zurück zum Artikel

Solarenergie: Die Sonne kehrt zurück

Denis Dilba, James Temple
Die Sonne kehrt zurück

Solarzellen-Produktion bei Oxford PV.

(Bild: Oxford PV)

Das Unternehmen Oxford PV bereitet in Brandenburg den Einstieg in die Massenproduktion von Perowskit-Solarzellen vor. Halten die Briten ihre Versprechen, könnten langfristig selbst die Photovoltaik-Giganten aus China ins Wanken geraten.

Knapp 160 Meter lang und 80 Meter breit ist die Industriehalle in Brandenburg an der Havel, 60 Kilometer ­westlich von Berlin. Hier will das britische Unternehmen Oxford PV die nächste Solar-Revolution starten. Noch ist unter dem gewaltigen Flachdach neben Hochregallagern, einem kleinem Labor und einer rund 20 Meter langen Pilotanlage allerdings sehr viel Platz. Frank Averdung, Chef von Oxford PV, bittet ­daher um etwas Fantasie, als er bei einem Rundgang auf die rechte Hallenhälfte deutet: „In diesem Teil bauen wir die erste Ausbaustufe unserer neuen Produktionslinie auf.“

In den kommenden Monaten soll der Schweizer Anlagenhersteller Meyer Burger, größter Einzelinvestor von Oxford PV, das erste Equipment liefern. Bereits in diesem Jahr soll die Produktion ­beginnen – zunächst mit einer jährlichen Kapazität von 100 Megawatt, später mit 250 Megawatt.

Im Vergleich zu den zweistelligen Gigawatt-Produktionen aus China ist das unbedeutend. Dennoch hat die Fertigung Umsturzpotenzial. Sie wäre die weltweit erste für eine ganz neue Zellengeneration mit konkurrenzloser Effizienz: Perowskit-­Silizium-Tandemzellen. Wenn es nach Oxford PV geht, sollen sie klassische Siliziumzellen über kurz oder lang ersetzen.

Das Zeug dazu hätten sie – zumindest auf dem Papier: Die besten Siliziumzellen liegen derzeit bei gut 23 Prozent Wirkungsgrad. In circa fünf Jahren sollen sie laut den Roadmaps der Hersteller ausgereizt sein. „Bei 25, 26 Prozent ist Schluss“, sagt Averdung. Die Perowskit-Zellen versprechen hingegen Wirkungsgrade jenseits der 30 Prozent. Wären alle hierzulande ­verbauten Solarzellen so effizient, könnte man die Solarstrom­produktion mindestens verdoppeln.

Schon zu Beginn der Produktion will Oxford PV mit 27 Prozent einsteigen. Rund 17 Prozentpunkte davon liefert dabei die obere Schicht aus Perowskit. Diese Klasse metallorganischer Verbindungen hat eine Kristallstruktur, die besonders gut Sonnenlicht in Strom umwandelt – und lässt sich relativ einfach als zusätzliche Schicht auf eine konventionelle Siliziumzelle auftragen.

Dadurch bekommt die untere Schicht zwar nur noch die Hälfte des Sonnenlichts ab, aber in Summe reicht das laut Averdung für „28 Prozent minus ein Prozentpunkt Verluste“ – und das bereits bei der ersten Fertigungslinie. „Mit zunehmender Verbesserung der Prozesse, weniger Fehlstellen in den Perowskitschichten, effizienterer optischer Einkopplung des Lichts und optimierten Materialien gehen wir davon aus, die Effizienz um rund einen Prozentpunkt pro Jahr steigern zu können.“ Die machbare Grenze vermutet Oxford PV bei rund 35 Prozent.

„Schon 28 Prozent sind ein beeindruckend ­hoher Wert“, sagt Jan Christoph Goldschmidt, Leiter der Gruppe „Neuartige Solarzellenkonzepte“ am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, der ebenfalls an dem neuen Zelltyp arbeitet. Er hält das Rennen allerdings noch für offen. Für ihn entscheiden vor allem zwei Fragen darüber, ob beziehungsweise wie schnell die neuen Zellen marktfähig werden.

Punkt eins: die Langzeitstabilität. Die ersten Perowskitzellen, die der Japaner Tsutomu Miyasaka 2009 erstmals zeigte, hielten gerade einmal ein paar Stunden. Luftfeuchtigkeit setzte den wasserlöslichen Mate­rialien stark zu. Zudem veränderte sich in einigen Perowskiten die Kristallstruktur bei Erwärmung. Der Effekt ist zwar teil­weise umkehrbar, ließ aber die Effizienz der ersten Zellen unter starker Sonneneinstrahlung – die ja gewünscht ist – stark sinken. Noch nicht richtig untersucht ist laut Goldschmidt auch, wie sich der Reverse-Bias-Effekt auswirkt. Dieser beschreibt, welche Ströme durch einzelne Zellen fließen, wenn es zu Abschattungen kommt. Dabei treten veränderte Spannungen auf, die Zellen werden im ungünstigsten Fall heiß und büßen an ­Lebensdauer ein.

Diese Probleme traten vor allem bei den allerersten Zellen auf. Oxford-PV-Mitgründer Henry Snaith kam allerdings bereits 2013 auf rund 15 Prozent Effizienz und mehrere Hundert Stunden Lebensdauer. Damit begann der Perowskit-Boom vollends. Die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu dem Thema sprang innerhalb von zwei Jahren von rund 50 auf 1200. „Viel Schutz bietet schon eine Verkapselung der Zellen, etwa mit Glas“, sagt Goldschmidt, und auch die Materialien seien besser geworden. Laut Averdung hat ­Oxford PV die Stabilitätsfrage gelöst. Die für Siliziumzellen obligatorische Feuchte-Wärme-Prüfung etwa, bei der sie 1000 Stunden in einer Klimakammer bei 85 Grad und 85 Prozent Luftfeuchtigkeit überstehen müssen, hätten ihre in Glas eingefassten Tandemzellen klaglos überstanden. „Den Test lassen wir einfach weiterlaufen“, sagt Averdung und zeigt auf ­einen großen Metallkasten mit Temperaturanzeige.

