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Digital Markets Act: Wie die EU Weltkonzerne zu europäischen Sonderlocken zwingt

| Holger Bleich

Mit dem Digital Markets Act greift die EU tief ins Business von US-Megakonzernen wie Google ein. Das hat positive Auswirkungen für europäische Produktnutzer.

Wir befinden uns im Jahr 2024 n.Chr. Auf dem Globus dürfen wenige US-Digitalkonzerne schalten und walten, wie sie wollen. Auf dem ganzen Globus? Nein! Ein von unbeugsamen Europäern bevölkerter Landstrich hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten.

Die Anführer dieses Kontinents sitzen in Brüssel und verabschieden ein Gesetz nach dem nächsten, um die Konzerne einzuhegen. Am 17. Februar wurde der Digital Services Act (DSA) wirksam, seit dem 7. März gelten nun auch die Regeln von dessen Zwillingsverordnung Digital Markets Act (DMA). Während der DSA die Haftung für Darstellung und Inhalte der Onlineplattformen regelt, nimmt der DMA missbräuchliches Verhalten von marktbeherrschenden US-Unternehmen ins Visier.

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Es geht hier keineswegs nur um die Regulierung des Wettbewerbs dieser Dickschiffe untereinander. Auch auf Verbraucher und Geschäftskunden der Anbieter kommen innerhalb der EU eine Menge Änderungen zu. Kleine Verbesserungen sind bereits seit Jahresbeginn zu spüren, und die großen Brocken werfen ihre Schatten voraus. Fest steht schon heute: Der DMA führt dazu, dass viele digitale Produkte in der EU anders aussehen und funktionieren als im Rest der Welt.

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  • Der Digital Markets Act (DMA) wurde am 7. März im Europäischen Wirtschaftsraum wirksam und soll die Marktmacht von US-amerikanischen Digitalkonzernen einhegen.
  • Alphabet, Amazon, Apple, ByteDance, Meta und Microsoft mussten ihre Produkte anpassen. Anwender erhalten mehr Wahlmöglichkeiten.
  • Apple steht in der Kritik, weil der Konzern zwar unter Protest sein hermetisches Ökosystem öffnet, aber gleichzeitig hohe Hürden setzt, die einzelne Produkte sogar verschlechtern könnten.

Als proaktives ("ex ante") Kartellrecht betrifft der DMA sogenannte "Torwächter"-Dienste, also Services, die den Wettbewerb in einem Marktsegment dominieren und dem Mitbewerb damit schädliche Bedingungen aufzwingen können. Bei den sozialen Netzwerken beispielsweise hat die dafür zuständige EU-Kommission TikTok, Facebook, Instagram und LinkedIn als Torwächter benannt, bei den Messengern WhatsApp und Facebook Messenger, bei den Betriebssystemen Android, iOS und Windows und bei den Browsern Chrome und Safari. Insgesamt stufte die EU zum DMA-Start 22 Produkte der Konzerne Alphabet, Amazon, Apple, ByteDance, Meta und Microsoft als Torwächter ein.

Gegen diese Benennungen haben einige Konzerne protestiert und Rechtsmittel eingelegt. Wenige Verfahren laufen noch, andere sind entschieden. Am 10. Februar 2024 etwa schmetterte das Gericht der Europäischen Union (EuG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz von ByteDance ab, der verhindern sollte, dass TikTok ab dem 7. März die DMA-Auflagen erfüllen muss. Man befürchte, durch den DMA gezwungen zu werden, seine Geschäftsstrategie offenzulegen, obwohl man gar kein Torwächter sei, argumentierte der chinesische Konzern mit EU-Sitz in Dublin. In der Hauptsache läuft die Klage weiter, genau wie eine ähnliche, die Meta angestoßen hat.

Der DMA nennt konkrete Kriterien, die zu einer Torwächter-Größe führen, "die sich auf den EU-Binnenmarkt auswirkt": Das Unternehmen muss in den letzten drei Geschäftsjahren im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) einen Jahresumsatz von mindestens 7,5 Milliarden Euro erzielt haben oder im letzten Geschäftsjahr einen Marktwert von mehr als 75 Milliarden Euro ausweisen. Außerdem muss es einen "zentralen Plattformdienst" betreiben, der über 45 Millionen monatlich aktive Endnutzer oder mindestens 10.000 gewerbliche Nutzer in der EU hat.

