Die offene Technosphäre

Wer nicht nur staunend oder frustriert der gegenwärtigen technischen Entwicklung hinterhecheln will, sondern sie human gestalten will, braucht eine politische Theorie der Technik. Ein Essay von Niels Boeing

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Von
  • Niels Boeing
Inhaltsverzeichnis

Neue Technologien beherrschen mehr denn je den Diskurs über die Zukunft: Einerseits werden sie als unerlässliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Standortpolitik im globalen Wettbewerb propagiert, andererseits als Grundlage einer möglichen Dystopie von umfassender Kontrolle und Manipulation kritisiert. Gleichzeitig wird Technik meist als etwas Gegebenes, Sekundäres hingenommen, werden ihre Grundlagen und Entwicklungsspielräume selten ausreichend reflektiert. In loser Folge bringt TR Online deshalb eine Reihe von Essays zur Technik.

Im folgenden Text skizziert TR-Autor Niels Boeing drei Stufen der Technik, die zuletzt zur Herausbildung eines globalen technischen Metasystems, der "Technosphäre", geführt haben. Für die sind im 21. Jahrhundert zwei gegensätzliche Entwicklungslinien denkbar: die "geschlossene" und die "offene" Technosphäre. Welche sich durchsetzt, wird maßgeblich von künftigen politischen Auseinandersetzungen abhängen.

Wenn Technik und Zukunft in einem Atemzug genannt werden, purzeln meist wilde Prognosen durcheinander. Da ist von allgegenwärtigen Sensornetzen die Rede, von Robotern, die uns das Geschäft des Krieges ebenso abnehmen werden wie die Mühen des Alltags, oder von der Verschmelzung von Mensch und Maschine. Im Dunkeln bleibt, was Technik am Beginn des 21. Jahrhunderts eigentlich ausmacht. Das sollte uns nicht erstaunen, denn die Szenarien werden von Trendforschern und Unternehmensstrategen entwickelt, die kaum ein anderes Interesse haben können, als die künftige technische Entwicklung aufregend und damit vermarktbar erscheinen zu lassen.

Die Öffentlichkeit, in den vergangenen Jahrzehnten einem atemberaubenden technischen Wandel ausgesetzt, nimmt solche Aussagen inzwischen achselzuckend zur Kenntnis. Aber nicht, weil sie es besser wüsste. Tatsächlich ist das Verständnis von Technik nicht annähernd so weit entwickelt wie etwa das von Wirtschaft oder Demokratie. Technik ist einfach da: eine stetig wachsende Sammlung von Werkzeugen, die mal besser, mal schlechter designt sind, die sinnvoll genutzt oder missbraucht werden können. Beeinflussen lässt sie sich nicht. Das Gebot der Stunde lautet: sich anpassen und das Beste daraus machen.

Diese Vulgärversion eines tradierten ingenieurwissenschaftlichen Technikverständnisses verhindert eine umfassende, tiefer gehende Auseinandersetzung mit dem Gegenstand und bleibt politisch folgenlos. Wenn wir also nicht immer nur staunend oder frustriert der Entwicklung hinterhecheln wollen, müssen wir zunächst einmal genauer beschreiben, was Technik ist.

Von der Technik zur Technosphäre

Die Techniktheoretiker des 20. Jahrhunderts sind sich darin einig, dass Technik mehr ist als nur die Artefakte, die sie hervorbringt. Der Kontext ihres Gebrauches muss ebenso berücksichtigt werden wie ihre Einbettung in soziale Systeme – Günter Ropohl spricht in seiner Systemtheorie der Technik von "soziotechnischen Handlungssystemen". Andrew Feenberg schreibt in Questioning Technology: "Technik ist das Medium des täglichen Lebens in modernen Gesellschaften."

Damit ist der Horizont schon einmal geweitet. Eine erste Definition könnte dann lauten: Technik ist die Umgestaltung der Welt durch den Menschen, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Dieser Prozess beginnt bereits in der Frühgeschichte des Menschen. Waren die Bedürfnisse anfangs noch ausschließlich biologischen Ursprungs, hat jene Umgestaltung ihrerseits bald neue hervorgebracht. Um ein zeitgemäßes Beispiel zu nennen: Die Erfindung von kleinen magnetischen Tonträgern, den Musikkassetten, in den sechziger Jahren, hat wohl erst den Gedanken aufkommen lassen, in jeder Lebenslage mit Hilfe eines kleinen tragbaren Abspielgeräts personalisierte Musik hören zu können. Die Lösung war der von Sony 1979 eingeführte Walkman. Technik ist also – das ist der zweite Schritt – immer auch rekursiv: Sie gibt Antworten auf Fragen, die sie selbst erst aufgeworfen hat.

