"Earl" in der Tiefenanalyse

Noch nie wurde ein Tropensturm derart intensiv untersucht wie der Hurrikan, der bis zum Wochenende über die Atlantikküste brauste. Forscher hoben einen wahren Datenschatz.

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Von
  • Brittany Sauser

Noch nie wurde ein Tropensturm derart intensiv untersucht wie der Hurrikan, der bis zum Wochenende über die Atlantikküste brauste. Forscher hoben einen wahren Datenschatz.

Wenn bislang ein Hurrikan die US-Ostküste entlangzieht, wissen die Menschen lange Zeit nicht, ob größere Evakuierungsaktionen notwendig werden. Einzig auf Vorhersagen können sie sich verlassen – auf Computermodelle, deren Aussagekraft sich jedoch oft beträchtlich voneinander unterscheidet. Doch das soll sich bald ändern: Wissenschaftler arbeiten an neuen Methoden, um das Verhalten potenzieller Superstürme besser zu verstehen. Beim am Wochenende glücklicherweise weitgehend glimpflich zu Ende gegangenen Hurrikan "Earl" hatte die Technik ihre Feuertaufe.

Die Mission, die Forscher der NASA, der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) und der National Science Foundation (NSF) zusammenführte, sammelte mehr Daten über einen Sturm als je zuvor. Dabei waren bis zu sieben Flugzeuge mit modernsten Instrumenten gleichzeitig in der Luft, um den gesamten Verlauf des Hurrikans von seiner Entstehung bis zur Auflösung zu erfassen.

"Wir wissen vieles über Stürme einfach noch nicht. Warum verstärken sich einige so schnell? Wie beeinflussen Faktoren wie Aerosole, Atmosphärenfeuchtigkeit und Meeresströmungen ihre Entwicklung? Die neuen Messungen werden unser Know-how deutlich steigern und damit später auch die Vorhersagemodelle verbessern", sagt NASA-Forscher Gerry Heymsfield.

Das Projekt besteht insgesamt aus drei verschiedenen Missionen: Das "Genesis and Rapid Intensification Processes"-Experiment der NASA konzentriert sich darauf, wie Tropenstürme sich bilden und in Hurrikane verwandeln. Das "Intensity Forecasting"-Projekt der NOAA soll wiederum die Veränderungen bei der Sturmstärke untersuchen. Und die NSF nimmt sich mit dem Vorhaben "Pre-Depression Investigation of Cloud Systems in the Tropics" zu guter Letzt die Anfangsphasen des Sturmes vor. Alle drei Missionsteile begannen Ende August und werden noch bis Ende September laufen. Hurrikan Earl sei der erste Sturm, der genügend Daten liefere, um hier nützliche Ergebnisse zu erzielen, sagt Heymsfield.

Am Montag in der letzten Woche flogen eine DC-8 der NASA und zwei Jets der NOAA durch "Earl" hindurch, als er sich noch in der Karibik bewegte. Dabei fielen wahre Datenschätze an, die die Forscher nun in den nächsten Jahren analysieren wollen. Allerdings gab es auch Echtzeitresultate mit Hilfe sogenannter Drop-Sonden – Ballons, die in den Sturm abgeworfen wurden. Sie messen Temperatur, Feuchtigkeit und Druck, was ein Profil des Hurrikans ergibt, das sich wiederum in bestehende mathematische Modelle zum Verlauf und zur Intensität eines Sturms einfüttern lässt. Andere Instrumente an Bord der Flugzeuge erfassten Regenrate, Wolkenverteilung, Wind und Wasserinhalt, außerdem Partikelprofile.

Michael Black, wissenschaftlicher Meteorologe bei der Hurrikan-Forschungsabteilung der NOAA, sieht die größten Vorteile des Projekts im Einsatz der "Global Hawk"-Drohne der NASA. Sie bringt neuartige Messgeräte in Regionen, die bislang nicht erreicht werden konnten. 30 Stunden lang kann die Global Hawk in großen Höhen fliegen, detailliertere Daten als ein Satellit sammeln und verbleibt auf Wunsch über einen größeren Zeitraum an einem Untersuchungsort.

"Die Drohne kann über Earl fliegen und in ihn hineinsehen. Dabei werden Informationen gesammelt, die wir über die Spitze eines Sturms bislang noch nicht kannten", sagt Black. Dort ändere sich der Windverlauf – und dessen Verhältnis in den verschiedenen Sturmbereichen entscheide, ob aus einem eingeschränkten Tiefdruckgebiet ein ausgewachsener Hurrikan werde. Die Global Hawk hob am vergangenen Mittwoch ab und blieb zunächst für 24 Stunden in der Luft.

Die Drohne besitzt zwei neue Spezialinstrumente aus NASA-Entwicklung. Eines kann die horizontalen Windvektoren und die Ozeanoberflächenwinde messen, das andere eine 3D-Verteilung von Temperatur, Wasserdampf und flüssigem Wolkeninhalt erstellen. Ein drittes neues Instrument fliegt an Bord eines NASA-Flugzeuges mit – es kann starke Ozeanoberflächenwinde auch durch starken Regen hindurch messen. Die so gewonnenen Messdaten sind laut Heymsfield besser als alles, was bislang verfügbar war.

T.N. Krishnamurti, Professor für Meteorologie an der Florida State University, lobt die Großmission als bislang einzigartig. Er erwartet sich neue Vorhersagemethoden mit größerer Genauigkeit. Auch aufseiten des Zivilschutzes sei das hilfreich: "So viele komplexe Dinge passieren bei einem Hurrikan – ein warmer Kern bildet sich, hohe Windgeschwindigkeiten, Regenbänder und Meeresströmungen. All das konnten wir bislang noch gar nicht zusammen untersuchen." (bsc)