Der heilige Gral der Halbleitertechnik

Die finnische Millennium-Prize-Stiftung will alle zwei Jahr den Urheber einer Erfindung, die unser aller Leben grundsätzlich geändert hat, mit einer Million Euro belohnen. Diesmal ist der Erfinder der blauen Leuchtdiode an der Reihe.

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Von
  • Veronika Szentpetery

Auf die Frage, welche technischen Innovationen unser aller Leben grundlegend verbessert haben und es auch in Zukunft tun werden, gibt es wahrscheinlich ebenso viele Antworten wie man Leute fragt. Johannes Gutenbergs Druckmaschine, James Watts Dampfmaschine oder die Erfindung des Förderbandes haben ganze Industriezweige hervorgebracht oder revolutioniert. Die finnische Millennium-Prize-Stiftung hat es sich vor vier Jahren zur Aufgabe gemacht, alle zwei Jahre eine schlüssige Antwort auf die Eingangsfrage zu liefern und den Urheber der innovativen Entwicklung mit einer Million Euro zu belohnen. Der vor zwei Jahren das erste Mal verliehene Millenium Technology Prize ist damit die weltweit größte Auszeichnung ihrer Art.

Die Stiftung hat kürzlich in feierlichem Rahmen in Helsinki bekanntgegeben, dass sie den Elektroingenieur Shuji Nakamura von der University of California in Santa Barbara für die Entwicklung neuer, revolutionärer Lichtquellen zum Gewinner des Millennium Technology Prize 2006 gekürt hat. Der Japaner hat Mitte der 90-er Jahre blaue, grüne und weiße Leuchtdioden (LED) und die ersten blaue Laserdiode auf der Basis des Halbleiters Galliumnitrid geschaffen. „Damit hat Shuji Nakamura den Heiligen Gral der Halbleiterforschung gefunden”, gab sich Pekka Tarjanne, Vorsitzender des Auswahlkomitees, begeistert.

Die leistungsfähigen und energiesparenden Leuchtdioden verbessern dem Auswahlkomitee der Stiftung zufolge in zahlreichen Anwendungen die Lebensqualität der Menschen beträchtlich. Nakamura, der unter 109 Nominierungen aus 32 Ländern aller Kontinente einheitlich ausgewählt wurde, wird die Auszeichnung am 8. September bei der offiziellen Preisverleihung in Helsinki entgegen nehmen – passenderweise während der finnischen EU-Ratspräsidentschaft.

LEDs haben nicht nur eine hohe Lebensdauer sondern verbrauchen auch sehr viel weniger Energie als klassische Glühbirnen. Das macht sie der Millenium-Prize-Stiftung zufolge selbst für den Einsatz entlegenen Gebieten armer Länder geeignet, weil sie einfach mit einem kleinen Solarstrompanel auf dem Dach betrieben werden können. In den Industrieländern könnte mit ihrer Hilfe in beträchtlichem Maße Stromkosten eingespart werden, würde man die herkömmliche Beleuchtung gegen Leuchtdioden austauschen.

Dr. Tapio Alvesalo, Vorstandsmitglied der Millennium-Prize-Stiftung, schätzt, dass die von Nakamura entwickelten LEDs in zehn bis fünfzehn Jahren, wenn der Produktionspreis weit genug gesunken ist, herkömmliche Glühbirnen komplett ablösen werden. Bereits heute seien die Leuchtdioden gegenüber Energiesparlampen in Sachen Energieeffizienz durchaus konkurrenzfähig.

Eine der bedeutsamsten künftigen Anwendungen von Nakamuras Technologien besteht im Sterilisieren von Trinkwasser. UV-LEDs werden die Wasseraufbereitung effizienter und vorteilhafter machen als es herkömmliche Methoden zu leisten vermögen. Die Wellenlänge blauer Laserdioden läßt sich nämlich bis in den ultravioletten Bereich verändern und UV-Licht tötet Bakterien ziemlich effektiv ab. Damit würden auch die bisher für die Erzeugung von UV-Licht verwendeten Quecksilberlampen überflüssig. Diese sind nicht nur schwer sondern auch leicht zerbrechlich und somit eine Kontaminationsgefahr für die Umwelt. Das Auswahlkomitee der Millennium-Prize-Stiftung zeigte sich überzeugt, dass mit diesem Verfahren Leben und Gesundheit von Millionen Menschen der Dritten Welt eine Besserung und erfahren. Auch beim Speichern und Übertragen von Daten führt blaues Laserlicht zu einem erheblichen Fortschritt. Damit lassen sich zum Beispiel auf DVDs etwa fünf Mal so viel Daten wie mit heutigen Technologien speichern.