Das ist allerdings immer noch recht abstrakt. José Ortega y Gasset hat sich in seinen Betrachtungen über die Technik an einer ersten Systematisierung des Phänomens Technik versucht. Bezogen auf den Vorgang der Konstruktion unterschied er die "Technik des Zufalls", die er in der frühen Antike verortet, die "Technik des Handwerkers" seit der Spätantike und die "Technik des Technikers", die mit Beginn der Neuzeit entsteht. Das klingt zwar zunächst einleuchtend – obwohl der Pyramidenbau, den er als Beispiel für eine Technik des Zufalls heranzieht, wohl bereits eine echte Ingenieurleistung war –, geht mir aber noch nicht weit genug.

Motiviert von Don Ihdes "Amplification-Reduction"-Konzept in Technics and Praxis sowie von Günter Ropohls Formen technischen Wissens möchte ich eine andere Unterscheidung vorschlagen. Danach gibt es drei Arten von Technik, die zwar nacheinander entstanden sind, heute aber nebeneinander existieren:

  1. Die unmittelbare sensuelle Technik – die Funktionsweise des technischen Systems ist den menschlichen Sinnen sofort zugänglich und kann durch Ausprobieren und Beobachten nachvollzogen werden. Diese älteste Form der Technik nutzt die Mechanik, das Feuer und einfache chemische Vorgänge.
  2. Die mittelbare amplifizierte Technik – hier muss die Funktionsweise des technischen Systems über andere Artefakte, deren Wirkprinzip nur noch über ein gewisses technisches Wissen zugänglich ist, erschlossen werden. Dabei handelt es sich etwa um Linsen in der technischen Optik, die in der Renaissance aufkommt. Die Entdeckung der Elektrizität und die Fortschritte der Chemie im späten 18. Jahrhundert verstärken diese Entwicklung dann.
  3. Die komplexe kognitionsmaschinenabhängige Technik – hier findet ein weiterer Abstraktionsschritt statt, denn die der Funktionsweise zugrunde liegenden Effekte müssen mit Hilfe von Maschinen, beispielsweise Computern, in sensuell nachvollziehbare Informationen überhaupt erst übersetzt werden. Technische Systeme werden zu Black Boxes, deren Innenleben nur Experten zugänglich ist, und bilden Metasysteme, deren Wirkungen ineinander greifen. Diese Art der Technik hat sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etabliert.

Parallel zu dieser Komplexitätssteigerung hat sich der Objektbereich der Umgestaltung durch Technik beständig ausgeweitet: von in der Natur zur Verfügung stehenden Materialien wie Holz oder Stein dringt sie im Kleinen bis zu den Bausteinen der Materie vor. Die atomaren Strukturen von Werkstoffen und die molekularen Vorgänge in Zellen werden als technisch gestaltbare Sphären umgedeutet. Im Großen unterwirft Technik ganze Landschaften einem Redesign.

Aber auch die Reichweite der Umgestaltung nimmt zu: Waren es anfangs Artefakte, die in einem eng umrissenen Raum genutzt wurden – beispielsweise der Pflug auf einem Stück Ackerland –, überziehen einige technische Systeme wie das Internet oder die Luftfahrt heute sogar den gesamten Planeten Erde. Natürliche Lebensräume werden durch technische ersetzt. Oder sie werden zumindest als solche begriffen, wenn etwa zur Abschwächung des Klimawandels darüber nachgedacht wird, Ozeane mit Eisenpartikeln zu "düngen", damit die Algenpopulationen wachsen und mehr vom Treibhausgas Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen.