Letztere Kennzahl zielt auf B2B-Marktplätze ab, auf denen Betreiber Händlern eine Plattform bieten, um ihre Produkte zu Endkunden zu bringen. Darunter fallen die App-Stores für Android und iOS sowie der Marketplace von Amazon, aber auch einige Google-Services wie Shopping, Play und Maps. Selbst Werbeplattformen umfasst der DMA, deshalb schrauben Google, Meta und Amazon derzeit eifrig an den Modalitäten ihrer Werbesysteme, die ja einen großen Teil der Einnahmen generieren.

Der DMA enthält eine Menge Verbote und Pflichten [11] für Torwächter. Diese stehen in Artikel 5, 6 und 7 der Verordnung. Die EU-Kommission weist stets darauf hin, dass diese Liste nicht als abschließend zu verstehen ist, sondern recht kurzfristig geändert werden kann, falls die Marktbeobachtung es nötig macht. Dazu genüge ein sogenannter "delegierter Rechtsakt". Sie muss also nicht die Verordnung selbst aufwendig anpassen und neu in den Gesetzgebungsprozess bringen.

Betroffene Torwächter mussten ihre Produkte in der EU teilweise wesentlich gravierender ändern, als sie es vom DSA schon kennen. Dazu drängten die drakonischen Strafandrohungen der EU, die selbst hart gesottene US-CEOs nicht kaltlassen. Bis zu 20 Prozent des weltweiten Konzern-Jahresumsatzes können fällig werden, wenn ein Torwächter wiederholt gegen das neue Digital-Kartellrecht verstößt. Hinzu kommen mögliche Zwangsgelder; sogar die Anweisung, einzelne Unternehmen aus dem Konzern herauszulösen, steht bei systematischen Zuwiderhandlungen als Strafe im Raum.

Für die Marktbeobachtung und Durchsetzung ist gemäß DMA direkt die EU-Kommission zuständig. Diese organisiert derzeit ein Team, das aus Mitarbeitern der Generaldirektionen CNECT (Communications Networks, Content and Technology) und COMP (Competition) besteht. Ein Sprecher bestätigte c’t, dass man dafür rund 80 Vollzeitstellen bereitstellt, besetzt unter anderem mit "Juristen, Datenwissenschaftlern und Politikreferenten mit Fachwissen in den Bereichen digitale Regulierung, Sicherheitsmaßnahmen und anderer spezifischer Aspekte". Im Folgenden erläutern wir einige wichtige Neuerungen, deren Umsetzung die Konzerne bereits vollzogen oder angekündigt haben.

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Artikel 5 Abs. 1 DMA verbietet es, personenbezogene Daten, die in verschiedenen Unternehmen eines Konzerns anfallen, ohne Nutzererlaubnis zusammenzuführen. Auch das sogenannte Single Sign-on, also eine Login-Plattform für alle Dienste des Konzerns, muss abschaltbar sein. Dies betrifft vor allem Meta, Google und Microsoft, die deshalb in der Vergangenheit kartellrechtlicher Kritik unterlagen, weil sie Daten verschiedener Dienste gewinnbringend aggregieren. Wichtig: Erklärt der Nutzer nicht explizit sein Einverständnis, ist jede Zusammenführung seit dem 7. März 2024 untersagt.

Tatsächlich hat etwa Meta wegen des DMA bereits zu Beginn des Jahres begonnen, seine Dienste in der EU zu separieren. Deutsche Nutzer sind in den vergangenen Wochen in den Apps von Facebook und Instagram gedrängt worden, "angesichts sich ändernder Gesetze in deiner Region" ihre Konten "zu bestätigen". Taten sie das nicht, bekamen sie die Wahl, Konten einzelner Dienste aus der gemeinsamen Verwaltung herauszulösen. Die Daten würden dann nicht mehr zwischen den Diensten geteilt, versichert Meta.

Facebook- und Instagram-Nutzer können nun bestimmen, dass Meta ihre Daten nicht mit dem jeweils anderen Dienst zusammenführt.

Facebook- und Instagram-Nutzer können nun bestimmen, dass Meta ihre Daten nicht mit dem jeweils anderen Dienst zusammenführt.

