selbst sondern nur die Domänen auf der "Datenrennstrecke" bewegen.

Um Daten auf den Speicherdraht zu schreiben, wird aus einem zweiten Draht – der Schreibeinheit – ein Strompuls eingespeist, in dem die Spins aller Elektronen dieselbe Ausrichtung haben. Der Spin ist eine quantenmechanische Eigenschaft von Elementarteilchen, die mit einem so genannten magnetischen Moment verbunden. Zeigen alle Elektronenspins in dieselbe Richtung, verhält sich ein Stoff magnetisch.

In einem ferromagnetischen Draht werden Domänen paralleler (rot) und antiparalleler (blau) Magnetisierung erzeugt, indem am linken Ende spinpolarisierte Strompulse eingespeist werden. Die wandern an einer Leseeinheit vorbei, die über Widerstandsänderungen an den Domänenwänden die Magnetisierung erfasst und damit die magnetisch kodierten Daten.

(Bild: IBM)

Der Strompuls bewirkt in diesem Fall, dass die Magnetisierung des Speicherdrahts auf einem kurzen Abschnitt neu ausgerichtet wird, der mit dem Stromfluss weiterwandern kann. Eine bewegliche Domäne entsteht, die etwa den Bitwert “1” darstellt. Zeigen die Spins des nächsten Strompulses in die entgegengesetzte Richtung, entsteht eine Domäne, deren Magnetisierung entgegengesetzt ausgerichtet ist. Sie repräsentiert dann den Bitwert “0”. Auf diese Weise werden permanent Domänen erzeugt, die für “1” oder “0” stehen. Ein zweiter Draht – die Leseeinheit – kann die Magnetisierung der vorbeifließenden Domänen messen, weil sich an deren Wänden der elektrische Widerstand ändert. Stoppt der Stromfluss, weil am Speicherdraht keine Spannung mehr anliegt, stoppen auch die Domänen – die Bitwerte, die sie darstellen, bleiben so im Draht gespeichert.

In den bisherigen Prototypen befanden sich Speicher-, Lese- und Schreibdraht sowie die dazugehörigen Schaltkreise auf jeweils separaten Silziumchips. „Jetzt haben wir zum ersten Mal alles auf einem einzigen Chip untergebracht“, freut sich Stuart Parkin, der das Konzept mit seiner Gruppe seit 2004 im IBM-Forschungszentrum Almaden entwickelt.

Der neue Prototyp wurde im IBM-Labor in Yorktown im US-Bundesstaat New York mit der so genannten CMOS-Fertigungstechnik produziert. CMOS steht für „Complementary Metal Oxide Semiconductor“ und bezeichnet die für heutige integrierte Schaltkreise typische Materialschichtung aus einer metallischen Gatterelektrode, einer Oxid-Isolatorschicht und einem Halbleiter-Substrat – gewöhnlich Silizium –, durch das die Elektronen zwischen Quell- und Abflusselektrode fließen.

Die Nanodrähte des neuen Racetrack-Prototyps bestehen aus einer ferromagnetischen Nickel-Eisen-Legierung. Hergestellt werden sie, indem auf einem Siliziumwafer eine Nickel-Eisen-Schicht aufgedampft wird, die dann bis auf das Drahtmuster weggeätzt wird. Die Drähte sind zehn Mikrometer lang, 150 Nanometer breit und 20 Nanometer hoch. Jeweils an einem Ende eines Drahtes werden Pulse mit Spin-polarisierten Elektronen eingespeist, die mit Schaltkreisen am anderen Ende ausgelesen werden können.

Dieser Prototyp sei ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Kommerzialisierung der Technik, sagt Dafiné Ravelosona vom Institut d’Électronique Fondamentale im französischen Orsay. Der Physiker leitet ein europäisches Forschungsprojekt, das an einer Racetrack-Variante arbeitet. Am Ziel sei aber auch IBM noch nicht: „Sie haben nur demonstriert, dass es möglich ist, ein einzelnes Bit durch einen Nanodraht zu schieben“, betont Ravelosona.

Die Racetrack-Technologie wird interessant, wenn es gelingt, zahllose Bits in Form magnetisierter Streifen durch Nanodrähte zu bewegen. Mit einer "U"-förmigen Variante (s. Grafik unten oder auch dieses Video) will IBM enorme Datendichten erreichen. Mit 20 bis 32 Nanosekunden pro Schreib- oder Lesevorgang hätten Racetrack-Speicher eine ähnliche Zugriffsgeschwindigkeit wie Flash-Speicher. Ravelosona bezweifelt jedoch, dass die Nickel-Eisen-Verbindung in den IBM-Drähten hierfür geeignet ist.

In der 3D-Variante des Racetrack-Speichers sind a) die Schreibdrähte U-förmig angeordnet. b) Die Leseeinheit erfasst die vorbeifließenden Domänen am rechten unteren Rand des U-Drahts. c) Eine Schreibeinheit erzeugt im U-Draht neue magnetische Domänen, die Bits repräsentieren. d) Auf einem Chip könnten viele U-Drähte nebeneinander angeordnet werden und so eine höhere Speicherdichte ermöglichen als bei flachen Speicherdrähten.

(Bild: IBM)

Laut Parkin habe bei dem neuen Prototypen die Speicherdichte erst einmal nicht im Vordergrund gestanden. „Aber wir konzentrieren uns natürlich auf genau diese Frage“, fügt er hinzu. Seine Gruppe untersucht derzeit, welches Material mehr Bitstreifen fassen kann.

Das Problem an der jetzt verwendeten Nickel-Eisen-Legierung ist, dass es sich um einen so genannten weichmagnetischen Stoff handelt. Dessen Magnetfeld lässt sich leicht orientieren, aber die Polung der Domänen kann schon umklappen, wenn die Stärke eines äußeren Magnetfeldes einen relativ niedrigen Wert überschreitet. Parkin experimentiert deshalb auch mit hartmagnetischen Materialien, deren Domänen sich nicht so leicht umdrehen lassen.

„In ihnen können wir die Domänenwände zwischen den magnetischen Streifen im Draht sehr schnell bewegen“, sagt Parkin. „Außerdem sind die Wände stabiler und enger umgrenzt als in dem weichmagnetischen Material, das wir in dem Prototypen verwendet haben.“ Hartmagnetische Nanodrähte könnten deswegen mit etwas geringerer Präzision gefertigt werden, was die Herstellung noch einfacher machen würde. „Das wird dann der Racetrack 2.0“, kündigt Parkin an. (nbo)