Die skizzierten Trends zeigen eine Entwicklung der Technik, die komplexer, umfassender und raumgreifender wird. Diese neue Qualität führt zur Entstehung einer "Technosphäre": eines globalen technischen Metasystems, das sich in Konkurrenz zu Bio- und Geosphäre herausbildet – ebenso unüberschaubar und mit vergleichbar komplexen und zum Teil raschen Wirkungskaskaden. Die Technosphäre ist eine Welt, die der moderne Mensch in der Technik erschafft und durch sie auch begreift. Organismen werden nicht länger als Kreaturen betrachtet, sondern als biologische Maschinen, die sich optimieren lassen. Ja, der Mensch beginnt sich selbst als potenzielles technisches Gebilde zu betrachten, das nicht nur Subjekt, sondern auch Objekt der neuen Technosphäre ist.

Diese Totalität haben einige frühe Technikphilosophen wie Martin Heidegger oder Jacques Ellul bereits vor Jahrzehnten festgestellt. Heidegger gibt etwa in Die Frage nach der Technik das Beispiel eines Wasserkraftwerks im Rhein. Dieser ist nicht länger einfach ein Fluss, sondern ein Wasserdrucklieferant. Das Kraftwerk "stellt" den Fluss, wie Heidegger es in seiner sehr speziellen Sprechweise formuliert, der nur noch ein "Bestand" ist, dem etwas abgefordert werden kann. Die ganze Welt wird so zu einem "Ge-stell", in dem Heidegger das Wesen der modernen Technik sieht.

Hier stellen sich nun verschiedene Fragen: Warum hat sich die Technosphäre herausgebildet? Ist ihre Entwicklung unausweichlich gewesen? Ist sie gut oder schlecht? Wie wird sie sich weiter entwickeln? Können wir sie gestalten?

Fakt ist zunächst, dass ein großer Teil der Menschheit bereits in der Technosphäre lebt oder indirekt von ihr abhängt und über kurz oder lang in sie hineinwechseln wird. Man kann dies in einem religiösen Kontext bedauern, aber es ist nicht vorstellbar, dass sie sich, wenn wir das wollten, schrittweise und planvoll in irgendeiner Form zurückbilden ließe. Sie könnte, wie Ellul in The Technological Society bemerkt, nur in einem Vernichtungskrieg oder einer Naturkatastrophe globalen Ausmaßes aufgelöst werden. Wenn wir die Umstände ihrer Entstehung analysieren, stellen wir fest, dass sie einen Zwilling hat: den Kapitalismus. Erst dieser führte dazu, dass wir über unsere urmenschliche Disposition eines "Zoon technikon", eines technischen Wesens, weit hinausgegangen sind.

Denn während das Zoon technikon zufällige oder problemgetriebene Erfindungen machte, ist der Kapitalismus vor allem innovationsgetrieben: Er muss permanent neue Produkte hervorbringen, um dem Unternehmer den systembedingt notwendigen Profit zu sichern. Dies gelingt nur mittels des Einsatzes von Technik, die allein neue Waren hervorbringt oder Dienstleistungen ermöglicht. War dies in früheren Phasen des Kapitalismus nicht immer offensichtlich, sehen wir nun in der Globalisierung eine Verselbständigung technischer Innovationen, die an vorhergehende anknüpfen und häufig keine andere Begründung mehr haben als die Erfordernisse des Marktes, auf dem ein älteres Produkt geschlagen werden muss. Der immer schon rekursive Charakter von Technik wird im Kapitalismus beherrschend und führt zu einem sich beschleunigenden Wechselspiel aus Investition und Innovation.

Es ist diese Spirale, die die Ausweitung der Technik auf zuvor nicht technisch begriffene Bereiche – wie Kultur, Kommunikation, Organismen oder den menschlichen Körper – notwendig macht und zur Herausbildung der Technosphäre führt. Anders gesagt: Die Technosphäre wäre ohne den Kapitalismus nicht entstanden. Daraus folgt umgekehrt, dass angesichts der bislang andauernden Alternativlosigkeit des Kapitalismus schon ein Einfrieren der Technosphäre in ihrem heutigen Zustand unrealistisch ist. Jahr für Jahr differenziert sie sich weiter aus und kolonisiert Bereiche, die bislang nicht als Domäne der Technik gesehen wurden.

Wie geht es weiter? Im gegenwärtigen Stadium sind zwei Entwicklungen möglich, die ich als geschlossene und offene Technosphäre bezeichne. Die erste schreibt dominante Eigenarten des gegenwärtigen Weltsystems fort, die zweite knüpft an dazu gegenläufige Tendenzen an, die allerdings schwächer sind, weil sie nicht aus der kapitalistischen Logik heraus begründet, sondern politisch motiviert sind.

