Die Scrum-Community trifft sich in Deutschland

Dass Scrum nicht unbedingt nur mit Software zu tun haben muss und welche Herausforderungen mit dem Vorgehensmodell in großen Organisationen lauern, zeigte das Scrum Gathering in München.

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Die Scrum-Community trifft sich in Deutschland
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Markus Gärtner
Inhaltsverzeichnis

Vom 17. bis 19. Oktober fand in München das Global Scrum Gathering der Scrum Alliance statt. Insgesamt 350 Teilnehmer aus diversen Ländern von den Vereinigten Staaten bis Australien hatten sich eingefunden, um sich über die aktuellen Themen rund um Scrum auszutauschen.

Der erste Keynote-Sprecher der Konferenz war Eric Bowman von Zalando, der über die Erfahrungen mit der Skalierung von Scrum beim Online-Versandhändler und seine Erkenntnisse aus den letzten zwei Jahren berichtete. Wie in vielen großen Unternehmen hatte Zalando mit Scrum begonnen, indem die Verantwortlichen den Teams Stickies gegeben und ihnen gesagt hatten: "Seid jetzt agil!" Das führte lediglich zu ziemlich viel Chaos, keinen Auslieferungen, irrelevanten Features und Frustration bei allen Beteiligten. Raus aus diesem Chaos kam Zalando erst, als es die kulturellen Änderungen begleitete. Unternehmensweit hat Zalando eine Fehlerkultur etabliert, in der alle aus Fehlern lernen können. Das Unternehmen hat darüber hinaus gute Erfahrungen damit gemacht, Open-Source-Prinzipien auch bei der internen Entwicklung zu etablieren, sodass heute mehrere Teams mit einem geteilten Backlog arbeiten können.

In der zweiten Keynote erzählte Christopher Avery vom Responsibility Process und seinem gleichnamigen Buch, das alle Teilnehmer in der Konferenztasche fanden. Die größten Herausforderungen in Unternehmen liegen in Konflikten zwischen Rollen, nicht auf persönlicher Ebene. Für eine gute Zusammenarbeit ist die Entwicklung einer geteilten Verantwortung zwischen den Rollen wichtig. Dabei verarbeiten die Mitarbeiter Konflikte und Probleme in mehreren Stufen, bis sie in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen. Zu Letzterem kommen die Einzelnen nach Avery durch drei Schlüsseleigenschaften: Zweck, Bewusstsein und der Begegnung der eigenen Frustrationen. Abschließend beschrieb Avery, dass der Prozess nur wirke, wenn jeder ihn auf sich selbst anwende. Folgender Satz bleibt eine Schuldzuweisung: "Ich weiß, was bei Dir schief läuft. Du bist immer noch darin gefangen, die äußeren Umstände verantwortlich zu machen."

"Auf dem Schreibtisch junger Programmierer finden sich viele Bücher zu verschiedenen Programmiersprachen. Auf dem Schreibtisch erfahrener Programmierer sammeln sich Bücher dazu, wie man mit Menschen zusammenarbeitet." Diese zwei Sätze fassen die Gestaltung der restlichen Konferenz aus Sicht eines Entwicklers ganz gut zusammen. Das Programm wartete mit einer Mischung aus unterschiedlichen Themenbereichen auf. Auffällig war, dass sich wenige Vorträge rein an Entwickler richteten. Zwar gab es eine Session zu Coding Dojos, die aber vor allem auf die Vorteile für Product Owner hinwies. Außerdem erzählte Ken Power etwas dazu, wie man Entscheidungen als Architekt treffen kann.

