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Die Erben des Space Shuttle

Keno Verseck

Die US-Raumfahrt steht vor einem Richtungswechsel: Vor allem private Unternehmen sollen künftig den Transport in die Erdumlaufbahn übernehmen, während die Nasa sich höheren Zielen widmet. Doch sind die Privaten dafür schon bereit?

Die US-Raumfahrt steht vor einem Richtungswechsel: Vor allem private Unternehmen sollen künftig den Transport in die Erdumlaufbahn übernehmen, während die Nasa sich höheren Zielen widmet. Doch sind die Privaten dafür schon bereit?

Draußen wehte ein stürmischer Wind. Drinnen, im Kennedy Space Center, sorgte eine Rede für Turbulenzen. US-Präsident Barack Obama war an diesem 15. April eigens nach Florida gereist, um vor 200 geladenen Gästen eine "kühne neue Vision" für die US-Raumfahrt zu verkünden, wie das Weiße Haus vorab verbreitet hatte. Das war nicht übertrieben: Obama strich das milliardenschwere, von seinem Vorgänger George W. Bush initiierte Mondlandeprogramm "Constellation" mit einer saloppen Begründung: "Mal ganz platt gesagt: Da waren wir schon." Dann verkündete er seinen eigenen Weltraum-Fahrplan: verlängerte Beteiligung an der internationalen Raumstation ISS bis 2020, Landung von Astronauten auf einem Asteroiden bis 2025, Flug zum Mars bis 2035.

Seine Rede, von einigen Beobachtern sogleich als historisch bewertet, war halb Generalabrechnung mit der bisherigen Weltraumpolitik, halb Versuch, einen Weg aus der Sackgasse auf-zuzeigen. Denn die US-Raumfahrt steckt in einer ihrer tiefsten Krisen. "Es fehlt an Zielen, es fehlt am Sex-Appeal für die Öffentlichkeit, es fehlt an Reizen für Ingenieure und Manager", klagt der Raumfahrtingenieur und Nasa-Manager Jesco von Puttkamer. Der 76-jährige gebürtige Leipziger spricht aus jahrzehntelanger Erfahrung, denn er hat schon zu Zeiten der Mondlandung bei der Nasa gearbeitet, als Raumfahrt noch sexy war.

Ab Anfang nächsten Jahres wird der US-Weltraumindustrie noch etwas anderes fehlen, nämlich ihr wichtigstes Arbeitspferd: Die Space-Shuttle-Flotte wird nach dreißig Jahren im Dienst ausgemustert. Aus eigener Kraft können die USA dann vorläufig keine Astronauten mehr ins All bringen. Und der Ersatz für die Shuttles wird nach Obamas Kurswechsel wohl noch weiter auf sich warten lassen. Ursprünglich sollte nämlich bis 2016 ein System mit zwei Komponenten bereitstehen, um die Aufgabe der Raumgleiter zu übernehmen:

* Das Orion-Raumschiff, eine klassische kegelförmige Kapsel, mit der sechs Astronauten in die Erdumlaufbahn oder auf den Mond fliegen können.

* Die Ares-Trägerraketen, die das Orion-Raumschiff oder bis zu 190 Tonnen Nutzlast in die Umlaufbahn bringen sollen.

Das sogenannte Augustine Panel, eine unabhängige Expertenkommission, hatte Orion, Ares und das Mondlandeprogramm Constellation letztes Jahr im Auftrag von Obama kritisch unter die Lupe genommen – und den Daumen gesenkt, obwohl die Nasa insgesamt bereits neun Milliarden Dollar in deren Entwicklung gesteckt hatte. Constellation werde wesentlich mehr kosten als geplant, eine Beteiligung an der ISS und das Constellation-Programm seien deshalb nicht zusammen finanzierbar, begründete das Panel seine Entscheidung. Außerdem setzten Orion und Ares auf veraltete Technik – als Triebwerke für die Ares-Raketen waren weiterentwickelte Antriebssysteme der Saturn-Raketen und des Space Shuttles vorgesehen, Technologie aus den sechziger und siebziger Jahren also.

Statt einer erneuten Mondlandung, empfahl die Augustine-Kommission, solle die Nasa lieber einen Schlussstrich unter das Apollo-Zeitalter ziehen und ambitioniertere Ziele ansteuern: Forschung, Technologieentwicklung sowie "Deep-Space"-Missionen ins ferne Weltall jenseits von Erde und Mond. Der US-Präsident hat sich an nahezu alle Ratschläge gehalten: Im Februar stockte er das Nasa-Budget für die Jahre 2011 bis 2015 um sechs Milliarden Dollar auf, strich aber zugleich die Finanzierung des Mondlandeprogramms.