Die geschlossene Technosphäre

Hierbei sind zwei Perspektiven für die Technik im 21. Jahrhundert entscheidend: der Zugang zu und der Umgang mit Technik. Unter Zugang verstehe ich die Möglichkeit, technische Systeme analysieren und sich produktiv aneignen zu können. Mit Umgang ist die Möglichkeit gemeint, Technik selbstbestimmt und sicher nutzen zu können.

Vor diesem Hintergrund sind in der gegenwärtigen Technosphäre mehrere Abschließungserscheinungen beobachtbar: Der Zugang zu technischem Wissen wird zunehmend ökonomisiert und dabei für eine wachsende Zahl von Menschen verschlossen; auch der Umgang mit Technik wird an verschärfte ökonomische Bedingungen geknüpft; die Möglichkeiten einer selbstbestimmten Nutzung werden eingeschränkt, indem Vorstellungen über die Welt bereits in Konstruktion und Design einfließen; und die Komplexität technischer Systeme verschleiert ihre Wechselwirkungen untereinander sowie mit der Umwelt. Ich möchte diese Punkte an einigen Beispielen erläutern.

Je mehr der Erfolg des Kapitalismus von weiteren technischen Innovationen abhängt, desto mehr wird Know-how zu einer Ressource, die – als "geistiges Eigentum" – dem Eigentumsregime unterworfen und kontrolliert werden muss. Das betrifft vor allem das von Günter Ropohl eingeführte "technologische Gesetzeswissen" und das "strukturale Regelwissen", die den Kern einer Innovation ausmachen.

Strukturales Regelwissen gibt Aufschluss über das Zusammenspiel der Komponenten im Innern eines technischen Geräts oder Systems. Es umfaßt, in Ropohls Wort, "Kenntnisse über die Zusammensetzung eines Sachsystems aus Sachsubsystemen und Sachelelementen und über deren Verknüpfungen sowie über die Art und Weise, in der diese Bestandteile konkret gestaltet und ausgeführt sind." Erst das technologische Gesetzeswissen befähigt dann zu einem detaillierten Verständnis, wie ein Artefakt tatsächlich funktioniert. Es "kann sich auf funktionale und strukturale Merkmale sowie auf deren Zusammenhang ebenso beziehen wie auf die naturalen Effekte, denen sich die Funktions- und Strukturprinzipien der Sachsysteme verdanken", schreibt Ropohl.

Diese beiden technischen Wissensformen werden mit Patenten vor dem offenen Zugang durch andere geschützt, um dem Innovator zumindest ein temporäres Monopol auf seine Neuschöpfung zu sichern. Dieser Mechanismus setzt sehr früh im Entwicklungsprozess ein: Als ich auf einer Konferenz Stanley Williams von Hewlett Packard fragte, ob er mir technische Details zu dem in seinem Vortrag vorgestellt Nano-Prozessor geben könne, verneinte er dies unter Hinweis auf den Patentschutz. Dabei befindet sich der Crossbar-Latch-Prozessor noch im Stadium eines Prototypen. Ob in Computer-, Bio- oder Nanotechnik, ihre Artefakte werden möglichst schnell in Black Boxes verwandelt. Für die Nutzer bleibt nur "funktionales Regelwissen", das zur Bedienung befähigt. Eine produktive Aneignung ist ausgeschlossen, solange nicht Lizenzgebühren bezahlt werden.

Wie der Umgang mit Technik beschränkt wird, lässt sich gut in Entwicklungsländern studieren. Auf dem Mercato in Addis Abeba, dem größten Markt in Ostafrika, ist zwar auch Technik aller Art erhältlich. Aber was in den unzähligen Buden angeboten wird, ist veraltet oder defekt und hat oft wenig Ähnlichkeit mit dem, was ein Westler beziehen kann. Weil in diesen Ländern das nötige Kapital fehlt, bleibt vor allem eine Bricolage mit den Restposten der industrialisierten Welt übrig, die weit entfernt von einem selbstbestimmten Umgang mit Technik ist.

