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Der Fuchs beginnt die Jagd

Reiner Wandler

Mit Firefox OS will die Mozilla-Stiftung den Smartphone-Markt aufrollen – und verhilft einer kleinen spanischen Handy-Schmiede zu einem guten Geschäft.

Mit Firefox OS will die Mozilla-Stiftung den Smartphone-Markt aufrollen – und verhilft einer kleinen spanischen Handy-Schmiede zu einem guten Geschäft.

Geeksphone heißt die Marke. Doch wer einen Geek erwartet, sieht sich enttäuscht. Javier Agüera Reneses, einer der Gründer des spanischen Unternehmens Geeksphone, das am 23. April dieses Jahres weltweit das erste Handy mit einer Vorab-Version von Firefox OS auf den Markt brachte, ist eher Geschäftsmann als Stubenhocker.

Auf den ersten Blick sieht der gerade einmal 21-Jährige aus wie eine Mischung aus idealem Schwiegersohn und amerikanischem Collegeboy. Keiner, der sich inmitten von Kabeln, Tastaturen und Bildschirmen wohlfühlt. Sein kurzes Haar ist glatt gekämmt. Sein Poloshirt einer US-amerikanischen Marke gilt unter Spaniern seines Alters eher als schnöselig denn als cool. Bereits mit 15 versuchte der Sohn eines Arztes sich an einem T-Shirt-Online-Shop, schrieb Computerspiele, allerdings mit wenig Erfolg. Mit 16 betreute er die sozialen Netzwerke für ein Start-up, das Handys nach Kundenwunsch mit personalisierter Hardware ausstattete. Es ging bankrott, was auch sein Gutes hatte: Wenige Monate später gründete Agüera Geeksphone zusammen mit einem Musiker und einer Informatikerin.

Plötzlich steht er damit an vorderster Front im Kampf um den Mobilfunkmarkt. Viel Zeit für sein Studium zum Telekommunikationsingenieur an der Escuela Técnica Superior de Ingeniería, einer namhaften Madrider Privathochschule, bleibt seitdem nicht mehr.

Seit diesem Sommer steht das erste Handy-Betriebssystem der Mozilla Foundation zur Verfügung. Mit dem Internetbrowser Firefox hat die Stiftung bereits einmal gezeigt, dass sie einen verteilt scheinenden Markt kräftig umkrempeln kann – mit 34 Prozent Marktanteil führt Firefox mittlerweile die Browser-Statistik an. Zwölf Monate lang warteten deshalb neben Computerfans auch Telekomanbieter auf das Firefox OS. Und das kleine Start-up Geeksphone bot das erste dazu pas- sende Handy an.

Der spanische Telekomkonzern Telefónica (hierzulande vor allem unter seiner Marke O2 bekannt) erkannte die Chance früh. Auf der Fachmesse World Mobile Congress 2012 in Barcelona nahm das Unternehmen Kontakt zu Geeksphone auf. "Der Konzern suchte ein kleines, agiles Unternehmen, um in Zusammenarbeit mit Mozilla das Firefox OS auf einem Endgerät für Entwickler einzusetzen", erzählt Agüera. Knapp ein Jahr später lagen die Geräte als "Developer Preview"-Modelle auf dem Tisch.

Keon heißt das kleinere, orangefarbene Handy und Peak das weiße, etwas größere Mittelklasse-Phone. Die ersten Chargen waren nur wenige Stunden nach Erscheinen ausverkauft. In die "Zehntausende" gehe die Produktion mittlerweile, genaue Zahlen will Agüera nicht preisgeben. Er verrät lediglich, dass "nur 8,6 Prozent der verkauften Geräte bisher nach Spanien gingen, der Rest in alle Welt". Deutsche Kunden lägen mit 23 Prozent der Modelle an der Spitze. Wenn dieser Erfolg tatsächlich ein Gradmesser dafür ist, wie tiefgreifend Firefox OS die Smartphone-Welt verändern wird – dann sieht es gut aus für die Mozilla-Stiftung.

Und dann könnte es auch gut für Geeksphone aussehen – auch wenn die Großen der Branche dem kleinen Start-up das Leben schwer machen werden. Agüera ist sich dennoch sicher, "dass wir einen Marktanteil haben werden, der groß genug ist, um das Unternehmen weiter auszubauen". Die Expansion jedenfalls ist bereits angedacht. Ein kleines Büro in China gibt es bereits, eine Niederlassung im Silicon Valley soll folgen. "Dort werde ich dann an der Santa Clara University hoffentlich mein Studium beenden."

Noch aber sitzt er in der Madrider Zentrale. Die Büros des Start-ups finden sich unweit des Hauptbahnhofs Atocha in einem zweistöckigen Gebäude. Die Räume haben hohe Decken, Glas und viel Licht, das durch eine nach Süden gerichtete Fensterfront eindringt. Zwei Trikots mit Autogrammen von Spielern des Fußballklubs Real Madrid, ein paar Notebook-Klassiker und ein tragbares Radio/TV-Gerät aus den 1970er-Jahren bilden die ganze Dekoration. "Alles begann 2009, mit absolut null Kapital", erzählt Agüera. "Die Idee war einfach. Bisher ist der Besitzer eines Handys, anders als bei sonstigen Produkten, nie Kunde beim Hersteller. Er ist Nutzer. Kunde ist er bei einem Telekommunikationsunternehmen. Das wollten wir ändern."