Als Obamas Vorhaben bekannt wurde, brach ein Sturm der Entrüstung los. Kongressabgeordnete legten einen Gesetzentwurf gegen die Raumfahrt-Reform vor, namhafte Astronauten protestierten, Manager von Raumfahrtkonzernen äußerten Bedenken. Doch in Florida lenkte der Präsident nur minimal ein.

Als einziger Bestandteil des Constellation-Programms soll das Orion-Raumschiff nun doch weiterentwickelt werden, allerdings in einer stark verkleinerten Version – als "Rettungsboot" für die Rückkehr von der ISS zur Erde. Viele Fachleute aus den Raumfahrt-Think-Tanks stehen aber hinter Obama. "Genau so eine Initiative haben wir gebraucht", sagt Raumfahrtexperte John Logsdon vom Space Policy Institute der George-Washington-Universität. Obama sei der erste Präsident seit Kennedy, der die Entwicklung neuer Technologien finanziell umfangreich fördern wolle. Logsdon: "Mit Obamas Initiative wird eine für das 21. Jahrhundert zeitgemäße Raumfahrt möglich."

Doch der große Wurf des Präsidenten löst nicht das Problem, Ersatz für die Raumfähren zu finden. Auf dem US-Markt werben bereits zahlreiche private Unternehmen damit, den Transport ins All schon bald besser, sicherer und billiger als die staatliche Raumfahrtagentur erledigen zu können. Funktionierende Raketen oder Raumschiffe haben die meisten allerdings nicht vorzuweisen. Doch es gibt auch ernst zu nehmende Kandidaten wie SpaceX und Orbital Science, die von der Nasa bereits mit insgesamt 450 Millionen Dollar gefördert werden, und zwar mit einem Programm unter dem Namen COTS (Commercial Orbital Transportation Services). Das hatte die US-Raumfahrtagentur 2006 gestartet, um nach dem Ende der Space Shuttle einen kostengünstigen Transport von Fracht und Astronauten zur ISS durch private US-Unternehmen zu organisieren. Beide Firmen haben bereits lukrative Verträge in der Tasche: Bei SpaceX hat die Nasa für 1,6 Milliarden Dollar zwölf Versorgungsflüge zur ISS in Auftrag gegeben, 133 Millionen pro Flug. Orbital Sciences erhält für acht Versorgungsflüge sogar 1,9 Milliarden Dollar.

SpaceX, gegründet 2002 von Elon Musk, dem Co-Erfinder des Internet-Bezahlsystems PayPal, ist ein Neuling im Raumfahrtsektor und hat weitgehend in Eigenregie eine Orbitalrakete unter dem Namen "Falcon" entwickelt. SpaceX setzt dabei auf preiswerte, modulare und wiederverwendbare Technik. Die Triebwerke verzichten etwa auf ein kompliziertes separates Kühlsystem und kühlen stattdessen mit Flüssigsauerstoff, bevor dieser in die Brennkammer gepumpt wird. Erstmals soll auch die erste Raketenstufe nach ihrem Ausbrennen geborgen und wiederverwendet werden – wie genau das funktionieren soll, darüber schweigt sich das Unternehmen aus. Auch das von SpaceX entwickelte "Dragon"-Raumschiff soll mit Fallschirmen zurück auf die Erde schweben und vollständig wiederverwendbar sein. Die kegelförmige Kapsel kann entweder als autonom navigierender Frachter für die ISS oder – nach Einbau eines Lebenserhaltungssystems – als Behausung für bis zu sieben Astronauten dienen.

Vor allem wegen der einfachen Konstruktion wirbt SpaceX damit, das billigste orbitale Transportsystem überhaupt und eines der sichersten zu besitzen. Lediglich rund zehn Millionen Dollar soll ein Start der Falcon 1 kosten – das Einstiegsmodell mit knapp 200 Kilo Nutzlast. Andere Anbieter verlangen mindestens das Anderthalbfache. Auch ein Start der Schwer-lastrakete Falcon 9 (neun Triebwerke, knapp zehn Tonnen Nutzlast) wäre mit 46 Millionen Dollar konkurrenzlos günstig.