Den Facebook Messenger wird Meta aufgrund der DMA-Vorgaben als Stand-alone-Version mit eigenem Login anbieten, teilte der Konzern mit. Die wählbare Datentrennung sei zum DMA-Start auch für den Facebook Marketplace sowie die Gaming-Plattform vorgesehen. Facebook unterstütze die mit dem DMA verbundenen Ziele. "Um dies zu erreichen, haben wir ein großes funktionsübergreifendes Team zusammengestellt", versicherte der Konzern. Die Frage, warum man die gelobten Pflichten dennoch nur im EWR umsetzt, blieb unbeantwortet.

Google hat noch nicht angekündigt, sein Single Sign-on über die Dienste hinweg abstellen zu können. An verschiedenen Stellen, beispielsweise in YouTube oder Maps, fragte der Konzern bisher lediglich das Einverständnis dazu ab, die gesammelten Daten aggregieren zu dürfen. Ganz in Dark-Pattern-Manier wies Google darauf hin, dass einige Dienste nicht mehr richtig oder gar nicht funktionieren, wenn der Nutzer ablehne. So hieß es zum Beispiel: "Wenn die Suche, YouTube und Chrome keine verknüpften Dienste sind, werden Ihre Empfehlungen in der Suche, wie zum Beispiel ‚Was Sie sich ansehen sollten‛ und Ihr Discover-Feed weniger personalisiert sein."

Microsoft verfuhr ähnlich in seinem Business-Netzwerk LinkedIn: "In den nächsten Wochen werden Sie, falls Sie sich als Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz befinden, aufgrund des Gesetzes über digitale Märkte die Möglichkeit erhalten, zu wählen, ob Sie Ihr berufliches LinkedIn Netzwerk mit den LinkedIn Jobs, Marketing Solutions und/oder Learning-Services verknüpfen wollen." Man erhalte weniger individualisierte, relevante Informationen, wenn man sich gegen die Zusammenführung entscheide, warnte das Unternehmen. Aber immerhin könne man alle Services weiter getrennt voneinander nutzen.

Eine weitere DMA-Pflicht: Android wird mit einem Auswahlscreen abfragen, welche Suchmaschine in Chrome voreingestellt sein soll., Ecosia

Eine weitere DMA-Pflicht: Android wird mit einem Auswahlscreen abfragen, welche Suchmaschine in Chrome voreingestellt sein soll.

(Bild: Ecosia)

Eine weitere Vorschrift, die die EU-Kommission aus vergangenen Kartellrechtsverfahren abgeleitet hat, findet sich in Art. 6 Abs. 3 DMA. Torwächter dürfen demnach nicht bestimmte Produkte auf ihren Plattformen bevorzugen. Sie müssen Nutzern erlauben, vorinstallierte Apps leicht zu deinstallieren oder Standardeinstellungen in Betriebssystemen zu ändern. Entscheidend: Sie müssen "Auswahlbildschirme für wichtige Dienste" anbieten, wie sie manche noch aus vergangenen Browserkrieg-Zeiten kennen. Mit "wichtigen Diensten" sind insbesondere Browser, Suchmaschinen und smarte Assistenten gemeint. Tatsächlich gibt es nun diese Auswahlfenster in den Betriebssystemen.

Microsoft etwa lieferte das DMA-konforme Update 23H2 von Windows 11 punktgenau zum Start der Verordnung aus, wie der Konzern bereits im November 2023 ankündigt hatte. Nur innerhalb des EWR fragt dieses Update, ob man den Browser Edge und die Websuche Bing zugunsten von Konkurrenzprodukten deinstallieren möchte. Die Auswahl wie auch die Default-App-Einstellungen behält Windows dann neuerdings auch über mehrere Updates hinweg bei. In einem Blogbeitrag warnte Microsoft schon einmal: "Windows verwendet die vom Kunden bei der Einrichtung des Geräts gewählte Region, um festzustellen, ob sich der PC im EWR befindet. Die bei der Einrichtung des Geräts gewählte Region, die für die DMA-Konformität verwendet wird, kann nur durch Neuinstallation geändert werden."

Google hat angekündigt, dass in Android ein Auswahlbildschirm den Wechsel von Chrome und Google-Suche zu anderen aufgezeigten Produkten ermöglichen wird. Der Browser Chrome selbst wird laut Google auch unter iOS, macOS und Windows andere Suchmaschinen als die von Google als Voreinstellung vorschlagen. Auch Apples Safari als zweiter Torwächter-Browser wird in jedem Apple-Betriebssystem per Update dazu gebracht, einen Auswahlscreen zu präsentieren.

