Die Vermessung der Traumatisierung

Ein Konsortium von US-Forschern will messbare Biomarker finden, mit denen sich die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung schon zweifelsfrei im Frühstadium erkennen und behandeln lässt.

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Von
  • Susan Young

Ein Konsortium von US-Forschern will messbare Biomarker finden, mit denen sich die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung schon zweifelsfrei im Frühstadium erkennen und behandeln lässt.

Einst wurden traumatisierte Soldaten als "Kriegszitterer" oder "Bombenkranke" bezeichnet. Doch spätestens seit dem Vietnam-Krieg ist die Posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTSD, als eine schwere Krankheit ins kollektive Bewusstsein gerückt. Nicht nur Kriegsveteranen, auch Opfer von Gewalttaten, schweren Unfällen und anderen Schickssalsschlägen sind von den damit verbundenen Angstzuständen bis hin zu schweren Depressionen betroffen. Allein in den USA leiden fast acht Millionen Menschen an PTSB. Ein US-Konsortium aus Psychiatern, Neurobiologen und Informatikern will nun systematisch Verfahren aus verschiedenen Disziplinen kombinieren, um die Erkrankung schneller erkennen und behandeln zu können.

Zwar gibt es bereits Therapien. Doch noch immer müssen die Ärzte per trial and error herausfinden, welche Mischung aus Medikamenten und psychologischer Betreuung bei einem Patienten am besten hilft. Das Konsortium will hierzu Zivilisten und Soldaten untersuchen, die erst vor kurzem einen Autounfall hatten und noch keine Anzeichen von PTSD aufweisen. Laut dem amerikanischen National Center for PTSD entwickeln neun Prozent aller Unfallopfer die Störung. Mit Hilfe von genetischen Daten, physiologischen Messungen und Hirnscans wollen die Forscher verstehen, wie sich PTSD im Körper entwickelt und welche frühen Hinweise ihr Kommen verraten.

Denn bislang bleibe die Hälfte aller Behandlungen wirkungslos, sagt Roger Pitman, PTSD-Experte vom Massachusetts General Hospital, das die klinischen Studien leitet. Bei manchen Patienten kehre die Störung nach einiger Zeit gar wieder zurück. „Vielleicht können wir Muster biologischer Abweichungen finden, die uns helfen, im voraus eine möglichst passende Therapie zu entwickeln“, so Pitman.

Heute diagnostizieren Ärzte PTSD ausschließlich über Interviews. Die sind aber nur bedingt aussagekräftig, weil viele Patienten im Gespräch versuchen, die Erinnerungen an das traumatische Ereignis nicht allzu lebendig werden zu lassen. Schätzungsweise die Hälfte aller PTSD-Fälle wird derzeit nicht erkannt.

„Jede Störung fällt anders aus. Wie ein Mensch auf das Trauma reagiert, hängt von anderen Erfahrungen ab, von Mechanismen der Stressbewältigung und von der Unterstützung seines Umfelds, selbst Gene und Hormone haben einen Einfluss darauf“, sagt David Diamond, Neurowissenschaftler am Veteran Affairs Hospital in Tampa, Florida, und Mitglied des Forscher-Konsortiums. „Wir wissen inzwischen, dass das Zusammenspiel all dieser Faktoren bei der Verarbeitung eines Traumas Spuren im Gehirn hinterlässt.“ PTSD-Patienten reagieren beispielsweise auf Stressreize anders als gesunde Menschen. Doch lässt sich der Unterschied noch nicht exakt messen.

„Unser Ziel ist, quantitative Biomarker zu entwickeln – etwa anhand von Blut- oder Urintests -, mit denen wir dann objektiv PTSD diagnostizieren können“, erläutert Len Polizzotto von der gemeinnützigen Forschungsorganisation Draper Laboratory, der dem Konsortium vorsteht. Die Biomarker könnten zudem auch während einer Behandlung dazu dienen, deren Wirksamkeit zu überprüfen.

Langfristig könnte das Forschungsprogramm dazu führen, dass Ärzte schon das Auftreten typischer PTSD-Symptome verhindern, sagt Jennifer Vasterling, Leiterin der psychologischen Abteilung beim Veterans Affairs Boston Healthcare System. Ein Vergleich psychischer, biologischer und sozialer Merkmale zwischen Betroffenen und Gesunden solle „eine Idee vermitteln, wie man präventiv einschreiten kann“.

Neben Studien mit PTSD-Patienten wollen die Forscher auch Tierversuche machen. Von ihnen versprechen sie sich Erkenntnisse, welche molekularen und welche Zellveränderungen mit der Störung verbunden sind. „Wir haben Grund zur Annahme, dass Stress die DNA verändert, was wiederum die Bildung von Proteinen erschwert, die für das Gehirn wichtig sind“, führt David Diamond aus. Er will seine Erfahrungen aus Versuchen mit unter Stress stehenden Ratten in das Konsortium einbringen. Denn Stress in einem frühen Lebensalter kann einen Einfluss darauf haben, ob sich später aus einem Trauma PTSD entwickelt.

Draper Laboratory übernimmt die Zusammenführung der Forschungsdaten, die das Konsortium produziert, und analysiert sie dann. „Dank der Draper Initiative können wir alles, was wir wissen, zusammentun, sowohl hinsichtlich einzelner Patienten als auch großer Gruppen“, sagt Ann Rasmusson, Psychiaterin und Neuroendokrinologin an der Boston School of Medicine. Aus der biologischen Verletzlichkeit in Kombination mit schützenden Faktoren solle dann das Risiko ermittelt werden, PTSD zu entwickeln, sowie die Chance, sie zu überwinden. Es sei Zeit, das Mosaik aus diversen Studien an kleinen Gruppen zu einem großen Bild zusammenzusetzen, so Rasmusson. (nbo)