Daneben gab es am zweiten Konferenztag einen konferenzweiten Open Space. Bei dem anfangs agendalosen Format stellen die Teilnehmer selbst das weitere Programm des Tages zusammen. Hier gab es bezogen auf Entwickler eine Session zu Mob- Programming mit dessen Vor- und Nachteilen und einigen nützlichen Tipps. Bei dem Format trifft sich das ganze Team in einem Raum und arbeitet gemeinsam an einer Funktionsweise. Ein oder zwei Programmierer sitzen an der Tastatur eines Rechners, der für alle sichtbar den Bildschirm in den Raum projiziert. Die anderen helfen den Treibern, indem sie zusätzliche Erkenntnisse beisteuern oder sich wiederholende Tätigkeiten automatisieren.

Daneben gab es viele Vorträge zu besseren Produkten, darunter eine Session zu Impact Mapping von Gojko Adzic und Christian Hassa, ein Discovery Dojo von Steve Holyer und einen Vortrag darüber, wie Entwickler ihr Product Backlog besser priorisieren von Jason Tanner. Niels Verdonk bot einen Workshop zur Verbesserung der Teamarbeit durch die Vermeidung vorschneller Urteile an. Zur Teamarbeit erzählte Brian Rivera zusammen mit Chris Alexander, wie Netzwerke von hochperformanten Teams entstehen und welche Rolle Known, Stable Interfaces (KSI) bei zwischenmenschlichen Interaktionen spielen. Marc Löffler stellte systemische Causal-Loop-Diagramme vor, um Scrum Mastern bei der Optimierung ihrer Arbeit zu helfen. Das Programm bot somit eine ausgewogene Mischung für alle Rollen im Scrum-Umfeld: für Product Owner, für Teammitglieder und für Scrum Master.

Zwei weitere Themen beschäftigt derzeit die Community: Scrum mit mehr als einem Team und Scrum in der Produktentwicklung außerhalb von Software. Zu ersterem gab es einige Vorträge mit unterschiedlichem Fokus. Angefangen bei den Vorteilen von Featureteams und der Ursachenforschung bezüglich Netzwerkeffekten bei Verspätungen in Komponententeams bis zu den systemischen Zusammenhängen bei Nokia Siemens Networks bei der Scrum-Einführung mit mehreren Teams vor einigen Jahren. Im Rahmen des Open Space gab es zudem einen Austausch zu Scrum in der Hardwareentwicklung und den speziellen Herausforderungen, wenn es darum geht, physische Produkte wie einen Motor oder ein Auto unter Anwendung von Scrum zu bauen.

Ausgelassene Stimmung bei den Teilnehmern des Scrum Gathering.

Das German Chapter der Scrum Alliance ist eine Repräsentation der Scrum Alliance in der deutschsprachigen Region (Deutschland, Österreich und der Schweiz). Einen Tag nach dem Global Scrum Gathering trafen sich Freiwillige, die Arbeitsgruppen bildeten, um Themen aus dem deutschsprachigen Markt voranzutreiben. Neben einem Remote-Coaching-Angebot haben sich unterschiedliche Gruppen zu Themen wie Scrum in Hardware dort gefunden, die sie in den kommenden Monaten greifbar für den deutschsprachigen Markt machen wollen.

Das Scrum Gathering in München war gut besucht: Neben den Offiziellen der Scrum Alliance waren viele Scrum-Anwender vor Ort. Das nächste Global Scrum Gathering der Scrum Alliance wird im April 2017 in San Diego stattfinden, bevor es im Herbst wieder auf europäischen Boden nach Dublin gehen wird. Im Rahmen des German Chapter ist außerdem ein lokales, deutschsprachiges Scrum Gathering im nächsten Jahr im Gespräch. Nähere Informationen können über die Webseite der Scrum Alliance in Erfahrung gebracht werden.

Markus Gärtner
arbeitet als Organizational Design Consultant, Certified Scrum Trainer (CST) und Agile Coach für die it-agile GmbH in Hamburg. Er schrieb unter anderem "ATDD by Example - A Practical Guide to Acceptance Test-Driven Development" und erhielt 2013 den Most Influential Agile Testing Professional Person Award.

(rme)