Apropos Apple: Kein anderer Torwächter musste ähnlich weitgehende Anpassungen vornehmen wie der Konzern aus Cupertino. Einige Absätze im DMA scheinen gar exklusiv für Apple geschrieben worden zu sein. Es geht hier nicht nur um Auswahlscreens oder andere Abfragen, sondern um tiefe Eingriffe in die Software. Apples hermetisches Ökosystem war der EU-Kommission schon immer suspekt, weil der Konzern allein die Regeln bestimmt – oft zum Nachteil der direkten Konkurrenz, aber etwa auch von Start-ups und freien Entwicklern. Einer kostenintensiven Lobbyarbeit in Brüssel und dem persönlichen Einsatz von Chef Tim Cook zum Trotz sprangen schlussendlich kaum Erleichterungen heraus.

Der DMA soll Apples Software- und Bezahldienst-Monopol auf iPhones beenden. Kunden muss es demnach möglich sein, in iOS Fremdanbietersoftware und alternative Stores aus beliebigen Quellen zu installieren (Art. 6 Abs. 4 DMA). Außerdem darf Apple seine Geschäfts- oder Privatkunden nicht mehr an den eigenen, hoch lukrativen Bezahlservice binden (Art. 5 Abs. 7 DMA).

Bislang müssen alternative Browser wie Firefox und Chrome in iOS die Apple-eigene Safari-Browser-Engine WebKit nutzen und unterlagen dabei Einschränkungen. Ab der DMA-angepassten iOS-Version 17.4, die pünktlich zum Verordnungsstart am 5. März erschien, lässt Apple Browser mit eigenen Engines zu.

In Version 17.4 von Apples iOS kann man erstmals zwischen mehreren Webbrowsern wählen, die nicht auf WebKit als Engine zurückgreifen müssen.

In Version 17.4 von Apples iOS kann man erstmals zwischen mehreren Webbrowsern wählen, die nicht auf WebKit als Engine zurückgreifen müssen.

Bereits Ende Januar ließ der Konzern die größte Katze aus dem Sack und erklärte, wie er ab iOS 17.4 alternative App Stores, Bezahlfunktionen und das sogenannte Sideloading von Apps gestaltet. Wer einen eigenen Store in iOS eröffnen will, muss unter bestimmten Umständen eine Art Bürgschaft hinterlegen, um seine Finanzkraft nachzuweisen. Er benötigt einen "Letter of Credit" über eine Million Euro, der von einem Geldinstitut stammen muss, das mindestens ein A-Rating hat. Diese Bürgschaft muss er jährlich erneuern. Die Einstiegshürde ist also sehr hoch gesetzt.

Und wer seine Apps über einen solchen alternativen Store vertreiben will, unterliegt kruden Regeln. Apple verfährt wie beim aus macOS bekannten Notarisierungsmodell: Alle Apps müssen vom Entwickler mit einem gültigen Apple-Zertifikat signiert und dann zur Beglaubigung bei Apple eingereicht werden. Dort unterlaufen sie unter anderem eine automatisierte Malware-Prüfung und eine von Mitarbeitern des Konzerns vorgenommene Basiskontrolle. Inhaltlich wolle man dabei aber nicht einschreiten, hieß es. Entsprechend müssten künftig auch Apps aus bislang nicht zugelassenen Bereichen wie Emulatoren und Pornografie in Dritt-App-Läden möglich sein.

Letzte Versuche: Ende 2023 traf sich Apple-Chef Tim Cook (links) mit EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton in Brüssel, um seine Vorbehalte zum DMA anzubringen., EU-Kommission

Letzte Versuche: Ende 2023 traf sich Apple-Chef Tim Cook (links) mit EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton in Brüssel, um seine Vorbehalte zum DMA anzubringen.

(Bild: EU-Kommission)

Viel Kritik erntete Apple für seine sogenannte "Core Technology Fee", die anfällt, wenn Entwickler alternative App-Stores zum Vertrieb unter iOS nutzen, oder wenn sie sich für ein neues, kostengünstigeres Gebührensystem entscheiden. Die neue Core Technology Fee beträgt 50 Eurocent für jede App-Installation pro Jahr, sobald eine Schwelle von einer Million Installationen überschritten ist.

