Dezentrale Energie: Was machen wir, wenn die Erzeugung schwankt?

Mit Batterien in allen Häusern könnte überschüssiger Strom in jedem Heim gespeichert werden.

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Von
  • Jan Guldner

Der Muttertag war ein guter Tag für die erneuerbaren Energien in Deutschland. Rund 87 Prozent des Stromverbrauchs konnten von Windrädern und Photovoltaik gedeckt werden. Es war deshalb auch ein guter Tag für Benjamin Schott. "Bei so schönem Wetter können sich unsere Kunden komplett selbst mit Strom versorgen", sagt der Leiter des Business Development der Sonnen GmbH, einem Hersteller von Lithium-Stromspeichern aus Wildpoldsried.

Rund 10.000 Kunden hat das Unternehmen bereits eine "Sonnenbatterie" verkauft, ein intelligentes Lithium-Eisenphosphat-Stromspeichersystem, das an eine Photovoltaikanlage auf dem Dach angeschlossen ist. Scheint die Sonne, können die Nutzer zunächst ihren eigenen Verbrauch decken. Ist es so sonnig, dass mehr erzeugt als verbraucht wird, fließt überschüssige Energie in die Batterie. Doch an einem Bilderbuchwettertag, wie es der 8. Mai 2016 war, laufen auch die Speicher irgendwann über.

Wohin also mit dem überschüssigen Strom? Die Idee von Benjamin Schott und seinen Kollegen: Eine Software erkennt, welcher Sonnenbatterie-Nutzer gerade über zu viel Strom verfügt und wer zu wenig produziert – und verteilt den Überschuss entsprechend um. Dazu müssen die Kunden zur Sonnen GmbH als Stromversorger wechseln und auch einen intelligenten Stromzähler installieren. Der Aufwand lohnt sich: Wer auf Strom aus der Gemeinschaft zurückgreift, zahlt bei der Sonnen GmbH einen geringeren Preis als bei anderen Versorgern, da das Unternehmen auf eigene Margen verzichtet. Wer selbst Strom einspeist, bekommt eine höhere Vergütung. Denn die Lieferung in die Community fällt unter die sogenannte regionale Direktvermarktung, für die es spezielle Prämien und Steuervergünstigungen gibt. Seit Februar bietet die Firma das Modell an. Inzwischen haben sich etwa 1000 Haushalte dafür entschieden.

Sonnen bietet damit einen praktischen Lösungsansatz für eine der schwierigsten Fragen, die der Wandel des Energiesystems aufwirft: Wie soll man mit dem Auf und Ab der wetterabhängigen Stromversorgung im Gesamtstromkreislauf umgehen? "Damit die Energiewende gelingt, müssen wir diese Schwankungen ausgleichen können", sagt Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin. Welche Methode dazu die beste ist, darüber sind sich Experten noch uneins. Klar ist: Starke Schwankungen können das Netz aus dem Gleichgewicht bringen. Denn die Spannung darin ist nur stabil, wenn ebenso viel Strom eingespeist wie entnommen wird, wenn sich also Erzeugung und Verbrauch ausgleichen. Bisher gelang dies über gut steuerbare konventionelle Energieproduzenten wie Gas- oder Kohlekraftwerke.

Sie werden aber nach und nach von wetterabhängigen und damit schwankungsanfälligeren Solaranlagen und Windparks abgelöst. "Je größer der Anteil an erneuerbarer Stromproduktion wird, desto mehr muss man sich um die Systemstabilität sorgen", sagt Bernhard Wille-Haussmann vom Fraunhofer-Institut ISE. Er sieht den Energiemarkt daher vor einem Umbruch: "Bislang produzieren wir so viel Energie, wie wir brauchen. In Zukunft werden wir eine gewisse Strommenge haben und müssen die Last danach ausrichten", so der Forscher.

Im ersten Schritt hält er es für wichtig, möglichst genaue Aussagen darüber zu bekommen, mit welcher Erzeugung und welchem Verbrauch zu rechnen ist. "Alles fängt mit einer guten Prognose an", sagt Wille-Haussmann. Für den Netzbetreiber TransnetBW hat er mit seinen Kollegen ein Modell entwickelt, das die Leistung der 300 000 in Baden-Württemberg installierten PV-Anlagen vorhersagt. Es bezieht unter anderem die Ausrichtung und die Dachschräge mit in die Berechnung ein und liefert genauere Ergebnisse als das bisher genutzte Modell.

Je detaillierter die Verantwortlichen über die Erzeugung Bescheid wissen, desto planvoller können sie Abweichungen vom Sollwert glätten. Dafür eignen sich zum Beispiel Stromspeicher: Bei Überproduktion laden sie sich auf, bei Unterproduktion entladen sie sich wieder. Die Geräte können fest in einem Gebäude installiert sein, wie die Batterie der Sonnen GmbH oder die Powerwall des US-Elektroautoherstellers Tesla. Es ist aber auch möglich, die Akkus von E-Fahrzeugen als Speicher zu nutzen. Die Verluste, die durch das Speichern in solchen Lithium-Ionen-Batterien auftreten, liegen bei unter zehn Prozent.

Selbst wenn jeder zweite Haushalt eine eigene Batterie hätte, ließe sich der Strombedarf damit jedoch bestenfalls über mehrere Stunden decken, wendet Volker Quaschning ein. Für längere Überbrückungszeiten sei es daher sinnvoll, den überschüssigen Strom zu nutzen, um per Elektrolyse Methan oder Wasserstoff herzustellen. Diese ließen sich im Gasnetz oder in alten Erdgasspeichern lagern und bei Bedarf in elektrische Energie rückverwandeln. "Mit allen Speicherkapazitäten könnte man so Strom für drei Monate erzeugen", sagt Quaschning. "Allerdings fehlen uns dazu noch die nötigen Kraftwerkskapazitäten."

Power-to-Heat-Anlagen könnten das strapazierte Netz auf ähnliche Weise entlasten. Ihre Elektrodenkessel wandeln Strom, den sonst niemand braucht, in Wärme um. Zu den neuesten Power-to-Heat-Anlagen zählt ein Kessel mit 22 Megawatt Leistung der Stadtwerke Münster.

Auch für den Fall, dass all diese Regulierungsversuche nicht greifen und das Netz tatsächlich zusammenbricht, haben Experten schon Konzepte entwickelt: Kleine, lokale Stromnetze, Microgrids genannt, können im Notfall einspringen. Das US-Unternehmen Transactive Grid versucht bereits, dieses Modell umzusetzen. Derzeit testet es einen Prototyp des Systems in einer Straße des New Yorker Bezirks Brooklyn. Einige Netzteilnehmer erzeugen mit ihren Solaranlagen Strom, den sie direkt an ihre Nachbarn liefern. Die Transaktion wird dezentral über die Blockchain-Plattform Ethereum abgewickelt.

Ob diese Technologie bald auch in Deutschland Fuß fassen wird, hält Volker Quaschning für fraglich – aus politischen Gründen. "Microgrids sind sehr sinnvoll, weil sie die Versorgung lokaler machen und damit den nötigen Leitungsausbau verringern würden", so Quaschning. "Aber wenn Nachbarn Strom unter sich tauschen, gehen die Energiekonzerne leer aus, und das ist politisch nicht gewünscht." (bsc)