Der Kunde sollte mehr bekommen als nur ein beliebiges Telefon zusammen mit dem Telefonvertrag: eine Community mit Forum, Betreuung, Service, eine Werkstatt für Reparaturen. Das Telefon sollte mit jeder beliebigen SIM-Karte funktionieren. Vor allem aber sollte die Software für Bastler offen stehen – darum auch der Name Geeksphone. "Egal was du installierst, egal was du veränderst, ob du nun das Betriebssystem umschreibst oder gar ein ganz anderes System aufspielst, du wirst weiterhin Garantie haben", versichert Agüera. Die ersten beiden Modelle, die das junge Unternehmen anbot, liefen noch mit Android. Das Geeksphone One war das erste europäische Handy mit dem damals völlig neuen Betriebssystem, das Zero das erste Android-Handy weltweit für weniger als 200 Euro.

"Es war wohl unsere Erfahrung und der Name, den wir uns mit diesen beiden Modellen gemacht haben, was Telefónica auf uns aufmerksam werden ließ", erklärt Agüera. Das Angebot von Telefónica und Mozilla kam für Agüera im richtigen Augenblick. "Wir waren mit Android nicht so recht zufrieden. Es ist bei Weitem nicht so offen, wie wir am Anfang glaubten. Google kontrolliert sehr stark." Zwar versprechen auch andere Linux-Varianten, die jetzt für Smartphones eingesetzt werden sollen, mehr Offenheit für Programmierer und versierte Anwender. Doch Firefox OS habe bessere Chancen, sich auf dem Markt durchzusetzen. "Es genießt die Unterstützung von Telefónica und 17 weiteren Telcos. Die Hardware-Industrie, allen voran Qualcomm, unterstützt die Plattform, und dann ist da natürlich die Community der Entwickler rund um Mozilla", sagt Agüera.

Auch wenn es schwerfällt, sich den jungen Agüera vorzustellen, wie er mit großen chinesischen Fabrikanten verhandelt, er hat wohl tatsächlich ein Gespür fürs Geschäft. "Wir hatten ja was zu bieten", sagt er. "Mit Android waren wir ganz am Anfang mit dabei, das interessierte damals Foxconn, die uns das One und das Zero entwarfen und produzierten", sagt Agüera. "Mit den beiden Firefox- Modellen gingen wir dann zu einem Fabrikanten, der auch für Motorola arbeitet, und hatten wieder Erfolg. Auch sie waren an der neuen Technik interessiert. Schließlich könnte das Firefox OS das System sein, das sich als Dritter auf dem Markt etabliert, der bisher von Apple und Google kontrolliert wird."

Den Namen des Herstellers will er nicht verraten. Der Jungunternehmer betont nur, Geeksphone sei nicht einfach Kunde. "Wir entwickeln gemeinsam." Darüber hinaus unterhält das Unternehmen neben den Büroräumen ein kleines Labor. Regale, ein paar Computer und eine Handvoll Entwickler. "Sie kommen alle aus unserem Forum", erklärt Agüera. 20000 User zählt die Geeksphone-Community mittlerweile. Völlig neue Konzepte sind allerdings nicht zu erwarten. Agüera gibt unumwunden zu, dass die Hardware weitgehend Standard sei – wie "bei 95 Prozent der Handys, von den jeweiligen Vorzeigemodellen der großen Marken einmal abgesehen". Selbst erarbeitet hat das Team um Agüera jedoch die Feineinstellung des Firefox OS, die notwendigen Gerätetreiber und Energiesparfunktionen. Während Agüera spricht, nimmt er aus einem Keon den Akku heraus. Stolz zeigt er auf das, was darunter geschrieben steht. "Engineered in Spain", heißt es neben dem heute in fast allen Elektronikartikeln üblichen "Made in P.R.C." – gefertigt in der Volksrepublik China. "Dank unserer eigenen Entwicklungen holen wir wesentlich mehr Leistung aus den Geräten als die Konkurrenz", verspricht Agüera.

Mit der Philosophie des direkten Kundenkontakts will Geeksphone zudem über die Sicherheit der Smartphones wachen und falls nötig schnell mit Updates und Patches reagieren. Dass Firefox OS unsicherer sein könnte, weil die Kontrolle der Apps durch eine zentrale Instanz wegfällt, glaubt er aber nicht.

Ab September wollte Geeksphone eigentlich das Nachfolgemodell des Peak unter dem Namen Peak+ auf den Markt bringen. 149 Euro zuzüglich Steuern sollte das Gerät kosten, ausgestattet mit 1,2-GHz-Prozessor, GPS, schnellem WLAN, 4,3-Zoll-Display und 8-Megapixel-Kamera. "Die Änderungen hat die Community im Forum eingefordert", erklärte der Geeksphone-Chef dazu. Mittlerweile hat sich das Unternehmen aber dagegen [1] entschieden. Stattdessen werkelt Geekspone nun zusammen mit Kryptolegende Phil Zimmermann am besonders geschützten Blackphone [2].

Die Mozilla Foundation hatte nach der Ankündigung des Peak+ mitgeteilt, man lege Wert auf die Feststellung, dass dieses neu angekündigte Telefon "auf vorab veröffentlichter ,Boot to Gecko'-Software aufsetzt und kein zertifiziertes oder offiziell unterstütztes Firefox-OS-Gerät ist". Agüera ließ sich damals von solchen Widrigkeiten nicht beeindrucken. Das einzige, was das Peak+ von einem zertifizierten Modell unterscheide, sei "das offizielle Firefox-Logo".

Dieser Beitrag wurde am 22. Januar 2014 um neue Informationen ergänzt. (bsc [3])


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Geeksphone-Firefox-Handy-Peak-erscheint-nicht-2057290.html
[2] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Das-Blackphone-soll-die-totale-Ueberwachung-stoppen-2086745.html
[3] mailto:bsc@heise.de