Apple hat einen Onlinerechner veröffentlicht. Der bekannte Entwickler Steve Troughton-Smith hat damit beispielsweise für eine kostenlose App, die zwei Millionen Installationen im Jahr hat, zusätzliche Kosten von 41.667 Euro pro Monat errechnet. Apple behauptet, dass "99 Prozent der Entwickler" unter den neuen EU-Regeln "weniger oder gleich viel" Provision an den Konzern abführen werden: "Unter ein Prozent der Entwickler würden die Core Technology Fee für ihre EU-Apps bezahlen", weil sie mehr als eine Million Installationen erreichen.

Unternehmen wie Mozilla, Microsoft und Spotify liefen Sturm gegen das neue Modell. Apple betonte, es sei ja optional – niemand müsse sich darauf einlassen. Epic Games, das seit Jahren wegen seines Megasellers Fortnite mit Apple im Clinch liegt, ist richtig sauer. CEO Tim Sweeney sprach von "bösartiger Compliance" in der EU. Apple tue das Gegenteil von dem, was der DMA fordere. Der Konzern untergrabe den Wettbewerb und erhebe "weiterhin Apple-Steuern auf Transaktionen, an denen Apple nicht beteiligt ist". Dennoch hat Epic bereits die Bürgschaft hinterlegt und plant, noch in diesem Jahr über einen eigenen App-Store Fortnite zurück auf iOS zu bringen, zumindest im EWR.

Die EU-Kommission hält sich zu den Ankündigungen von Apple bislang bedeckt. Man habe sie zur Kenntnis genommen, bestätigte die Behörde gegenüber c’t. Und: "Wir werden die umgesetzten Lösungen anhand der im DMA festgelegten Konformitätsstandards analysieren. Sollten wir Verstöße aufdecken oder vermuten, werden wir nicht zögern, Maßnahmen zu ergreifen."

Kommentar: Beleidigte Apfelleberwurst​

Leo Becker

Darfs noch etwas mehr FUD sein? Seit Jahren streut Apple "Fear Uncertainty and Doubt" (Angst, Ungewissheit und Zweifel), um Stimmung gegen den Digital Markets Act zu machen. Das gipfelte darin, dass Apples Software-Chef die freiere Installation von Apps außerhalb des App Store kurzerhand als den "besten Freund der Cyberkriminellen" bezeichnete. Dabei sorgen die neuen DMA-Vorgaben letztlich für Selbstverständlichkeiten, die klassische Computer-Betriebssysteme seit jeher auszeichnen und eine Vielzahl von Software-Innovationen ermöglicht haben – auch in Apples macOS.

Der Konzern hatte nun wirklich mehr als genug Zeit, um das bald siebzehnjährige iPhone unter eigener Regie zu öffnen und andere App-Läden, vollwertige Drittbrowser und NFC-Wallets auf die Plattform zu lassen. Letztlich geht es Apple weniger um den Schutz der Nutzer als vielmehr den Schutz der Milliarden, die Jahr für Jahr durch hohe Provisionen an In-App-Käufen in die eigenen Kassen gespült werden.

Jetzt nagt die EU an diesem Geschäftsmodell und erzwingt die Korrektur offensichtlicher Versäumnisse. Im Gegenzug wird Apples Blockadetaktik immer perfider: Auf dem Papier erfüllt der Konzern die neuen Regeln, gestaltet die Öffnung seiner Plattform aber so unbequem wie möglich, und das nicht nur für Entwickler, sondern auch für Nutzer. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Öffnung eines Betriebssystems neue Risiken mit sich bringt und unbequeme Konsequenzen lauern, wenn etwa die eigene Bank bei Apple Pay ausschert und lieber ihre halbgare NFC-App in den Markt drücken will. Bestenfalls fachen die neuen Regeln immerhin frischen Software-Wind an, der auch bislang von Apple beharrlich abgelehnte App-Kategorien wie Emulatoren und Virtualisierer aufs iPhone pustet. Mehr Wettbewerb könnte nicht zuletzt dafür sorgen, dass Apple eigene Apps und Dienste schneller weiterentwickelt, statt sich darauf auszuruhen, Alternativen jederzeit blockieren zu können.

Das ab iOS 17.4 offenere iPhone bleibt letztlich höchst abgesichert: Alle Programme prüft Apple weiter auf Malware und Zugriff auf sensible Daten erhalten Apps nur mit Zustimmung des Nutzers – egal aus welcher Quelle sie stammen. Aufpassen muss man letztlich ohnehin: Opfer von Fake-Krypto-Wallets, betrügerischen Passwortverwaltungen und Abo-Nepp kann man auch in Apples kontrolliertem App Store werden.

