Die Kraft der vier Hirne

Wissenschaftler haben die Gehirne mehrerer Tiere zu einer Art Superhirn vernetzt. Ihre Forschung soll unter anderem Patienten mit neurologischen Schäden zugutekommen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 6 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Anke Brodmerkel

Wissenschaftler haben die Gehirne mehrerer Tiere zu einer Art Superhirn vernetzt. Ihre Forschung soll unter anderem Patienten mit neurologischen Schäden zugutekommen.

Miguel Nicolelis hat ein utopisch klingendes Ziel: Er möchte Patienten, die nach einem Schlaganfall nicht mehr sprechen können, zu neuem Redefluss verhelfen, indem er ihr Gehirn mit dem eines gesunden Menschen koppelt. Auch Querschnittsgelähmte sollen sich auf diese Weise wieder bewegen können.

Doch der brasilianische Forscher ist überzeugt, dass sein Plan keine Utopie bleibt: Seinem Team von der Duke University in North Carolina ist es erstmals gelungen, sowohl Ratten- als auch Affenhirne zu einer Art Superhirn zu kombinieren, wie sie im Fachblatt Scientific Reports berichten. Gemeinsam gelang es den Tieren, Aufgaben zu lösen, zu denen sie alleine nicht fähig gewesen wären.

Brain-Machine-Interface heißen solche Systeme, mit denen Wissenschaftler und Mediziner bereits seit Jahren experimentieren. Auf der Kopfhaut angebrachte Elektroden erfassen die Signale der Gehirnzellen und leiten sie an einen Computer weiter. Dieser wandelt die eingehenden Informationen in Befehle um. Nicolelis ist noch einen Schritt weiter gegangen: Er hat nicht nur Neuronen mit einem Computer verknüpft, sondern auch die Hirnzellen mehrerer Individuen untereinander – und dabei gezeigt, dass diese als ein System zusammenarbeiten können.

In einem Experiment etwa nutzen die Forscher die Gehirne von vier Ratten zur Erstellung eines Wetterberichts. Dazu pflanzten sie in die Köpfe der Tiere Elektroden ein, die sie untereinander verschalteten. Zwei der vier Ratten erhielten anschließend elektrische Signale, die ihrem Gehirn Informationen über den Luftdruck vermittelten.

Die anderen beiden Tiere erhielten Informationen über die Temperatur. Anhand der Aktivität der Gehirnzellen berechnete ein Computer die Regenwahrscheinlichkeit. Dies gelang umso präziser, je besser die Gehirne der vier Ratten zusammenarbeiteten – erkennbar daran, dass sich die Aktivität ihrer Neuronen synchronisierte. Eine einzelne Ratte hingegen konnte keinen brauchbaren Wetterbericht erzeugen. Sie besaß entweder nur Informationen über den Luftdruck- oder über die Temperaturänderungen. Doch den Forschern schwebt noch Größeres vor: Eines Tages wollen sie durch die Kopplung vieler Gehirne den ersten organischen Computer bauen.

Das klingt gruselig, insbesondere, wenn die Methode sich auf Menschen übertragen ließe. Noch ist jedoch völlig unklar, ob das gelingt. "Die Forscher haben die Elektroden ja direkt in die Nervenzellen der Tiere eingeführt und zum Teil auch mit relativ starken Stromstärken gearbeitet", kommentiert Niels Birbaumer vom Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen. "Beides wäre beim Menschen nicht ohne weiteres möglich." Die wenigsten Gesunden wären gewillt, sich in die Gehirnzellen Elektroden einpflanzen zu lassen, bei denen zu wenig über die Nebenwirkungen der Stromstärken bekannt sei.

Auf Affen hat Nicolelis seine Idee jedoch schon ansatzweise übertragen. Er schaltete ihre Gehirne zwar nicht direkt zusammen, wohl aber ließ er sie gemeinsam einen Roboterarm per Gedankenkraft steuern. Bei dem Experiment saßen drei Makaken in drei separaten Räumen vor einem Computerbildschirm. Zusammen sollten sie einen virtuellen Arm zu einem Ziel befördern.

Die Crux dieser Aufgabe: Jedes Tier konnte den Arm nur in zwei von drei Dimensionen bewegen. Um erfolgreich zu sein, mussten die Tiere also die Aktivität ihrer Gehirnzellen synchronisieren. Mit zunehmendem Training sei dies immer besser gelungen, berichten die Forscher. Die Erkenntnisse sollen nach Nicolelis Vorstellung in nicht allzu ferner Zukunft Patienten zugutekommen, die ihre Sprach- oder Bewegungsfähigkeit verloren haben.

"Mit einem Brain-Machine-Interface für mehrere Gehirne könnten wir völlig neue Übungen für schwer gelähmte Patienten entwickeln", sagte der Neurowissenschaftler kürzlich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. "Rehatherapeuten könnten Patienten trainieren, indem sie ihre Gehirnwellen miteinander verbinden. Anstatt Muskeln und Knochen zu trainieren, könnten wir direkt das Gehirn trainieren."

Ähnliches schwebt Nicolelis für Patienten vor, deren Sprachzentrum ein Schlaganfall zerstört hat. "Stellen Sie sich vor, ein Mensch kann nicht sprechen, hat aber zwei Physiotherapeuten, die sprechen und eine Hirnaktivität erzeugen können, wie sie gewöhnlich zur Stimmgebung gehört", erklärte er in einem Interview mit dem Online-Medium Bioscience Technology. Dafür stellt sich Nicolelis' Team natürlich nicht-invasive Methoden vor.

"Wir könnten nun die Hirnaktivität der Therapeuten in das Gehirn des Patienten übertragen, sodass dieses trainiert wird, das Sprechen wieder zu erlernen." Ob das in der Praxis funktioniert, ist nach Einschätzung Birbaumers aber offen. "Jeder lernt auf individuelle Weise zu sprechen", wendet er ein. Daher sei Sprache in unterschiedlichen Mustern im Gehirn gespeichert. "Folglich ist es möglich, dass das Gehirn des Patienten mit dem Sprachmuster eines Therapeuten nichts anfangen kann." (bsc)