Wie bestimmte Vorstellungen in technisches Design einfließen, zeigt eine Begebenheit, die auf den ersten Blick erheiternd wirken könnte. In einem Mietwagen der A-Klasse von Mercedes staunte ich, dass die Türverriegelung automatisch aktiviert wird, wenn man den Motor startet. Hier ist ein Sicherheitsdenken im Design manifestiert, das sowohl die Gefahren des modernen Autoverkehrs als auch die Möglichkeit von Überfällen in Großstädten antizipiert – ganz unabhängig davon, wie wahrscheinlich beide an einem konkreten Ort sind. Annahmen über die Kriminalität in globalen Megalopolen werden so für alle Orte verallgemeinert, obwohl es keinen Grund dafür gibt (ganz abgesehen davon, dass eine während der Fahrt verriegelte Autotür bei einem Unfall ein Problem für die Rettungskräfte ist).

Welche Folgen unvorhergesehene Wirkungsketten komplexer technischer Systeme haben können, zeigt exemplarisch der flächendeckende Stromausfall im Nordosten der USA und Ost-Kanada im August 2003. Der abschließende Untersuchungsbericht stellte schwerwiegende Mängel des Energieversorgers First Energy im Kontrollsystem seines Netzes und den Schnittstellen zu angrenzenden Netzbetreibern fest: Die Mittel, den jeweils aktuellen Zustand dieses komplexen technischen Systems in seiner Gesamtheit zu überblicken, waren nicht ausreichend. Dass dieser Großunfall in der Stromversorgung einer der industrialisiertesten Regionen der Welt möglich war, ist auch dem Investitionsverhalten der Stromversorger geschuldet. Ökonomische Deregulierung, Konkurrenzdruck und Profitdenken verhinderten die Modernisierung ihrer Infrastruktur.

Solche Tendenzen lassen für vollmundige Zukunftsvisionen über die Entwicklung von Robotik, Bio- und Nanotechnik, wie sie etwa vor zwei Jahren Trendforscher von British Telecom in einem Szenario bis 2051 vorstellten, nichts Gutes erwarten. Verkauft werden sie als Befreiung von gegenwärtigen Problemen und als zielgerichtete, ja zwangsläufige Weiterentwicklung gegenwärtiger technischer Potenziale. Tatsächlich kann man sie in einem ökonomischen Kontext vor allem als Innovationsprogramme eines forschungsintensiven Hightech-Komplexes lesen, die unabhängig von Bedürfnissen der Öffentlichkeit forciert werden. In einer zunehmend geschlossenen Technosphäre dürften sie bereits bestehende wirtschaftliche Ungleichheit und politische Kontrolle eher zementieren und weitere Großunfälle nach sich ziehen.

Die offene Technosphäre

Gleichzeitig gibt es seit den sechziger Jahren Ansätze, sich dieser Entwicklung zu widersetzen und die Technosphäre zu öffnen. "Offen" ist dabei dreifach zu verstehen: im Sinne eines offenen Designs, als Transparenz technischer Strukturen und als die Freiheit, Entscheidungen über die Nutzung von Technik fällen zu können.

Technisches Wissen in eine frei zugängliche Ressource zu verwandeln, propagieren und praktizieren seit längerem die Bewegungen der Freien Software (Open Source) oder des freien Zugangs zur wissenschaftlichen Erkenntnis (Open Access). Auch beim Design von Hardware gibt es erste Ansätze: etwa den Cell-Prozessor, dessen technische Spezifikationen und Programmierung 2005 freigabe oder das 2006 wieder aufgenommene Projekt "OScar", eines Open-Source-Autos, dessen offenes Design eines Tages eine produktive Aneignung der Automobilkonstruktion jenseits heutiger Produktionstrukturen der wenigen internationalen Herstellerkonzerne ermöglichen könnte. Das von diesen Bewegungen offengelegte Knowhow kann auch die Grundlage dafür sein, dass ein breites öffentliches "soziotechnisches Systemwissen" entsteht, in dem Ropohl die Voraussetzung für einen "aufgeklärten Umgang" mit Technik sieht.

Ein Beispiel für eine in Teilen transparente technische Infrastruktur ist das Internet. Es baut auf offenen Standards für Datenübermittlungsprotokolle und –prozesse auf, die von internationalen Gremien wie dem World Wide Web Consortium oder der Internet Engineering Task Force entwickelt, geprüft und verabschiedet werden. Die Standards selbst sind damit aus der oben beschriebenen kapitalistischen Abschließungslogik herausgenommen. Sie ermöglichen nicht nur einen offenen Zugang zu diesem technischen System, sondern auch einen potenziell sichereren Umgang mit ihm, weil dessen Prozesse und damit auch Schwachstellen nachvollziehbar sind.

