Die ultimative Freisprechanlage?

Forscher in Kalifornien haben eine Hirn-Computer-Schnittstelle entwickelt, über die man per GedankenTelefonnummern ins Handy eingeben kann.

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Von
  • Duncan Graham-Rowe

Forscher in Kalifornien haben eine Hirn-Computer-Schnittstelle entwickelt, über die man Telefonnummern ins Handy per Gedanken eingeben kann.

Am Anfang war die Wählscheibe, dann kamen die Tasten , danach – mit dem iPhone – der Touchscreen. Forscher der University of California in San Diego (UCSD) haben nun das nächste Bedieninterface für Telefone konzipiert, das den Gebrauch von Fingern gänzlich überflüssig macht: die Gedankensteuerung. Das System arbeite nach einer kurzen Trainingsphase mit fast 100-prozentiger Zuverlässigkeit, sagt Tzyy-Ping Jung vom Swartz Center for Computational Neuroscience an der UCSD.

Wie bei anderen experimentellen Hirn-Computer-Schnittstellen werden auch in Jungs System Elektroden für ein Elektroenzephalogramm (EEG) auf die Kopfhaut gelegt, um die elektrische Hirnaktivität zu messen. Die Elektroden sind in einem Stirnband untergebracht (siehe Bild), das die Daten über ein Bluetooth-Signal an ein Nokia N73-Handy sendet. Auf dem ist eine Software installiert, die die Daten verarbeiten kann.

Wer das Gerät nutzen will, muss die Software zunächst über ein Feedback-System trainieren, das mit einer so genannten visuell ausgelösten Reaktion arbeitet. Eine Versuchsperson bekommt auf einem Bildschirm verschiedene blinkende Bilder gezeigt. Im Gehirn kann der Sinneseindruck des Blinkens in der Mitte des so genannten Hinterhauptslappens gemessen werden, in dem das menschliche Sehzentrum liegt.

Jung und seine Kollegen zeigen deshalb auf dem Bildschirm eine Telefon-Tastatur, deren Zahlen sie abwechselnd aufblinken lassen. Der Trick ist nun, die Frequenz für jede Zahl leicht zu variieren: Die „1“ blinkt mit neun Hertz, die „2“ mit 9,25 Hertz und so weiter. Die Muster, die die unterschiedlichen Frequenzen im Hinterhauptslappen erzeugen, können nun über das EEG ausgelesen werden – und dienen damit als Signal für das Handy, welche Zahl der Proband getippt hätte, wenn er einen Finger benutzt hätte.

„Unsere Versuche zeigen, dass es bei jedem funktioniert“, sagt Jung, „einige Menschen zeigen aber eine höhere Genauigkeit.“ In einem Test ließen sie zehn Versuchspersonen über das Interface eine zehnstellige Nummer „wählen“. Sieben konnten die Zahlen ohne jeden Fehler übermitteln. Er selbst schaffe nur eine Genauigkeit von 85 Prozent, fügt Jung hinzu.

Gedacht ist das System zunächst als Hilfe für Behinderte, es könnte eines Tages aber auch breitere Anwendung finden. Es würde sich nicht nur als die ultimative Freisprechanlage für Vieltelefonierer eignen, sondern auch als Kontrollinstrument, ob die Konzentration bei Autofahrern oder Fluglotsen nachlasse. „Ich möchte gerne größere Zielgruppen erreichen“, schwärmt Jung.

„Die Arbeit ist interessant“, findet Rajeev Raizada, Neurowissenschaftler am Dartmouth College, der 2010 ein ähnliches Konzept namens „Neurophone“ veröffentlichte. „Der Grundansatz einer visuell ausgelösten Reaktion ist schon häufiger ausprobiert worden, aber das Spannende daran ist, die nötige Technik so klein, billig und tragbar zu machen, dass sie in ein Handy passt.“

Raizadas Neurophone arbeitet mit einem anderen Hirnsignal, „P300“ genannt. Es wird durch verschiedene Reize ausgelöst und in anderen Hirn-Computer-Schnittstellen als Referenzsignal verwendet, um festzustellen, wann ein Gegenstand die Aufmerksamkeit der Testperson auf sich zieht. Allerdings sind hierfür längere Trainingszeiten nötig.

Eric Leuthardt, Direktor des Center for Innovation and Neuroscience an der Washington University, ist von Jungs System hingegen noch nicht überzeugt. „Das man die hierfür nötigen Prozessoren auf Handygröße verkleinert, ist logisch“, sagt Leuthardt. Die eigentliche Hürde sei bislang, dass für eine visuell ausgelöste Reaktion ein großflächiger bildlicher Reiz nötig sei. Dafür seien Handy-Displas viel zu klein, meint Leuthardt.

Das Paper:
Wang, Yu-Te et al.: "A cell-phone-based brain–computer interface for communication in daily life", Journal of Neural Engineering, Vol. 8, No. 2, 2.4.2011 (nbo)