Genau beobachten wird die EU-Kommission auch, ob und wie die Torwächter-Messenger WhatsApp und Facebook Messenger ihre Produkte für andere Dienste öffnen wollen: Ab dem 7. März müssen sie diesen ermöglichen, Textnachrichten zwischen Nutzern der Systeme auszutauschen (Interoperabilität). 2026 wird diese Pflicht auch für Gruppenchats gelten, 2028 überdies für Audio- und Videoanrufe.

Eine Schnittstelle müssen die Meta-Dienste WhatsApp und Facebook Messenger aber nur zeitnah anbieten, wenn andere Anbieter sie einfordern. Bislang winken alle Mitbewerber ab. Signal-Chefin Meredith Whittaker befürchtet, dass dies Datenschutz- und Sicherheit der Nutzer gefährde. Martin Blatter, Gründer und CEO von Threema, will "das Sicherheitsrisiko, das von Meta ausgeht, nicht eingehen". Derweil betont die EU-Kommission, der DMA stelle sicher, "dass das vom Torwächter gebotene Niveau der Dienstintegrität, Dienstsicherheit und Verschlüsselung nicht verringert wird".

Laut WhatsApp-Technikchef Dick Brouwer haben die Arbeiten an der Interoperabilität bereits vor zwei Jahren begonnen. Dem Technikmagazin Wired sagte er, Ziel sei es gewesen, den App-übergreifenden Nachrichtenversand zu ermöglichen, ohne auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu verzichten. Auf diese Weise wolle man auch weiterhin für die Privatsphäre und Sicherheit der Nachrichten sorgen.

Wie in den letzten Betaversionen von WhatsApp zu sehen ist, sollen Drittanbieter-Chats in einem separaten Posteingang auflaufen. Meta bevorzugt zum Austausch das Signal-Verschlüsselungsprotokoll, will aber auch andere Verschlüsselungsprotokolle erlauben, sofern sie die Sicherheitsstandards erfüllen. Gemeint sein dürfte das MLS-Protokoll (Messaging Layer Security), an dem bereits seit fünf Jahren gearbeitet wird.

Der DMA bringt viele weitere Änderungen mit sich, von denen allerdings die Anwender zunächst weniger mitbekommen dürften, weil sie die Interaktionen von Geschäftspartnern untereinander betreffen. Beispielsweise müssen Händlerplattformen ihren gewerblichen Kunden nun mehr Nutzungsdaten bereitstellen. Und sie dürfen ihnen nicht verbieten, ihre Produkte anderswo billiger anzubieten, wie es etwa Amazon immer wieder unterstellt wurde.

In den Suchergebnissen sollen die Produkte der Handelsplattform selbst nicht mehr besonders prominent erscheinen. Außerdem soll die Erfolgsmessung für geschaltete Werbung transparenter erfolgen. Auch an dieser Stelle bastelten Google, Meta, Amazon & Co. intensiv an ihrer DMA-Compliance.

Die EU-Kommission hat sich mit dem Digital Markets Act eine Menge Arbeit aufgehalst. In den ersten Monaten dürfte das zuständige Durchsetzungsteam mit Prüfungen ausgelastet sein, bevor es dann die ersten Verfahren eröffnet. Verfolgt man US-amerikanische Tech-Medien, wird klar, dass man jenseits des großen Teiches mit einem gewissen Neid auf die ersten Änderungen schaut, die nur im EWR gelten. Ein Kartellrecht, das nicht erst aktiv wird, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist: Damit beschreitet die EU neue Wege und könnte im Erfolgsfall tatsächlich einmal Nachahmer in anderen Teilen der Welt animieren. Das wäre dann der viel zitierte "Brüsseleffekt". (hob [13])


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[7] https://www.heise.de/hintergrund/Data-Privacy-Framework-Wie-lange-es-halten-wird-ein-Report-9219648.html
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[9] https://www.heise.de/hintergrund/Hinweisgeberschutz-Mehr-Rechtssicherheit-fuer-Whistleblower-7304857.html
[10] https://www.heise.de/hintergrund/Cookie-Banner-auf-Websites-Unklare-Rechtslage-bei-Ausgestaltung-8965233.html
[11] https://www.heise.de/select/ct/2024/5/2330613071940725206
[12] https://www.heise.de/ct/
[13] mailto:hob@ct.de