Den Nerven bei der Arbeit zusehen

Stefan Hell hat eine Grenze durchbrochen. Mit Hilfe der von ihm entwickelten STED-Technologie können Biologen nun mit fast gewöhnlichen Lichtmikroskopen bis auf Nanometer messende Zellstrukturen blicken.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Edda Grabar

Klein, feiner – unscharf. Diese Erfahrung machen schon Biologie-Studenten: Schärfer als bis auf etwa 0,2 Mikrometer zu fokussieren, schafft das Lichtmikroskop einfach nicht. „Liegen zwei Punkte enger als etwa 200 bis 250 Nanometer beieinander verschwimmen sie unter dem Mikroskop zu einem Klecks“, sagt Stefan Hell, Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. Der kahlköpfige Physiker tüftelte schon seit fast einem Jahrzehnt daran diese Grenze zu überwinden. Nun ist es ihm gelungen. Mit seiner Stimulated Emission Depletion (STED) Mikroskopie kann er Fluoreszenz-Lichtmikroskope auf bis zu 50 Nanometer scharf stellen und in Einzelfällen sogar 15 nm. Und weitere Grenzen „sind eigentlich keine gesetzt“, so Hell.

Dabei macht er sich ein Prinzip zu nutze, das die letzten 130 Jahre vehement bestritten wurde: „Kaum jemand wollte glauben, dass man mit gewöhnlichen Lichtoptiken noch detailreichere Bilder bekommt“, sagt Hell. Die Schärfe und der Fokus von Mikroskopen, die mit Licht arbeiten hängt im Wesentlichen von zwei Bedingungen ab: der Lichtwellenlänge und dem Objektiv. Über Jahre versuchten Physiker ihre Augen für den Mikrokosmos empfindlicher zu machen, in dem sie an diesen beiden Stellschrauben drehten. Sie zogen kleine Glasfasern immer feiner, bis sie nur noch wenige Nanometer umfassten, um dort das Licht hindurch zu schicken und zu bündeln. Doch das Verfahren ist sehr lichtschwach. Viel zu empfindlich sind die Glasspitzen und viel zu nah muss man sich an seine Zellproben bewegen, als dass man sie systematische abtasten könnte.

Hell beschritt einen anderen Weg. Er schaltet Licht mit Licht aus. Eines der wichtigsten Verfahren, Bilder von den kleinsten Strukturen und Abläufen der Natur zu bekommen ist die so genannte Fluoreszenz-Mikroskopie. Dabei schicken die Biologen einen zumeist blauen Lichtstrahl auf Zellen und Proteine, die zuvor mit Markermolekülen versehen wurden. Das Licht regt die Markermoleküle an und sie beginnen farbig zu glimmen. Auf diese Art können die Wissenschaftler verfolgen, wohin etwa die Botenstoffe wandern, mit denen Nervenzellen miteinander kommunizieren. „Der Strahl war jedoch wegen seiner Beugung zu breit, um zwischen Strukturen zu unterscheiden, die zu nah nebeneinander lagen“, erklärt Hell. Wie ein zu dicker Pinsel, wischt er einfach über die filigranen Strukturen der Zelle, anstatt sie sauber abzuzeichnen. Man musste also die Lichtquelle noch stärker bündeln.

Anstatt aber mechanisch an einer Spitze zu arbeiten, dachte sich Hell ein viel effizienteres Verfahren aus: Wenn man mit Licht anregen kann, warum sollte es dann nicht auch möglich sein, mit Licht wieder abzuregen? Also baute er einfach eine zweite Lichtquelle, die parallel zu dem anregenden ultravioletten Strahl, einen Kranz rotes Licht hinterherschickt. Auf diese Weise beleuchtet, fallen die die Moleküle an den äußeren Rändern wieder in ihren Normalzustand zurück – aber eben nur der äußere Ring des anregenden Spots. „Damit macht man den Strahl sehr viel feiner“, sagt Hell.

Dass seine Theorie auch den Praxistest besteht, beweist die Arbeit seines Institutskollegen Reinhard Jahn und Mitarbeiter. Mithilfe des STED-Mikroskops konnten sie nicht nur die erkennen, wie sich Botenstoffe zwischen den Nervenzellen verhalten. „Wir konnten zeigen, was genau an den hauchdünnen Verästelungen der Neuronen passiert“, so der Leiter der Neurobiologie am MPI in Göttingen. Zwischen Nervenzellen existiert ein ausgeklügeltes Informationssystem. Wollen sie einen Reiz weiterleiten, setzen sie an ihren Enden, den Synapsen, Botenstoffen aus kleinen Bläschen frei. Diese Vesikel verschmelzen von innen mit der Zellmembran und geben so die Signalmoleküle frei. Das war schon lange bekannt. Was jedoch mit eben diesen Bläschen passiert, gab den Wissenschaftlern Rätsel auf. „Vesikel sind nicht einfach nur kleine Hohlräume. Sie bestehen aus abertausenden verschiedenen Molekülen, die alle eine andere Funktion haben“, erklärt der Neurobiologe. Aber was geschieht mit ihnen sobald sie in der Membran der Nervenzelle aufgehen?

Sie sammeln sich, weiß Jahn heute – und dank der Technik seines Kollegen. Es entsteht „ein Vesikelteppich“, der darauf wartete wieder zu Bläschen recycelt zu werden. „Das STED-Verfahren ist ein Quantensprung in der Mikroskopie – besonders für die Lebenswissenschaften“, sagt er. Zwar sei die STED nicht die erste Technik, die die Auflösungsgrenze bricht, „aber sie ist die am besten geeignete Methode, um biologische Prozesse zu beobachten“, so Jahn. Und sie ist die erste die – entgegen der alten Lehrmeinung – mit fokussiertem Licht und herkömmlichen Objektiven auskommt. Für das Elektronen-Mikroskop benötige man fixierte Proben, die extra geschnitten werden. Auch sei die Empfindlichkeit häufig nicht hoch genug. Die Raster-Elektrone-Mikroskopie tastet hingegen nur Oberflächen ab. „Insekten können Sie in 3D damit wunderbar aufnehmen“, so Stefan Hell, „aber nach spätestens fünf Mikrometern bleiben die Elektronen hängen – tiefere Ebenen sieht man damit nicht“.

In den nächsten Wochen und Monaten wollen die Göttinger ihr Verfahren noch verfeinern. „Denn das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft“, so Jahn. Endlich könne man Strukturen beobachten, die den Wissenschaftlern zuvor verschlossen blieben. Auf den Göttinger Objektträgern liegen derweil Zellmembranen, denen der Rest der Zelle einfach weggerissen wurde. Die Zellwand erfüllt eine ganz Schar wichtiger Transport-, Abwehr- und Signalweiterleitungsfunktionen. „Wenn man die plötzlich isoliert, arbeitet sie noch eine Weile weiter“, erklärt der Neurobiologe. Nun können die Wissenschaftler prüfen, ob sich ihre Annahmen als richtig erweisen. In einem weiteren Schritt wollen Hell und Jahn die STED-Mikroskopie für zwei Farben tauglich machen. „Dann können wir sehen, ob zwei Moleküle miteinander Verbindungen eingehen“, sagt Reinhardt Jahn. Das, fährt er fort, "wäre ein weiterer Quantensprung". (wst)