Die Anti-Atomkraftbewegungen ebenso wie die Opposition gegen gentechnisch manipulierte Organismen haben die Freiheit eingefordert, über die Nutzung einer neuen Technologie zu entscheiden. Denn anders als Ingenieure betrachten sie nicht nur ein Artefakt oder ein technisches System selbst, sondern deren sozialen und politischen Kontext. Dass sie dabei immer wieder an den Rand der Legalität geraten, sagt viel aus über die Kontrollbestrebungen einer sich zunehmend abschließenden Technosphäre, für die die Atomenergie wohl die Chiffre schlechthin ist. Die Opposition gegen diese hat sich jedoch gelohnt: Mit dem Aufbau einer Versorgung aus erneuerbaren Energien, die sich in den vergangenen Jahrzehnten aus zunächst kleinen Projekten zu einem immer wichtigeren Segment der Energieversorgung entwickelt hat, haben Nutzer eine echte Entscheidungsfreiheit zurückgewonnen, welcher Technik sie den Vorzug geben wollen.

Die skizzierte dreifache Öffnung der Technosphäre ist Ausdruck politischer Wertungen, die nicht der kapitalistischen Logik entspringen. Sie muss deshalb in politischen Handlungen erstritten werden, da sie sich nicht von selbst herausbildet. Zu mächtig sind die Institution des Privateigentums, dem keine konkreten sozialen Verpflichtungen vorgegeben sind, das im System angelegte Streben nach Profitmaximierung und die Werte von Effizienz und Kontrolle, die mit einer weitgehenden Öffnung der Technosphäre in großen Teilen unvereinbar sind.

Sollte diese sich nach und nach ausweiten, wird sie auch eine drastische Veränderung der industriellen Produktion nach sich ziehen. Vor allem die Offenlegung technischen Designs könnte zu einer äußerst dezentralisierten Produktion in neuen Hightech-Werkstätten führen, in denen sich die Unterscheidung zwischen Produzent und Konsument auflöst. Die Möglichkeit von Personal Fabrication" und "Fab Labs" – lokalen Hightech-Werkstätten nach einem Ansatz von Neil Gershenfeld –, die sich seit längerem im Rapid Manufacturing anbahnt, könnte stattdessen den "Prosumenten", wie einige Forscher es nennen, hervorbringen: Sie fertigen technische Systeme für einen lokal oder regional umgrenzten Bedarf, den sie auch selbst formulieren und analysieren.

Diese Entwicklung könnte die von Gershenfeld diagnostizierte "Fabrication Divide", die vor allem zwischen industrialisierten und nicht-industrialisierten Regionen klafft, allmählich schließen und in letzteren zu einer selbstbestimmteren Produktion führen. Voraussetzung dafür sind aber gerade jene Entwicklungen in Computer-, Werkstoff- oder Nanotechnik, die die Technosphäre überhaupt erst hervorgebracht haben. Daran zeigt sich für mich besonders deutlich, dass es nicht darum gehen kann, ob wir die moderne Technik akzeptieren oder nicht. Denn sie liefert uns wichtige Werkzeuge, um die Technosphäre im 21. Jahrhundert überhaupt erst auf einen humanen und nachhaltigen Entwicklungspfad zu bringen.

Die Technikpolitik gerade der Linken hat sich in vergangenen Jahrzehnten aber in Abwehrschlachten gegen eine politisch-industrielle Technokratie und in der Beschwörung möglicher Dystopien erschöpft. Das war zu wenig. Eine neue Generation von Techniktheoretikern arbeitet seit den achtziger Jahren daran, dieses Defizit zu überwinden, denn, wie Andrew Feenberg postuliert: "Das Schicksal der Demokratie ist verknüpft mit unserem Verständnis von Technik". Gebraucht wird eine politische Theorie der Technik, die die Demokratie auf diese ausweiten kann. In dieses Projekt reihen sich die hier vorgestellten Überlegungen ein. Die Black Boxes zu knacken, die Technosphäre zu öffnen, muss Kern einer künftigen humanen und emanzipatorischen Technikpolitik sein. (nbo)