Punkt zwei ist der Bleigehalt aktuell verwendeter Perowskitmaterialien. Wobei die absolute Menge des giftigen Schwermetalls gar nicht das Problem sei, sagt die Photovoltaik-Expertin Olga Papathanasiou von der Hochschule Heilbronn: In den gelöteten Verbindungen älterer Siliziummodule stecke deutlich mehr Blei. „Das Problem bei Perowskiten ist, dass hier das Blei in einer wasserlöslichen Form enthalten ist.“ Bricht die Glaskap­se­lung, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es ausgewaschen wird. Umweltverbände fordern schon seit Längerem ein Verbot von Blei in Solarmodulen. Bleihaltige Perowskite dürften dann ein Problem mit der Zulassung bekommen. „An einer Lösung arbeiteten Henry und seine Kollegen gerade an der Univer­sität Oxford“, sagt Averdung. „Zinn könnte Blei künftig ersetzen.“

Noch sei bei Zellen mit Zinn aber weder die Effizienz noch die Stabilität annähernd zufriedenstellend, mahnt Papathanasiou. Auf diese Umstellung will Oxford PV daher auch nicht warten. „Wir starten mit minimal bleihaltigen Perowskiten und ersetzen sie dann Schritt für Schritt“, sagt Averdung. Snaiths Labor mit rund 30 Forschern fungiere dabei als Vorentwicklung für Oxford PV: „Alles, was dort entdeckt und entwickelt wird, kann Oxford PV exklusiv lizenzieren.“ Am Hauptsitz des Unternehmens, nur wenige Kilometer nördlich von Snaiths ­Labor, arbeiteten noch einmal 50 Kollegen an akuten Forschungsfragen, etwa welche Materialien Stabilität und Effizienz verbessern. Zumindest bei Tandemzellen erwarte Averdung ­daher keine Konkurrenz: „Wir halten rund 250 Patente oder ­Patentanträge auf die Technologie.“

Averdung und sein Team in Brandenburg sind für die Produktentwicklung zuständig. Sie müssen Forschungsergebnisse aus Oxford auf die Pilotlinie in ihrer Halle übertragen – ein nicht zu unterschätzender Schritt. Die Testzellen im Labor seien nur einen Quadratzentimeter groß, die zu produzierenden Zellmodule aber 240 Quadratzentimeter. Bereits diese Skalierung um den Faktor 240 sei eine Herausforderung: „Wenn die Fläche größer wird, treten immer auch Effekte auf, die Effizienzeinbußen bringen“, so Averdung. Das sei auch der Grund dafür, auf Tandem- und nicht auf Dünnschichtzellen zu setzen, bei denen allein die Perowskitschicht Strom erzeugt. Bei Dünnschichtzellen, wie sie etwa das polnische Unternehmen Saule Technologies für 2022 angekündigt hat, beträgt die Fläche rund 7000 Quadratzentimeter – wegen der geringeren Effizienz sind kleinere Flächen wirtschaftlich wenig sinnvoll. Entsprechend schwieriger sei der Übergang vom Labor in die Produktion.

Entschieden ist das Rennen jedoch nicht. Fraunhofer-Forscher Goldschmidt sieht auch für Dünnschichtmodule Chancen – vor allem wegen der rasanten Entwicklung von Perowskitzellen. „Vor zehn Jahren wussten wir nicht einmal, dass es sie gibt. Und jetzt steht die industrielle Produktion kurz bevor. Bei ­Silizium haben wir für eine vergleichbare Leistung 65 Jahre ­gebraucht.“

Papathanasiou, selbst eine ehemalige Dünnschichtforscherin, setzt hingegen auf die Tandemvariante. Sie sei trotz der beeindruckenden Fortschritte zwar noch skeptisch. „Aber wenn, dann kommen die Tandemzellen auf Basis von kristallinem Silizium.“

Anfang 2022 sollen die ersten Tandemzellen aus Brandenburg in den Verkauf gehen. „Sie werden zunächst noch teurer als Sili­ziumzellen sein“, sagt Averdung. „Ihre höhere Effizienz macht sie aber von Beginn an für Anwendungen mit begrenzter Fläche und hohen Leistungsanforderungen konkurrenzfähig, beispielsweise private Hausdächer.“ Steigt die Effizienz mit der Zeit weiter, wird die Stromproduktion immer günstiger. „Wir rechnen damit, dass wir ab 2024 billiger als Siliziumzellen sind“, sagt Averdung. „Die Kosten für die Stromproduktion bekommen Sie ab dann nur noch mit noch höherer Effizienz runter – und das geht absehbar nur mit Perowskiten.“

Wenn die Zellen halten, was sie versprechen, könnten Chi­nas Siliziumzellen-Riesen selbst mit Massenproduktion und Dumpingpreisen kaum noch kontern. Der Grund: Installation, Trägermaterial und Verkabelung kosten längst mehr als die ­bloße Anschaffung der Module. Diese Kosten hängen vor ­allem von der installierten Fläche ab. Und je effizienter die Zellen, desto mehr Strom liefern sie pro Fläche.

Vielleicht entpuppt sich aber auch einer der chinesischen ­Solargiganten als der ominöse große Entwicklungspartner von Oxford PV, dessen Name bis heute streng geheim gehalten wird. So oder so: Die neue Solar-Revolution wäre vollzogen.

(bsc [1])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-4618782

Links in diesem Artikel:
[1] mailto:bsc@heise.de