Die Neuverdrahtung der Elektronik

Forscher beim IT-Konzern Hewlett-Packard haben einen neuen elektronischen Baustein gebaut, der die Speicher- und Prozessortechnologie verändern könnte.

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Von
  • Kevin Bullis

Forscher in den Labors des IT-Konzerns Hewlett-Packard (HP) ist es erstmals gelungen, einen neuen Baustein zum Aufbau von Schaltungen fertigzustellen, der die Elektronik umkrempeln könnte. Der so genannte Memristor soll sich sowohl für neue Speicherbausteine als auch revolutionäre Prozessoren eignen.

Die Technologie basiert auf einer fast 40 Jahre alten Grundidee. Elektroniker bauen ihre Schaltkreise aus drei passiven elektronischen Komponenten auf: Widerstände, Spulen und Kondensatoren. 1971 sagte ein Forscher namens Leon Chua das Auftauchen eines vierten Bausteins voraus: das des so genannten Memristors, der neue nützliche elektronische Eigenschaften zuliefern könnte. Den HP-Forschern ist es nun erstmals gelungen, eine funktionierende Version zu bauen – und sie zeigen damit, dass Chua Recht hatte.

Memristoren können als einfache Schalter mit den Zuständen An und Aus genutzt werden, ähnlich wie man dies von den Transistoren in heutigen Computerchips kennt. Im Gegensatz zu diesen, die so entwickelt wurden, dass sie schnell zwischen zwei unterschiedlichen Stadien wechseln können, lassen sich Memristoren auf eine wesentlich größere Anzahl unterschiedlicher Werte bringen – die ihres Widerstandes. Einmal eingestellt, "erinnern" sie sich an diese Vorgabe. Die Fähigkeit macht sie unter anderem für schnellere, dichtere Arten nichtflüchtigen Speichers interessant. Die Widerstandsvariabilität erinnert zudem an die Synapsen zwischen den Nervenzellen im Gehirn.

Der Baustein sei eigentlich sehr einfach, sagt R. Stanley Williams, der die Memristor-Entwicklung bei HP leitet. Der Baustein besteht aus zwei dünnen Titandioxidschichten. Diese Schichten befinden sich wiederum zwischen zwei Metallkontakten. Eine der Titandioxid- Schichten besitzt ein normales Verhältnis zwischen den Titan- und Sauerstoffatomen, die andere Schicht enthält weniger Sauerstoffatome als üblich. Die fehlenden Sauerstoffatome schaffen Fehlstellen im Material und sorgen so für veränderte elektronische Eigenschaften. Üblicherweise ist Titandioxid ein Isolator und blockiert den Fluss der Elektronen. Das Titandioxid, dem Sauerstoff fehlt, leitet hingegen problemlos.

Der Memristor startet stets in der Aus-Position – die Schicht des isolierenden Titandioxids blockiert den Strom. Legt man nun eine positive Spannung an einen der Metallkontakte, bewegen sich die Sauerstoffatome von einer Titandioxidschicht zur anderen. Im Ergebnis kommt es zu Sauerstofflücken in beiden Schichten. "Wenn das passiert, fällt der Widerstand des Materials ganz dramatisch", sagt Williams. Der Strom fließe dann durch die Komponente. "Wir haben sogar einzelne Modelle gebaut, bei denen sich der Widerstand um sechs Zehnerpotenzen verändern ließ."

Ausgeschaltet wird der Memristor, indem eine gegenläufige Spannung angelegt wird – sie sorgt dafür, dass der Sauerstoff zurück in die erste Schicht wandert. Die Widerstandsgröße hängt jeweils davon ab, wie lange die Spannung angelegt war.

Diese neuartigen elektronischen Eigenschaften führten bei den HP-Forschern zur Verfolgung zweier möglicher Anwendungsideen. Die eine ist die Nutzung in nichtflüchtigen Speichern ähnlich wie bei der Flash-Technik, die man heute aus Digitalkameras und Handys kennt. Die Geschwindigkeit eines einzelnen Memristors legt nahe, dass ein solcher Speicher selbst schneller als Phasenwechsel-Speicher geraten dürfte, eine der Technologien, die von Intel und anderen Herstellern als baldiger Flash-Ersatz entwickelt wird. Praktisch ist auch, dass man die einfachen Memristor-Bausteine sehr dicht nebeneinander integrieren kann, sodass auf gleicher Fläche potenziell mehr Speicherplatz verfügbar wäre als bei Flash. Da HP selbst keine Speicherchips herstellt, wird die Firma die Technologie vermutlich an andere Unternehmen lizenzieren.

HP-Forscher arbeiten auch an Memristor-basierten Prozessoren, die die Arbeit der neuronalen Netze im Gehirn als Vorbild haben. In der Lernphase des Menschen ändern sich die Verbindungen zwischen den Nervenzellen und dem Gehirn ständig. Ein Teil der Verbindungen wird stärker, ein anderer schwächer. Die Stärke dieser Verbindungen kann eine Anzahl verschiedener Werte annehmen. Es ist möglich, diese Bandbreite zu simulieren, indem man Schaltungen aus vielen Transistoren baut. Die notwendige Anzahl macht das aber sehr teuer. Williams glaubt nun, dass ein einziger Memristor einen solchen Job übernehmen könnte, weil er sich auf eine Reihe unterschiedlicher Widerstandswerte einstellen lässt. Die Größe elektronischer neuronaler Netze würde dies um das 10.000-Fache verkleinern, sagt er.

Williams stellt sich ein System vor, das Transistoren nutzt, um die Rolle der Nervenzellen zu übernehmen. Die Memristoren sorgen dann für die Verbindung zwischen ihnen. Solch ein Kombi-System wäre kleiner und wesentlich stromsparender als eines aus Transistoren allein. Es wäre ähnlich anpassbar wie das menschliche Gehirn. Damit ließen sich Aufgaben wie die Sprach- und Bilderkennung erledigen, die für Computer normalerweise äußerst schwer sind, während Mensch und Tier keine Probleme damit haben. Die HP-Forscher wollen Prototypen solcher Chips bereits im nächsten Jahr zeigen. (bsc)