Der maschinenlesbare Arbeitnehmer

In den USA nutzen Konzerne Methoden aus der Big-Data-Analyse, um passende Angestellte zu finden, zu halten und sogar zu befördern.

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Von
  • Jessica Leber

In den USA nutzen Konzerne Methoden aus der Big-Data-Analyse, um passende Angestellte zu finden, zu halten und sogar zu befördern.

Der Dokumentenmanagementriese Xerox nutzt für seine Service-Tochter in den USA eine Software des Start-ups Evolv, um Zehntausende von Bewerbungen für Dienstleistungsjobs im Niedriglohnsektor zu durchleuchten. Ziel dabei ist es, die idealen Kandidaten zu finden – mit Methoden aus der Datenanalyse.

Zuvor wurden passende Modelle angelegt, die sich aus anonymisierten Personalakten zahlreicher ähnlicher Arbeitnehmer speisen. So ist es beispielsweise nicht unbedingt ein gutes Vorhersagekriterium für den Joberfolg in einem Call-Center, wenn man bereits in einem gearbeitet hat. Stattdessen sollte der ideale Kandidat eher ein "kreativer" Typ sein, dabei aber trotzdem nicht zu wissenshungrig. Die Teilnahme an einem sozialen Netzwerk wie Facebook gilt als positiv, wer in zu vielen davon abhängt, passt eher nicht. Eine kurze Anfahrt zur Arbeitsstelle ist wichtig – solche Personen bleiben mit höherer Wahrscheinlichkeit so lange bei Xerox Services, bis die Trainingskosten wieder hereingeholt sind.

Persönlichkeitsuntersuchungen sind im Geschäftsleben nicht neu. Große Firmen wie Xerox Services beginnen nun aber damit, Konzepte aus der sogenannte Workforce Science umzusetzen. Diese verspricht, Mitarbeiterführung und Kandidatenbewertung stärker an den tatsächlich vorhandenen Daten auszurichten. Einer der bekanntesten Versuche in diesem Feld läuft beim Suchriesen Google, wo die "People Operations" genannte Personalabteilung aus der Neueinstellung von Mitarbeitern eine Art ingenieurtechnisches Großprojekt gemacht hat. Computermodelle bestimmen, wie oft ein Kandidat zum Vorstellungsgespräch muss, wie hoch Lohnerhöhungen ausfallen sollten – und helfen auch sonst mittlerweile bei fast jeder Personalentscheidung zumindest mit.

In den USA sind 60 Prozent aller Arbeitnehmer nach wie vor stundenweise beschäftigt. Hier kennt sich Evolv, das 2007 in San Francisco gegründet wurde und mittlerweile 42 Millionen Dollar von Investoren eingesammelt hat, besonders gut aus. Bewerber müssen zunächst einen halbstündigen Onlinetest absolvieren, der sie dann mit dem Profil eines erfolgreichen Call-Center-Mitarbeiters abgleicht und in eine Rangliste einsortiert. Evolv ist nicht der einzelne "Workforce Science"-Dienstleister. Gild, ein weiteres Start-up, hat damit begonnen, eine Software einzusetzen, die Programmierer danach bewertet, welchen Code sie in Open-Source-Projekte einbringen. So sollen interessante Kandidaten gefunden werden, deren Bewerbungsunterlagen sonst vielleicht im Müll landen würden.

Anwälte, die sich auf Diskriminierungsverfahren spezialisiert haben, schauen sich diese Trends derzeit ganz genau an. Während es in den USA legal ist, Kandidaten auf ihre Fähigkeiten zu testen, könnten Einstellungsentscheidungen anhand der Untersuchung zunächst zusammenhanglos erscheinender Faktoren, die ein Computer bewertet, problematisch sein. "Da werden große Menschendatenbanken erstellt", sagt der Arbeitsrechtler Christopher Moody aus Los Angeles. "Immer mehr Firmen testen potenzielle Mitarbeiter vor der Einstellung. Ob dies wirklich zum Job gehörende Qualitäten offenlegt, ist durchaus fraglich."

Es wird schnell klar, warum Xerox auf automatisierte Methoden setzt. Obwohl die Firma immer noch Fotokopierer herstellt, ist sie mittlerweile eine der weltgrößten Outsourcingfirmen geworden. Sie bietet Dienste an wie das Management von Kundendienstzentren, bearbeitet Krankenakten oder prüft Kreditkartenanträge. Dabei entstanden Umsätze in Höhe von 11,5 Milliarden Dollar allein im letzten Jahr.

Dieses Geschäftsfeld setzt hauptsächlich auf 54.000 Kundendienstagenten aus dem Niedriglohnsektor, was in den USA einem Stundenlohn von 9 bis 20 Dollar entspricht. Hier kommt es zu einer großen Fluktuation, so dass allein 2013 rund 20.000 Menschen ersetzt werden müssen, wie Teri Morse, Vizepräsidentin aus der Personalabteilung von Xerox Services, sagt. Angestellte, die weniger als sechs Monate bleiben, führen zu Verlusten, weil das Anlernen so teuer sei.

Seit die Firma vor zwei Jahren zum Pilotkunden der Analysesoftware von Evolv geworden ist, blieben die Mitarbeiter im Schnitt länger bei Xerox Services. Auch ihre Arbeitsleistung sei um 3 bis 4 Prozentpunkte gestiegen – im Bezug auf Faktoren wie die Geschwindigkeit, mit der Kundennachfragen bearbeitet werden und wie schnell Anrufe erledigt sind. Die Software hat außerdem andere, subtilere Dinge beeinflusst – etwa, wann im Jahr neue Leute kommen.

Morse zufolge sorgen die Daten dafür, dass Xerox eine größere Rekrutierungsbasis bekommt, weil die Software auch Menschen vorschlägt, die sonst anhand ihrer Bewerbungsunterlagen nicht ausgewählt werden. Dazu gehören etwa Langzeitarbeitslose.

Es kommt aber auch vor, dass bestimmte Personengruppen gar nicht mehr durchkommen. Morse ignoriert Xerox Services den Lebenslauf jener Kandidaten, die von Evolv im Verhaltenstest mit "rot" markiert wurden. Dieser Verhaltenstest dauert 30 Minuten und wird vorab online durchgeführt. "Personen, die hier gut abschneiden, zeigen später bessere Leistungen und bleiben länger dabei", meint Morse. (bsc)