Doch so manches von dem, was SpaceX verspricht, hat bereits die bisherige Praxis widerlegt. Die Falcon 1 hatte drei Fehlstarts und flog erst im vierten Anlauf erfolgreich. Das drückt nicht nur auf die Erfolgsbilanz der angeblich sichersten Rakete der Welt, auch die Kosten für die Fehlstarts fließen in die bisherigen Preiskalkulationen für SpaceX-Raketenstarts nicht ein. Die Falcon 9 absolvierte ihren ersten Flug Anfang Juni zwar erfolgreich, doch aus dem Recycling der ersten Stufe wurde nichts – sie verglühte beim Wiedereintritt in die Atmosphäre. SpaceX-Chef Elon Musk ließ offen, wie das Problem gelöst werden könnte. Auch die Termine des COTS-Vertrages mit der Nasa kann SpaceX nicht einhalten. Drei Falcon-9-Testflüge mit einer Dragon-Kapsel sollten ursprünglich bis Jahresende stattfinden; beim dritten Flug muss die Kapsel an die ISS ankoppeln. Doch kürzlich verschob SpaceX zwei Flüge auf 2011.

Im Gegensatz zu SpaceX ist Orbital Sciences ein seit fast drei Jahrzehnten etablierter Raketen- und Satellitenbauer. Das Unternehmen arbeitet vor allem für das US-Militär, unter anderem bei Raketenabwehr-Projekten. Für Versorgungsflüge zur ISS entwickelt Orbital Sciences seit 2008 die "Taurus-II"-Rakete und den "Cygnus"-Raumtransporter. Beide Komponenten sind Weiterentwicklungen bereits flugerprobter Hardware – Taurus basiert auf abgerüsteten Interkontinentalraketen, die zylindrische Cygnus-Kapsel ist eine verkleinerte Version eines Frachtcontainers, den die Nasa in der Ladebucht des Space Shuttles einsetzt. Cygnus soll zwei Tonnen Nutzlast zur ISS bringen können. Ein erster Test für Cygnus und Taurus-II ist für Mitte 2011 geplant.

Neben SpaceX und Orbital Sciences buhlen noch zahlreiche weitere Anbieter um Aufträge und Fördergelder der Nasa:

* Die Firma Sierra Nevada erhielt 20 Millionen Dollar von der Nasa, um die Mini-Raumfähre "Dream Chaser" weiterzuentwickeln. Ähnlich wie ein Space Shuttle kann sie zur Erde zurückgleiten und ist vollständig wiederverwendbar, allerdings startet sie – anders als das Space Shuttle – auf einer Raketenspitze, was sicherer sein soll. Ein Zeitpunkt für den Test eines Prototyps steht noch nicht fest.

* Das Unternehmen Blue Origin des Amazon-Gründers Jeff Bezos bekam 3,7 Millionen Dollar, um unter anderem Strukturtests von Raumkapseln aus Verbundwerkstoffen vorzunehmen. Blue Origin entwickelt derzeit eigenfinanziert unter weitgehender Geheimhaltung ein Raumschiff namens "New Shepard". Es soll nicht nur vertikal starten, sondern auch ebenso landen können – es setzt also seine Triebwerke bei der Landung als Bremse ein. Weitere Auskünfte über Zeitplan und technische Details erteilt die Firma nicht.

* Der Luft-, Raumfahrt- und Rüstungskonzern Boeing wurde mit 18 Millionen Dollar gefördert, um das Konzept für eine Sieben-Personen-Raumkapsel zu entwerfen und ausgewählte Komponenten wie Flugleit- und Landesystem zu testen.

Ob private Versorgungsflüge allerdings tatsächlich so effizient und kostengünstig sein werden, wie ihre Entwickler versprechen und die Nasa hofft, ist fraglich. Immer wieder mussten die Privaten in den letzten Jahren ihre Zeitpläne nach hinten verschieben, immer wieder kam es bei Tests zu Misserfolgen und Unfällen. Bestes Beispiel: das SpaceShipTwo der Firma Virgin Galactic. Das anglo-amerikanische Unternehmen wollte mit dem achtsitzigen Raketenflugzeug bereits letztes Jahr suborbitale Abenteuerflüge für Touristen anbieten – Raumfahrt light mit einigen Minuten Schwerelosigkeit in etwa 100 Kilometern Höhe. Doch technische Probleme und Unfälle verzögern den Start des SpaceShipTwo immer wieder. So kam es im Juli 2007 während eines Treibstofftests zu einer Explosion, drei Arbeiter starben.

