Die künstliche Bauchspeicheldrüse

Forscher arbeiten an einem Gerät für Diabetiker, das im Körper regelmäßig den Zuckerspiegel misst und dann ganz nach Bedarf Insulin liefert.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 12 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Lauren Gravitz

Menschen, die an Diabetes leiden, können heute mehrere Technologien nutzen, um ihren Blutzuckerspiegel im Griff zu behalten. Als besonders modern gelten beispielsweise Geräte, die den Wert mehrmals am Tag überprüfen und dann über eine Pumpe Insulin in den Körper spritzen. Dennoch ist stets der Patient dafür verantwortlich, zu entscheiden, wann er die Blutwerte nehmen und sich gegebenenfalls eine Dosis setzen soll. Das kann auch daneben gehen: Forscher arbeiten deshalb seit längerem an Technologien, die den "Fehlfaktor Mensch" umgehen. Die neueste Idee ist eine künstliche Bauchspeicheldrüse, die die meisten Entscheidungen ganz ohne Eingriffe des Trägers treffen kann. Sie könnte bereits in wenigen Jahren auf den Markt kommen.

Typ 1-Diabetes entwickelt sich, wenn die Inselzellen im menschlichen Pankreas nicht mehr genügend Insulin produzieren. Der Körper kann den Blutzucker dann nicht mehr selbst regulieren. Wird diese Erkrankung nicht bekämpft, können Glucose-Fluktuationen auf längere Sicht zu Nervenschäden, Erblindung, Schlaganfällen oder Herzinfarkten führen. Doch selbst bei Diabetikern, die ständig auf sich achten, kann es häufiger zu großen Schwankungen beim Blutzuckerspiegel kommen. "Uns liegen Daten vor, die nahe legen, dass ein Computer Diabetes wesentlich besser bewältigen würde als der Mensch allein", sagt Aaron Kowalski. Der Forschungsdirektor der Juvenile Diabetes Research Foundation ist Leiter des so genannten "Artificial Pancreas Project", das eine künstliche Bauchspeicheldrüse schaffen soll.

Diese würde aus drei grundsätzlichen Komponenten bestehen: Einem Sensor, der ständig den Blutzuckerspiegel misst, einem Minicomputer, der diese Werte ausliest und mit Hilfe eines Vorhersagealgorithmus bestimmt, wie viel Insulin notwendig ist, um ihn stabil zu halten, sowie eine Insulinpumpe, die dann die entsprechende Dosis an den Körper abgibt.

Zwei der Komponenten, Insulinpumpe und Blutzuckermonitor für den Dauereinsatz, existieren bereits auf dem kommerziellen US-Markt. "Mit den heute zur Verfügung stehenden Komponenten könnte man kurzfristig bereits ein ziemlich robustes System schaffen", meint Kowalski, dessen Team einen Forschungszusammenschluss anführt, das die Technologie so schnell wie möglich auf den Markt bringen will.

Das Konsortium experimentiert mit verschiedenen Variationen eines geschlossenen Systems. Das nennt sich deshalb so, weil der Minicomputer die Insulinpumpe und den Blutzuckermonitor miteinander verbindet und so den Kreislauf schließt. Roman Hovorka, Diabetes-Experte an der University of Cambridge, gilt als derjenige, der mit dem Ansatz wohl bislang am weitesten gekommen ist. Seine erste Studie mit einem geschlossenen System untersuchte, wie gut es in der Nacht funktionieren kann – in jenen Stunden, in denen der Zuckerspiegel oft stark abfällt und es deshalb häufiger zu Komplikationen kommt. "Ich wollte einen Ansatz, der leicht kommerzialisiert werden kann. Die einfachste Lösung war deshalb, den Behandlungskreislauf über Nacht zu schließen. In dieser Zeit kann der Mensch in Sachen Insulin sowieso nichts tun."

Hovorka nutzte dazu zwei Geräte, die bereits im Handel sind. Das erste ist ein Blutzucker-Dauermonitor, der aus einem subkutanen Sensor besteht, der Glucose-Werte im Gewebe unter der Haut misst. Dieser wiederum gibt diese Daten drahtlos an weiter. Komponente zwei ist eine Pumpe, die nicht größer als ein Pager ist. Sie enthält ein Insulin-Reservoir, das den Wirkstoff durch eine dünne Röhre zu einer subkutanen Nadel weiterleitet. Hovorka und seine Kollegen brauchten dann nur noch einen Minicomputer samt passendem Algorithmus zu ergänzen, der die Pumpe und den Sensor miteinander arbeiten lässt. Der Patient, der ja sowieso schläft, wird so vollkommen aus der Gleichung genommen. Das Gerät misst alle 15 Minuten den akkuraten Blutzuckerwert und entscheidet dann ganz genau, wie viel Insulin gespritzt werden muss.

In einer Studie mit zwölf an Typ-1-Diabetes leidenden Kindern brachte das geschlossene System den Blutzuckerspiegel in 61 Prozent aller Fälle in den Zielbereich. Das ist eine Verbesserung um 23 Prozent im Vergleich zur normalen Routine ohne maschinelle Unterstützung. "Damit vermeiden wir Extremwerte. Die Ausschläge nach oben und nach unten fallen weg", sagt Hovorka, aus dessen Erfindung in Zusammenarbeit mit der Medizingeräteindustrie bald ein kommerzielles Produkt werden soll.

Technologisch bleibt den Forschern vor allem noch eines zu tun: Sie müssen ihre Systeme weiter verfeinern und genauer abstimmen. Dazu gehören Algorithmen, die darauf spezialisiert sind, die Tendenz der Blutzuckerwerte vorherzusagen – samt möglichem Zeitrahmen. Andere Wissenschaftler arbeiten an Sensoren, die die Werte über einen längeren Zeitraum messen können als bisher. Derzeit ist ein Austausch nach spätestens drei bis acht Tagen notwendig. Auch soll die Messtechnik noch feiner werden.

Trotz der Tatsache, dass die wichtigsten Komponenten bereits auf dem Markt sind, fehlt dem Gesamtsystem der künstlichen Bauchspeicheldrüse auch noch die Zulassung. Die Aufsichtsbehörden werden die Funktionsweise der Algorithmen prüfen müssen. Auch müssen Sicherheitsroutinen entwickelt werden, die bei Fehlern Alarm schlagen – etwa wenn die Insulinpumpe verstopft oder der Sensor nicht mehr richtig funktioniert.

"Es muss gar nicht einmal das perfekte System sein, um das Leben mit Diabetes deutlich zu erleichtern", meint William Tamborlane, Leiter der Abteilung für Kinderendokrinologie an der Yale School of Medicine, der in den späten Siebzigerjahren die Insulinpumpe erfand. Als Mann der klinischen Praxis sei er stärker daran interessiert, dass die Technik sich schrittweise verbessere. "Wir haben heute die Sensoren, die uns mitteilen können, was der Blutzucker jede Minute tut. Und auch die Insulinpumpen, die jede Minute die Dosis anpassen können. Diese Technologie ist damit schon sehr nah an der ultimativen Lösung des Problems." (bsc)