Nakamura entwickelte die Leuchtdioden und den blauen Laser noch in seiner Heimat Japan bei Nichia Chemical, wo er von 1993 an Leiter der Forschungsabteilung war. Hier gelang ihm, womit Halbleiterforscher seit Jahrzehnten gerungen hatten. Das Geheimnis seines Erfolges war, dass er nicht gängige Halbleitermaterialien wie Zinknitrid verwendete, sondern auf Legierungen des bis dahin kaum gebräuchliche Galliumnitrid mit Aluminium und Indium setzte. Zudem hatte Nakamura eine neue Methode zur Herstellung von Halbleiterdioden entwickelt, die eine viel bessere Materialqualität ermöglichte.

Als sein Arbeitgeber Nakamura aber mit lediglich 150 Euro Prämie für die Erfindung abspeisen wollte, überwarf sich der Ingenieur mit dem Unternehmen und verklagte es auf satte 150 Millionen Euro. Vor Gericht einigten sich beide Parteien schließlich auf 6 Millionen Euro Prämie. Nakamura kehrte Nippon den Rücken zu und führte seine Forschung an der University of California weiter. Heute forscht er im Bereich der Halbleitertechnologie an Galliumnitrid-Dünnfilmen.

Der Japaner hofft, dass der Preis dabei helfen wird, das Bewußtsein der Menschen für energiesparsame Lösungen durch LEDs zu schärfen. Er kündigte an, einen Teil des Preisgeldes Universitäten und Gruppen zur Verfügung zu stellen, die dabei helfen wollen, Festkörper-Beleuchtung (solid state lighting) in der Dritten Welt nutzbar zu machen, wie zum Beispiel die Gruppen „Light-Up-The-World“ oder „Engineering Without Borders“. Da paßt es besonders gut, dass das Motto der University of California „Let there be light” lautet.

Der Millennium Technology Prize wird von der Millenium-Prize-Stiftung, einem unabhängigen finnischen Fonds, verliehen. Das Preisgeld bringen jeweils zur Hälfte der finnische Staat und private Organisationen sowie Unternehmen wie der Centennial Foundation of Technology Industries of Finland und der Confederation of Finnish Industries auf. Ziel war es, neben dem Nobelpreis, der in erster Linie ein Wissenschaftspreis ist, eine Möglichkeit zur Prämierung bahnbrechender technologischer Entwicklungen zu haben. Nominierungsvorschläge für den Preis können alle Universitäten, Akademien, Forschungsinstitute und Industrieorganisationen einreichen. Über den Gewinner entscheidet der Stiftungsvorstand auf Empfehlung des Auswahlkomitees. Im Jahr 2004 ging die Auszeichnung an den inzwischen zum Ritter geschlagenen Tim Berners-Lee, dem Begründer des World Wide Web.

Warum der Preis im relativ kleinen Finnland ins Leben gerufen wurde? Das Land mit etwa fünf Millionen Einwohnern (und immerhin geschätzten zwei Millionen Saunen) ist stolz darauf, dass es sich vom Agrar- und Forstland, das es bis in die 50er Jahre war, erfolgreich zu einem der führenden Technologiestandorte Europas gewandelt hat – auch wenn die Forstindustrie nach wie vor einen beträchtlichen Anteil der Wirtschaftskraft ausmacht. Die Wirtschaftskrise von Anfang der 90er Jahre ist längst überwunden, das Bild von Finnland als Industrie- und Innovationsstandort hat sich dank Nokia und Co. und einer unermüdlichen Imagecampagne in den vergangenen zehn Jahren in den Köpfen verankert. Neben Informations- und Computertechnologie kann Finnland auf Erfolge in der Bio- und Medizintechnik sowie in der Atomtechnologie verweisen. Namhafte internationale Unternehmen wie IBM, Siemens, Hewlett Packard, Ericsson und Lotus haben in Finnland eigene Forschungseinheiten etabliert. (wst)