An den großen Risiken und der ungeheuren Komplexität von Raumfahrt können offenbar auch die Privaten wenig ändern – schließlich müssen auch sie sich an die strengen Sicherheitsanforderungen der Nasa und der US-Luftfahrtbehörde FAA halten. Deshalb erwartet kaum ein Experte, dass die Transportkosten ins All durch Neuentwicklungen von Privatfirmen spürbar sinken. "Gerade menschlicher Transport ins All wird niemals billiger werden", sagt Jesco von Puttkamer. "Das ist das erste Grundgesetz der Raumfahrt, da darf man sich nichts vormachen lassen." Wenn etwa SpaceX auf seiner Webseite verkündet, dass man die Transportkosten ins All auf lange Sicht um den Faktor zehn senken wolle, kann von Puttkamer nur den Kopf schütteln: "Mit zunehmendem Sicherheitsbewusstsein für die Besatzungen werden die Kosten sogar noch steigen."

Angesichts der finanziellen und technischen Hürden, vor denen private Unternehmen bei der Entwicklung ihrer Raumfahrt-Infrastruktur stehen, will sich die Nasa nicht völlig aus dem Transportgeschäft zurückziehen. Von den sechs Extra-Milliarden im Budget sind 3,1 Milliarden für die Entwicklung einer eigenen Schwerlastrakete vorgesehen. Sie soll 120 bis 150 Tonnen in die Umlaufbahn bringen können, aber auch Astronauten und Ausrüstung zu Asteroiden oder zum Mars – und dabei deutlich einfacher konstruiert sein als die geplante Ares V. Das 115-Meter-Monstrum hätte beispielsweise neben seinen sechs Flüssigtreibstoff-Haupttriebwerken in der Startstufe der Rakete noch sechs seitlich montierte Hilfsraketen mit Festtreibstoff gehabt. Mit einem "Maserati" verglich die Nasa-Managerin Cris Guidi die Ares V kürzlich, als sie über die Entwicklungskosten der Superrakete sprach. "Unser neues Ziel heißt Bezahlbarkeit", so Guidi. "Vielleicht tut es ja auch ein Toyota."

Eine endgültige Entscheidung über den Bau eines solchen Vehikels soll 2015 fallen. Bis dahin will die Nasa erst einmal ein neues Standardtriebwerk für Schwerlastraketen entwickeln. Ingenieure favorisieren derzeit einen Raketenmotor, der mit Flüssigsauerstoff und Kerosin arbeitet und an das russische Triebwerk RD-170 angelehnt ist, das schubstärkste der Welt. Außerdem sollen Wissenschaftler und Ingenieure neue chemische Treibstoffe und neue Antriebssysteme, etwa nukleare, elektrische oder magnetoplasmatische, erforschen.

Das Thema Wiederverwendbarkeit steht – zumindest bei der Nasa – hingegen nicht mehr oben auf der Forschungsagenda. Das Space Shuttle ist, wie viele Raumfahrtexperten meinen, die komplexeste Maschine, die Menschen je gebaut haben – und hat sich genau deshalb als unwirtschaftlich erwiesen. Die Raumfähren flogen nicht wöchentlich, wie geplant, sondern im Schnitt nur vierteljährlich, und ein Einsatz kostete nicht zehn Millionen, sondern eine halbe Milliarde Dollar. "Technisch durchaus erfolgreich, aber finanziell gescheitert", nennt Jesco von Puttkamer das Space Shuttle.

Große Schwachstelle des Space Shuttle ist das Hitzeschild mit seinen 25000 individuell geformten Keramikkacheln und Paneelen aus Kohlefaser-Verbundwerkstoff. Nach jedem Flug steht eine akribische Untersuchung des Schutzschildes an, meistens müssen eine Vielzahl der hochempfindlichen Kacheln ausgetauscht und die Kohlefaser-Paneele an den Flügelkanten repariert werden. Ein Schaden an einer Flügelkante war die Ursache für das Unglück der Columbia im Februar 2003. Schon seit Jahren wird weltweit an weniger komplizierten und billigeren Wiedereintrittstechnologien geforscht. Führend mit dabei ist auch Deutschland. So entwickeln Wissenschaftler- und Ingenieurteams des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Rahmen des Projektes Shefex (Sharp Edge Flight Experiment) mit ebenen Platten aus kohlefaserverstärkter Siliziumcarbid-Verbundkeramik einen sogenannten "facettierten Hitzeschild". Er benötigt keine individuell geformten Platten, was die Kosten deutlich reduziert.

