Der Fernseher glotzt zurück

Ein US-Start-up will mit einer neuen Technologie Online-Inhalte in Echtzeit auf Fernsehsendungen abstimmen, die ein Nutzer gerade schaut.

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Von
  • Tom Simonite

Ein US-Start-up will mit einer neuen Technologie Online-Inhalte in Echtzeit auf Fernsehsendungen abstimmen, die ein Nutzer gerade schaut.

Immer mehr Menschen surfen im Web, während sie fernsehen. Das kalifornische Start-up Flingo will beide Parallelwelten nun auf neue Weise zusammenführen und für Nutzer von Internet-TV-Geräten Online-Inhalte – und das heißt vor allem: Anzeigen – in Echtzeit an die jeweiligen Inhalte der Sendungen anpassen.

Ob TV-Sendungen, DVDs oder Videodateien – das „Sync Apps“ genannte System soll jede beliebige Bildquelle auswerten können. Die Daten werden hierfür laufend an die Server von Flingo geschickt und dort verarbeitet. Voraussetzung ist nur, dass der Zuschauer TV-Gerät und Rechner an denselben Internetzugang angeschlossen hat.

Die Hard- und Software für die Fernsehgeräte, die hierfür nötig sind, sollen Ende des Jahres auf den Markt kommen. Nach Angaben von Flingo hat einer der fünf großen Fernseher-Hersteller in den USA bereits die Massenproduktion aufgenommen. Sync Apps soll unter 500 Dollar kosten.

„Jede Webseite und jede App kann auf die Flingo-Server zugreifen, um herauszufinden, was bei Ihnen gerade läuft“, verspricht David Harrison, Mitgründer und technischer Leiter von Flingo. „Wenn Sie während eines Films auf Google oder die Filmdatenbank IMDB gehen, wissen die bereits, was auf dem Bildschirm ist. Online-Händler wie Amazon oder Walmart könnten Ihnen Dinge anbieten, die zur gerade laufenden Show passen, zum Beispiel DVDs oder Kleidung.“

Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter würden den Zuschauer mit Hilfe der Informationen von Flingo direkt auf die Seite oder den Kurznachrichtenstrom einer Sendung leiten. Laut Harrison sollen sich Inhalte sofort anpassen können, wenn man den TV-Sender wechselt. Das Start-up hat bereits die Schnittstelle zu Sync Apps veröffentlicht, damit App-Entwickler die Flingo-Technologie einbauen können.

Was Harrison begeistert, dürfte den einen oder anderen leicht an den berüchtigten Televisor aus George Orwells „1984“ erinnern. Während die bemitleidenswerten Bürger des Überwachungsstaates dem Televisor nicht entgehen konnten, sollen Sync-Apps-Nutzer laut Harrison die Kontrolle über das System behalten. Wenn sie ihr neues Gerät zum ersten Mal einschalten, werden sie gefragt, ob sie die Datenübermittlung an Flingo erlauben. Falls ja, müssen sie den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zustimmen. Webseiten und Apps wiederum müssen zuerst die Erlaubnis einholen, auf die Flingo-Server zugreifen zu dürfen.

Ashwin Navin, der zweite Mitgründer der Firma aus San Francisco, ist überzeugt, dass Zuschauer den Dienst annehmen, weil er nur das automatisiert, was ohnehin manche auf der Couch machen. „Bisher müssen sich die Leute die Arbeit selbst machen“, sagt Navin, „wir liefern ihnen die Informationen frei Haus.“

Sync Apps soll außerdem für synchrones Surfen und Fernsehen das ermöglichen, was im Web längst üblich ist: maßgeschneiderte Werbebanner, die unter anderem auf dem Browser-Verlauf eines Nutzers aufbauen. Allerdings funktioniere die neue Werbeschaltung nur auf Seiten, die eine Erlaubnis zur Verwertung der Flingo-Daten eingeholt haben, versichert Navin. „Wenn wir die Empfehlungen in Anzeigen verbessern, hilft das den Nutzern, ansonsten sind Anzeigen nur ein Weißes Rauschen“, bemüht Navin ein oft vorgetragenes Argument für maßgeschneiderte Werbung.

Andy Tarczon, Elektronik- und Medienanalyst bei TDG Research, gibt Navin jedoch Recht. Seine Untersuchungen zeigten, dass das TV-Publikum bereit für solche Zusatzinformationen sei. „Wir stellen in Befragungen immer wieder fest, dass die Zuschauer mehr über das Programm wissen wollen, weil sie so auf neue Inhalte stoßen“, sagt Tarczon. Hingegen hätten viele noch keine Lust, sich die Informationen selbst im Netz zu beschaffen.

Weil Flingo jahrelang Anwendungen für Internet-verbundene Fernseher entwickelt hat, verfüge die Firma über einen guten Draht zu großen Sender wie CBS, MTV oder Fox, so Tarczon. Das könnte ein Vorteil im Wettbewerb mit Google TV sein. CBS, Fox und anderen TV-Stationen blockieren ihre Inhalte für die Internet-Fernseher des Datenriesen, weil Google TV die Nutzer selbst nach neuen Programmen suchen lässt, so dass diese auch urheberrechtlich geschütztes Material finden und sehen können.

Die großen Sender wollten hingegen das Web nutzen, um ihre Zuschauer stärker an sich zu binden, ohne gleich ihr traditionelles Geschäftsmodell aufzugeben, sagt Tarczon. „Dazu passt Flingo besser.“ (nbo)