Der Blaumann fürs All

Beim Constellation-Raumfahrtprogramm setzt die NASA auf einen modularen Raumanzug, der bislang getrennte Funktionen vereint und den Astronauten mehr Bewegungsfreiheit gibt. Kommende Woche wird der erste Prototyp getestet.

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Von
  • Brittany Sauser

Beim Constellation-Raumfahrtprogramm setzt die NASA auf einen modularen Raumanzug, der bislang getrennte Funktionen vereint und den Astronauten mehr Bewegungsfreiheit gibt. Kommende Woche wird der erste Prototyp getestet.

Bei der Rückkehr zum Mond im Jahr 2020 hat die NASA bislang mit Problemen zu kämpfen: Die Entwicklung der neuen Ares-Raketen ist hinter dem Zeitplan, und die Kosten steigen. Besser sieht es aus in der Frage, in welchem Dress die Astronauten den Erdtrabanten betreten sollen. Der neue Raumanzug für das Constellation-Programm ist eine flexible Mehrzweckmontur mit Bordcomputer und kann Raumreisende bis zu 120 Stunden unter den harten Bedingungen des Weltraums am Leben halten.

Der Anzug ist außerdem für Außenarbeiten an der Internationalen Raumstation ISS und für künftige Mars-Missionen ausgelegt. „Die bisherigen Anzüge eignen sich nicht für sämtliche Anforderungen, die wir an sie haben“, sagt Terry Hill, Manager des Constellation-Raumanzug-Projekts am Johnson Space Center der NASA in Houston. „Das neue Design ist ganz anders als bisher.“

Die Entwickler der US-Raumfahrtbehörde haben sich für eine modulare Konstruktion entschieden: Arme, Beine, Stiefel und Helme können mit verschiedenen Torso-Stücken kombiniert werden. „Es ist ein rekonfigurierbarer Anzug, der drei spezialisierte Anzüge vereint“, erläutert Hill. Den Auftrag für die Entwicklung des Weltraum-Blaumanns hat die Firma Oceaneering International bekommen, die bislang vor allem Ausrüstungen für die Tiefseeforschung herstellt. 500 Millionen Dollar zahlt die NASA dafür über sechseinhalb Jahre an das Houstoner Unternehmen.

Derzeit nutzen die Space-Shuttles-Crews zwei verschiedene Anzüge. Der weiche, auf Textilfasern basierende Advanced Crew Escape Suit (ACES) wird während Start- und Landephasen getragen. Er schützt die Astronauten gegen Druckluft und gegen kaltes Meerwasser im Fall einer Notlandung im Ozean. Das eingebaute Wasserkühlsystem stabilisiert die Körpertemperatur eines Crew-Mitglieds. Zur Ausrüstung gehören außerdem ein Überlebenspaket, eine Sauerstoff-Versorgung für den Notfall und ein Fallschirm, falls die Astronauten während der Landung vom Shuttle abspringen müssen.

Bei Arbeiten außerhalb der ISS tragen sie hingegen das Extravehicular Mobility Unit (EMU). Der steife Torso enthält mehrere Schichten, die die Astronauten vor Mikrometeoriten und der intensiveren Strahlung in der Umlaufbahn schützen. Neben einem lebenserhaltenden System enthält der EMU-Anzug auch ein Kommunikationssystem. Mit 135 Kilogramm Masse ist er ein ziemlicher Brocken, in dem die Astronauten nur eingeschränkte Beinfreiheit haben. Bei Außenarbeiten ist das nicht weiter hinderlich, da die klobigen Raumstiefel ohnehin in Halterungen an der ISS-Bordwand eingeklinkt werden.

„Beim ersten Mal ging es nur darum, einfach den Mond zu erreichen. Beim nächsten Mal sollen die Astronauten wirklich in der Lage sein, die Mondoberfläche zu erkunden, Proben einzusammeln und wissenschaftliche Experimente zu machen“, sagt Daniel Barry, Forschungsleiter der David Clark Company und Leiter des Constellation-Raumanzug-Projekts.

Der neue Raumanzug wird zwei Konfigurationen haben. Die erste ähnelt dem AVES der Shuttle-Crew und wird beim Start, bei der Landung und bei Notfällen in Schwerelosigkeit getragen. In dieser Konfiguration wird die Hülle weich sein und den Astronauten möglichst viel Mobilität geben.

Damit der Constellation-Anzug sich nicht übermäßig versteift, wenn sein Inneres unter Druck gesetzt wird – wie bei bisherigen Raumanzügen der Fall –, hat Barrys Team an Schultern, Ellbogen und Knien spezielle Gelenkabdeckungen eingebaut. Sie halten das Volumen des Anzugs konstant, so dass sich die Astronauten auch bei größerem Innendruck leicht bewegen können. Dank eines neuen atmenden Textils trägt er sich bequemer als die bisherigen mit Urethan oder Neopren beschichteten Nylonfasern.

Die zweite Konfiguration ist für Ausflüge auf dem Mond konzipiert. Dieselben Arme, Beine, Stiefel und Helme wie in der ersten Variante werden in diesem Fall in einen versteiften Torso gesteckt. Der enthält das Lebenserhaltungssystem, die Funkanlage und einen kleinen Computer mit OLED-Display, der auch als Knoten für die Datenübertragung fungiert. Bevor die Astronauten die Mondfähre verlassen, streifen sie noch eine Art Strahlenschutzgewand über, das auch gegen Mikrometeoriten schützt. Die Entwicklungsingenieure arbeiten außedem an Vorkehrungen gegen den äußerst feinen Mondstaub, der den Apollo-Astronauten vor vierzig Jahren zu schaffen machte.

Dank der neuen Konstruktion können viele der harten Teile, die das Gewicht vergrößern und bei einer Bruchlandung sogar ein Risiko für die Crew darstellen, entfallen. Sie werden durch Teile aus leichteren Verbundwerkstoffen ersetzt. Dank eines Reißverschluss-„Eingangs“ auf der Rückseite werden die Astronauten schneller als bisher in den Anzug oder heraus schlüpfen können. Derzeit brauchen sie drei Stunden und Hilfe von anderen, um den heutigen Außenraumanzug anzulegen.

Ein einziger modularer Anzug sei auch billiger in der Herstellung, betont Barry. Ein erster Prototyp soll kommende Woche zusammen mit der neuen Raumkapsel des Constellation-Programms, Orion, bei der NASA getestet werden. Im September soll dann die erste Version Constellation-Anzugs geliefert werden. 2013 soll die Entwicklung abgeschlossen, der Anzug 2015 schließlich für den Einsatz bereit sein.

Bei der NASA erwartet man nun mit einer gewissen Nervosität, welche Prioritäten die Obama-Regierung für das Constellation-Programm setzen wird. „Klar ist, dass wir neue Raumanzüge brauchen, wenn wir bemannte Missionen starten“, sagt NASA-Manager Terry Hill. Dass die modular aufgebaut seien, habe auch noch einen anderen Grund: „Wenn die Regierung entscheidet, auf die Rückkehr zum Mond zu verzichten und direkt zum Mars zu fliegen, müssen wir an der Architektur des Anzugs nichts mehr ändern.“ (nbo)