Dennoch werden wiederverwendbare Komponenten in der Raumfahrt nie billig sein, meint Ingenieur Heinz Voggenreiter, einer der Leiter des Shefex-Projektes. "Wiederverwendbarkeit kostet in der Entwicklung sehr viel mehr als Einweg-Technologie, und ihre Kostenvorteile zeigen sich erst mit der Zeit." Schon beim US-Mondlandeprogramm Constellation wurde daher kaum noch auf Wiederverwendbarkeit gesetzt – lediglich die ersten Stufen der Ares-Raketen sollten recycelt werden. Auch bei der Entwicklung der neuen US-Schwerlastrakete soll höchstens die erste Stufe wiederverwendbar gestaltet werden.

Solche Detailfragen werden freilich erst geklärt, wenn eine endgültige politische Entscheidung zu Obamas Raumfahrtinitiative vorliegt. Die könnte sich jedoch, wie bei so vielen Reformen des US-Präsidenten, hinziehen, denn zahlreiche Kongressabgeordnete laufen auch weiterhin Sturm gegen den Stopp des US-Mondlandeprogramms. Dafür stößt Obamas Initiative international auf verbreitete Sympathie, vor allem in Russland und Europa, wo man sich über das Versprechen freut, die Laufzeit der ISS zu verlängern. "Damit haben europäische Wissenschaftler wieder eine Forschungsperspektive", sagt der Esa-Sprecher Franco Bonacina. Auch DLR-Chef Johann Dietrich Wörner sieht Obamas Initiative positiv: "Das ist eine gute Grundlage für eine zukünftige Kooperation."

Auf die ist die europäische Raumfahrt unbedingt angewiesen. Zwar hat sie in so manchen wissenschaftlichen und technologischen Bereichen der Raumfahrt schon Spitzenleistungen vollbracht. Doch zur Finanzierung neuer kühner Visionen hat es in Europa nur selten gereicht: In den letzten anderthalb Jahrzehnten blieben sämtliche Projekte für den Bau neuer Raumtransporter schon im Konzeptstadium stecken.

Dabei mangelt es nicht an Ansätzen: Letztes Jahr beispielsweise erhielt die britische Firma Reaction Engines von der Esa eine Million Euro, um Technologien für ein neuartiges Hybridtriebwerk zu entwickeln. SABRE (Synergic Air Breathing Engine) ist eine Mischung aus Flugzeug- und Raketentriebwerk. Betrieben wird es mit flüssigem Wasserstoff, zur Verbrennung saugt es in der irdischen Atmosphäre Luft an, im Weltraum funktioniert es mit flüssigem Sauerstoff.

Das Triebwerk soll in dem ferngesteuerten, wiederverwendbaren Raumtransporter Skylon eingesetzt werden, ebenfalls ein Projekt von Reaction Engines. Die 82 Meter lange Konstruktion aus Kohlefaser-Verbundwerkstoffen und Aluminium soll wie ein Flugzeug starten und landen. Seine geschätzten Entwicklungskosten betragen allerdings zehn Milliarden Euro. Schon allein deshalb ist ungewiss, ob das futuristische Vehikel, das aussieht wie eine Mischung aus Kampfjet und Rakete, jemals abhebt.

Entgegen der gefühlten Wirklichkeit gibt Europa traditionell nämlich nur wenig Geld für Raumfahrt aus. Der Haushalt der Esa (2010: 3,7 Milliarden Euro) betrug in den letzten Jahren im Schnitt nur rund ein Viertel des Nasa-Budgets. Die Pro-Kopf-Ausgaben für Raumfahrt liegen mit rund zehn Euro in den Esa-Mitgliedsländern weit unter denen der USA. Und neuerdings sogar noch unter denen des notorisch klammen Russlands, dem seine Raumfahrt 2009 immerhin noch knapp dreizehn Euro pro Kopf wert war.

Andere Mächte, die das Potenzial für einen großen technologischen Sprung in der Raumfahrt hätten, gibt es nicht. China ist einstweilen damit beschäftigt zu wiederholen, was Russen und Amerikaner vor drei und vier Jahrzehnten vollbracht haben: Weltraumspaziergänge von Astronauten und Kopplungsmanöver von Raumschiffen. Indien wiederum kämpft erst einmal mit schweren Problemen bei der Entwicklung einer leistungsstarken Satelliten-Trägerrakete.

Gut möglich also, dass die Verwirklichung von Raumfahrt-Visionen eine Domäne der USA bleibt. Barack Obama fasste sie in Florida so zusammen: "Wir wollen nicht einfach mehr nur einen bestimmten Ort im All erreichen. Unser Ziel ist, dass Menschen im Weltraum über lange Zeit arbeiten, lernen und leben können, vielleicht sogar unbegrenzt." (bsc [1])


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