Die Plastikfresser kommen

Forscher haben Bakterien entdeckt, die Kunststoff abbauen. Sie könnten langfristig helfen, das globale Müllproblem in den Meeren anzugehen.

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Von
  • Susanne Donner

Plastik verrottet über viele Hundert Jahre nicht. Dieser ursprüngliche Vorzug ist mittlerweile zum Problem geworden, denn jedes Jahr erzeugen Fabriken etwa 300 Millionen Tonnen Kunststoff. Sieht man von Ländern wie Deutschland mit gewachsener Entsorgungsinfrastruktur ab, landet das Material am Ende oft in der Umwelt. Zu winzigen Teilchen zerbröselt, verschmutzt es die Meere, kontaminiert Böden und Flüsse, verstopft die Mägen von Vögeln und Fischen.

Doch die Allgegenwart des Plastiks hat offenbar noch eine andere Wirkung: Japanische Forscher entdeckten in einer Recyclingstation für PET-Flaschen eine Mikrobe, die den Kunststoff allmählich zersetzt. Sie hatten danach in 250 Proben aus Schlamm und Schlick, Boden und Abwasser von Recyclingstationen gesucht. Wie bemerkenswert die Entdeckung ist, wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass eine PET-Flasche gewöhnlich 450 Jahre in der Umwelt überdauert.

Der Stoffwechsel des Bakteriums namens Ideonella sakaiensis 201-F6 beinhaltet denn auch bislang völlig unbekannte Abbauvorgänge. Sie beruhen auf zwei bis dato ebenfalls un-bekannten Enzymen. Zunächst heftet sich das Bakterium an das Plastik und sondert das Enzym PETase ab. Es trennt die langen Kettenmoleküle des PETs in ihre einzelnen Glieder auf, zu Monohydroxyethyltherephtalsäure. Diese Säure zersetzen die Bakterien mit einem weiteren Enzym zu Ethylenglycol und Terephtalsäure. Diese Ausgangsstoffe der PET- Produktion können die Mikroben schließlich verdauen. Übrig bleiben nur Wasser und Kohlenstoff.

Seit der Entdeckung der Plastik fressenden Mikrobe denken Forscher über Klärstufen nach, die das Abwasser systematisch vom PET-haltigen Mikroplastik befreien. Ließen sich die Bakterien davon abhalten, Ethylenglycol und Terephtalsäure weiter zu zersetzen, ließen sich mit diesem Verfahren sogar die Rohstoffe für neues PET gewinnen.

"Das Problem ist nur, dass das Bakterium unwahrscheinlich langsam wächst", sagt Uwe Bornscheuer von der Uni Greifswald, der die Arbeit der Japaner im Fachmagazin "Science" kommentiert hat. "Für einen tesafilmgroßen Streifen brauchten sie sechs Wochen. Dieser Mikroorganismus wächst auch auf anderen Substraten nicht schneller, was zeigt, dass sein Potenzial begrenzt ist." Dennoch findet Bornscheuer die Entdeckung bahnbrechend und hält es für wahrscheinlich, dass sich eines Tages eine Recyclingfabrik mit den Bakterien betreiben lässt. Denn die Gene für die PET-Recycling-Enzyme lassen sich auch in andere Bakterien einfügen.

Die Japaner haben bereits ein PET fressendes Kolibakterium vorgestellt, das schneller arbeitet. Bremsend wirkt jedoch die Anheftung der Bakterien an den Kunststoff. "Baumpilze können das sehr effizient, weil sie Fäden wuchern lassen, entlang derer sie Enzyme absondern", sagt Bornscheuer. "So einen Mechanismus brauchen wir, damit der Plastikabbau flotter wird." Angestachelt durch den Fund der Japaner, möchte Bornscheuer nun baumpilzähnliche Anheftungen bei Mikroben suchen.

Die Bakterien aus der Recyclingstation sind nicht die einzigen, die sich an Plastikabfall zu schaffen machen. So können Bakterien aus dem Darm des Mehlwurms Styropor zersetzen. Und der Umweltingenieur Jun Yang von der chinesischen Beihang-Universität stutzte, als er in seinem Küchenabfall Löcher in Polyethylen-Tüten fand. Er machte die Maden der gemeinen Hausmotte als Urheber aus, genauer gesagt zwei Bakterienarten in deren Darm, Enterobacter asburiae und Bacillus subtilis. Doch der Abbau geschieht auch hier so langsam, dass er nur unter millionenfacher Vergrößerung nachzuweisen ist.

Der Chemiker Lars Blank von der RWTH Aachen experimentiert mit dem Bakterium Pseudomonas putida, das dabei hilft, PET in den Biokunststoff PAH umzuwandeln. Er arbeitet auch daran, Polyurethan bakteriell zu recyceln, aus dem unter anderem Kaltschaummatratzen gemacht sind. "Unsere Idee ist es, vorhandene Kunststofffraktionen, die bislang nicht recycelt werden, zu zerkleinern und an Bakterien zu verfüttern", erklärt Blank.

Doch auch seine mikrobiellen Spezialisten arbeiten so langsam, dass sie bisher nicht für die Industrie, sondern nur für die Akademiker interessant sind. Diese versuchen sie mit molekularbiologischen und gentechnischen Methoden zu tunen, damit sie eines Tages in Flüssen, Klärwerken und Recycling-stationen arbeiten können. "Das ist die große und durchaus realistische Hoffnung", sagt Blank.

In großem Stil eingesetzt, könnten die Müllfresser allerdings auch außer Kontrolle geraten und Fensterrahmen oder andere Gebrauchsgegenstände angreifen. "Natürlich will man nicht, dass einem plötzlich das Fenster herausfällt, weil Bakterien den Rahmen vertilgt haben", sagt Bornscheuer. "Wenn die Mikroben nur in geschlossenen Anlagen eingesetzt werden, ist das Risiko gering. Ganz ausschließen kann man es allerdings nicht." (bsc)