Die Popularitätsformel

Welche Form der Online-Reklame lohnt sich für Unternehmen - und welche nicht? Neue Technologien zur Nutzerbeobachtung sollten das bald deutlich genauer verraten.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Kate Greene

Die aktuelle Wirtschaftskrise sorgt für eine Neuausrichtung der Marketingbudgets. Da ist es kein Wunder, dass Firmen nach neuen Möglichkeiten suchen, auch im Internet jeden Werbedollar möglichst effizient einzusetzen. Forscher an den HP Labs in Palo Alto haben nun ein Verfahren entwickelt, mit dem sich erstaunlich genau feststellen lässt, wie populär ein Online-Videoclip oder ein textlicher Inhalt werden könnte, bei dem sich das Schalten von Werbung lohnt. Die Wissenschaftler betrachten dazu die ersten paar Stunden oder Tage, nachdem ein Beitrag ins Netz gestellt wurde.

Wenn Inhalteanbieter vorhersagen könnten, wie viele Nutzer ein Video oder einen Artikel während einer bestimmten Zeitspanne betrachten, könnten sie die populärsten Beiträge mit den teuersten Werbeflächen kombinieren. Außerdem könnten dann die Spitzenangebote besonders weit vorne platziert werden, was die Anzahl der Betrachter (und die Werbeumsätze) noch weiter erhöhen würde.

"Bei dem, was wir hier tun, fällt ganz offensichtlich auch viel für die Erfolgssteigerung von Reklame ab", sagt Bernardo Huberman, Senior Fellow bei HP, der die Studie leitet. "Das wird den Werbetreibenden erlauben, zumindest ein Gefühl dafür zu bekommen, wo sie gerne buchen wollen, wenn sie früh genug Informationen darüber erhalten, was die Leute interessiert."

Huberman und seine Kollegen untersuchten dazu gesammelte Daten von der Video-Website YouTube und dem Nachrichtenaggregator Digg, der es Nutzern erlaubt, mitzubestimmen, welche Geschichten am prominentesten im Angebot platziert werden. Die Forscher setzten verschiedene mathematische Modelle auf diese Datensätze an und bestimmten so eine "Popularitätskurve" für unterschiedliche Beiträge. Diese Kurven erlaubten es den Forschern dann, aus den Daten der ersten Stunden oder Tage die künftige Popularität zu extrapolieren.

Die HP Labs-Forscher gehören nicht zu den einzigen Wissenschaftlern, die versuchen, die Beliebtheit von Internet-Inhalten besser vorherzusagen. Bei Google, Yahoo, Microsoft und IBM werden ebenfalls Forschungsressourcen und Gelder investiert, um hier neue Ansätze zu finden. Vor einigen Jahren zeigte Duncan Watts, der heute als Forscher bei Yahoo arbeitet, dass die tatsächliche Qualität eines Musikstückes nur ein schlechter Indikator für seine künftige Popularität ist. Er demonstrierte außerdem, dass sich ein zukünftiger Hit in Tauschnetzwerken bereits sehr früh anhand seiner Download-Kurve ermitteln lässt.

Im Fall von Digg sagte Huberman, dass bereits in den ersten paar Stunden klar werde, ob eine Geschichte populär wird oder nicht (was wiederum anhand der "Diggs" ablesbar ist, also Stimmen von Nutzern, die ein Beitrag erhält). Wird noch die Zeit der Einstellung einberechnet - eine Geschichte zu Mittag erhält im Durchschnitt zwei Mal so viele frühe "Diggs" wie eine, die an Mitternacht online geht -, ließ sich feststellen, dass relativ wenige positive Stimmen am Anfang ein starker Indikator dafür sind, dass es eine Story nicht zu den Topthemen des Tages schafft. Erhält eine Nachricht jedoch Hunderte "Diggs" in den ersten Stunden, ist die Popularität deutlich wahrscheinlicher.

Bei YouTube läuft es nach einem ähnlichen Muster, wenn auch über eine längere Zeitachse. Durch die Untersuchung der Abrufe, die ein Video am ersten Tag erhielt, konnten die HP-Forscher die Wahrscheinlichkeit der Popularität über einen längeren Zeitraum ermitteln. Beispielsweise bedeuten nur 15 Abrufe am ersten Tag, dass ein Film nicht das Zeug zum Hit hat. Sind es hingegen 100 in den ersten 24 Stunden, existiert eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Clip Zehntausende Fans oder mehr findet.

Sowohl bei YouTube als auch bei Digg werden die Vorhersagen genauer, desto mehr Daten über einen längeren Zeitraum zur Verfügung stehen. Beispielsweise ist es innerhalb von sieben Stunden möglich, die Popularität einer Geschichte auf Digg nahezu perfekt vorherzusagen. Ähnliches gilt für Videos auf YouTube nach 20 Tagen.

Huberman sagt allerdings, dass bei anderen Angeboten wie etwa einem Online-Shop eigene Wege ermittelt werden müssten, um die Popularität genau zu bestimmen. Jede Website habe ihren eigenen Charakter. Werbetreibende könnten mit solchen Vorhersagen dann beispielsweise bestimmen, welches ihrer Produkte das Zeug zum "viralen Hit" hat und dann speziell dafür Reklame schalten.

"Ich halte Popularitätsvorhersagen für ein grundsätzlich spannendes Thema", meint Claudia Perlich, Forscherin am IBM Watson Research Center. Insbesondere im Bereich der Werbung sei das wertvoll. Allerdings handele es sich dabei nur um einen wichtigen Teil des "Reklamepuzzles". Popularität alleine reiche nicht mehr, da Werbetreibende zunehmend stärker daran interessiert seien, welche Nutzer Inhalte und damit auch ihre Anzeigen betrachteten. "Es ist außerdem nützlich, den Pfad zu kennen, den ein Surfer genommen hat bevor er auf der Seite ankam." Dann könne man ihm die Reklame auf den Leib schneidern.

Perlich gibt außerdem zu bedenken, dass die HP Labs-Studie sich auf zwei Systeme konzentriere. "Ich habe die leise Befürchtung, dass die Resultate auch von der darunter liegenden Technologie beeinflusst sind." So sei es möglich, dass die Forscher einfach den proprietären Prozess gemessen hätten, wie Geschichten bei Digg nach vorne kommen oder wie Videos bei YouTube beworben werden. "Das Problem dabei ist, dass man nie genau weiß, wie diese Eigenentwicklungen der Anbieter wirklich funktionieren."

Huberman ist von seiner Methodologie trotzdem überzeugt - er ist sicher, dass seine Technik unabhängig von spezifischen Algorithmen der einzelnen Angebote funktioniert. Er ist derzeit dabei, die Popularität einzelner Nutzer in einem anderen bekannte Web 2.0-Dienst zu messen: Bei der Kurznachrichten-Kommunikationsplattform Twitter. Ein besseres Verständnis, wie solche Angebote funktionierten, könnte diesen auch helfen, neue Geschäftsmodelle zu finden. "Das wertvollste, was es heute gibt, ist die Aufmerksamkeit der Nutzer. Enorme Geldsummen fließen in den Prozess, uns auf Produkte aufmerksam zu machen." (bsc)